Teil 1

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Heute, 13 Jahre später, bin ich ein hoffnungsloser Fall.
Nach der emotional sowie körperlich schwierigen Entwicklungsphase namens Pubertät habe ich keine Lust mehr.
Ehrlich, ich will nicht mehr. Und ich sage euch, wieso.

Während der Grundschulzeit starb einer meiner engsten Freunde bei einem Autounfall. Dieser Vorfall hatte bereits Auswirkungen auf meine Psyche und ich begann, mich vor neuen sozialen Kontakten zu fürchten.
Das führte dazu, dass ich in der Fünften Klasse, also auf einer nagelneuen Schule, auf der ich tatsächlich niemanden kannte, erstmal keine Freunde fand.
Ein Jahr lang verbrachte ich die Mittagspausen allein und las währenddessen Bücher, in denen die Welt nicht so einsam wirkte.
Ein Jahr später, als ich endlich zwei gute Freunde kennengelernt hatte, kam es durch irgendeinen mir noch immer unbekannten Grund zu dem Gerücht, ich wäre schwul.
Um es klarzustellen: Es war kein Gerücht. Ich bin schwul und war es schon immer.
Allerdings fanden das viele Klassenkameraden nicht so prickelnd, weshalb sie mich gleich wieder mieden. Macht's gut, meine beiden "Freunde".
Erneut allein. Allerdings wechselte ich bereits ein halbes Jahr danach die Schule, da meine Mutter der Meinung war, mit meinen jetzigen Noten könnte ich es auch locker auf einem Gymnasium zu etwas bringen.
Und so war es. In meiner neuen Klasse fand ich viele neue Freunde, die noch nichts von meiner Sexualität wussten. So blieb es allerdings nur für ein Jahr.
Es ereignete sich in der 8. Klasse, als meine derzeit beste Freundin es aus Versehen unter ihren Freundinnen verbreitete. Jedoch geschah nichts. Niemand sagte etwas gegen mich. In ihren Augen war ich glücklicherweise nicht seltsam oder abstoßend, was meinem Ego ziemlich guttat.
Als ich 16 wurde, bekam meine Alleinerziehende, bereits 41 Jahre alte Mutter Lungenkrebs. Sie hatte die letzten zwei Jahre durch Stress und Unzufriedenheit mehr geraucht, als sie es gesollt hätte. Außerdem war sie, genauso wie ich, seit Ewigkeiten Single gewesen.
Ihr Zustand verschlechterte sich von Monat zu Monat, und das lag daran, dass sie immer wieder heimlich nach der Zigarettenschachtel griff. Da meine Angst, dass sie somit bald sterben könnte, immer mehr zunahm, machte ich ihre Verstecke für sämtliche Zigaretten aus und warf sie alle weg.
Allerdings war es zu spät gewesen. Sie starb, als ich fast 18 war.
Ach ja, richtig. Ihr wollt sicher noch wissen, was aus James geworden ist, nicht wahr?
Naja. In meiner Grundschulzeit hatten wir ein paar Mal miteinander telefoniert, doch getroffen hatten wir uns nie. Meine Mutter sagte einmal zu mir, dass er eine ziemlich schwierige Zeit habe, weshalb ich ihn nicht sehen konnte. Ich wusste nie, wie sie das gemeint hatte, doch Jahre später wollte ich sie nicht mehr danach fragen. Trotzdem wundere ich mich, wie es wohl mit ihm ausgegangen wäre, wenn wir uns wieder gesehen hätten. Ich wollte ihn sehen, das gebe ich zu.

Ich denke, ihr wisst, weshalb ich keinen Bock mehr habe.
Heute bin ich 19 Jahre alt und habe keine Motivation für die Zukunft. Das dachte ich jedenfalls. Als ich mich dazu entschloss, Medizin zu studieren, dachte ich an meine Mutter und wie stolz sie mich ansehen würde, wenn ich ihr die Nachricht hätte überbringen können. Sie wurde zu meiner Motivation, und das war gut so.
Ich zog vor zwei Monaten in eine billige Wohngemeinschaft, zusammen mit vier weiteren Mitbewohnern. Zwei davon sind Frauen, aber wie ihr wisst, achte ich auf Frauen nicht so sehr, wenn ihr versteht...
Jedenfalls hatten wir ein Problem, denn ein Zimmer war noch frei. Und ohne einen weiteren Mieter würde es wegen dem Preis etwas schwierig, weshalb wir überall Aushänge verteilt hatten. Vorgestern hatte sich dann endlich jemand gemeldet, der heute einziehen sollte.
18:24 Uhr, und ich saß an meinem Schreibtisch, um gerade die Regulation des Blutzuckerspiegels zu lernen. Ich bewohnte das zweitkleinste Zimmer, welches zum Hinterhof zeigte. Auf dem Hof stand eine hohe Trauerweide, und ein paar Äste erreichten sogar fast mein Fenster.
Plötzlich hörte ich lautes Gepolter im Flur und mehrere Leute durcheinander sprechen.
Das Gepolter wiederholte sich innerhalb einer Minute noch drei weitere Male.
Da dies sicher nicht die idealen Umstände für Studenten waren, um vernünftig lernen zu können, machte ich mich auf den Weg, um eine saftige Ansage loszuwerden.
Allerdings wurden meine Pläne durchkreuzt, und zwar von einem attraktiven Kerl, den ich nicht kannte.
Der neue Mitbewohner.
Der neue superlaute Mitbewohner.
Er war gerade dabei, einen anscheinend heruntergefallenen Karton aufzuheben, direkt vor meiner Zimmertür. Als er sich aufrichtete, sahen wir uns in die Augen, und dann war er auf einmal einen Kopf größer als ich. Hinter ihm standen meine beiden Freunde Felix und Fanny, die ihm wohl gerade behilflich sein wollten.
Der Typ vor mir brachte meine Gedanken zum Stillstand.
Kastanienbraunes Haar, grünblaue, perfekte Augen, hübsches Gesicht, guter Style.
Plötzlich wusste ich, wie ich ab jetzt mein Beuteschema beschreiben konnte.
"Äh, hi! Ich denke mal, ich war zu laut?", fragte mich der wunderschöne Mann vor mir.
Endlich fiel mir wieder ein, weshalb ich überhaupt das Zimmer verlassen hatte.
Felix trat vor.
"Sorry, Davin! James zieht heute ein und wir wollten ihm helfen...naja, du kennst uns ja. Das konnte eigentlich nur schief gehen."
Unter anderen Umständen hätte ich gelacht. Als Felix den Namen James erwähnte, schien mein Kopf einen Kurzschluss erlitten zu haben.
Der James?

Grown up now (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt