Teil 6

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Es vergingen einige Tage, in denen die Zeit ohne erwähnenswerte Ereignisse verstrich.
Ich lernte, ging zur Uni, Fanny und Felix ärgerten mich... Und James war plötzlich wieder sehr beschäftigt.
Es war nicht so, dass wir aufgrund dem Lernen meinerseits und anderen Aktivitäten seinerseits überhaupt keine Zeit mehr füreinander hatten, jedoch sahen wir uns meist nur zum Abendessen oder früh am Morgen im Bad.
Er kam auch manchmal in mein Zimmer, machte es sich auf meinem Bett bequem und las still ein Buch, um mich nicht beim Lernen zu stören. Irgendwie...hatte ich mir so immer meinen Traumfreund vorgestellt. Er war total verständnisvoll und lieb...und suchte oft meine Nähe. Jedenfalls kam es mir häufig so vor.
Bald waren 2 Wochen vergangen. Ich hatte das Gefühl, mit jedem Tag wuchs mein Stresspegel mehr. Ich lernte und lernte und lernte, mein Kopf drohte allmählich zu platzen.
Eines Tages, es war ein Mittwoch gewesen, verließ ich total erschöpft das Gebäude der Universität...und bekam den Schock meines Lebens.
Ich lief gerade mit drei meiner Freunde, Maya, Phillip und Collin, am Parkplatz entlang, als jemand lautstark meinen Namen rief.
Ich sah mich um und entdeckte einen breit grinsenden, brünetten Jungen neben einem großen Auto stehen. Er war unwiderstehlich, wie er perfekt an seinem in der Sonne glänzenden Wagen lehnte, mit den Händen in den Hosentaschen. Wie in diesen Filmen.
"Ist das etwa dein Freund?", wollte Maya plötzlich wissen und die anderen beiden warfen mir vielsagende Blicke zu. Ich wurde roter als das tiefste Rot des Planeten. Natürlich musste das kommen.
"Er ist nicht mein Freund!", rief ich so laut, dass sich einige Studenten nach uns umdrehten. Von den dreien bekam ich nur albernes Gelächter.
Ich fragte mich, was genau James hier zu suchen hatte. Das er wegen mir hier war, wäre vielleicht das Logischste gewesen...doch möglicherweise gab es noch einen anderen Grund.
Tatsache war aber, er hatte meinen Namen gerufen und wartete nun auf mich. Da ich ihn also nicht noch länger warten lassen wollte, verabschiedete ich mich genervt von den gackernden Hühnern, die sich meine Freunde nannten, und lief schnell über wenige Parkplätze zu James.
"Was machst du denn hier?", wollte ich mit glühenden Wangen wissen. Ich kam mir vor wie eines dieser schüchternen Girlies in den amerikanischen Teenager-Filmen. Es fehlte nur noch eine passende Antwort von ihm.
James lächelte mich unverwandt an.
"Ich wollte dich abholen." Okay, damit wurde das Klischee erfüllt.
Ich hätte gelacht, hätte ich die ganze Sache nicht so verdammt peinlich und seltsam gefunden.
Ich tat seine Antwort nur mit einem Nicken und einem nervösen Blick ab. James öffnete die Beifahrertür für mich und machte eine einladende Geste. Mein Gesicht fühlte sich erneut heiß an, während ich in seinen Wagen stieg.
James schlenderte um seinen Wagen herum und stieg ein. Er musterte mich kurz mit einem süßen Lächeln, bevor er losfuhr.
Obwohl mir das Alles unangenehm war, fragte ich trotzdem.
"Und...wieso hast du mich abgeholt? Ich meine, es ist lieb gemeint, aber ich hätte es auch allein nach Hause geschafft..."
"Wir fahren nicht nach Hause."
Verwirrt sah ich zu ihm auf.
"Und wohin dann?"
Sein breites Grinsen kehrte zurück.
"Wir gehen baden!"
Wir saßen schweigend in seinem Wagen und die Landschaft bildete einen bunten, verschwommenen Film hinter den Scheiben. Wir hatten die Stadt verlassen und waren auf die Autobahn abgebogen, weshalb auch immer. Oder besser gesagt, wohin auch immer er mich bringen wollte.
Mir war die Stille furchtbar unangenehm, doch ein Gesprächsthema zu finden war unmöglich.
Wenn ich in seiner Nähe war...irgendwie schaltete ich automatisch ab. Als würde er einen Schalter drücken, sodass ich mich direkt sicher und geborgen fühlte. Bei James musste ich nicht an Uni, Prüfungen oder meine Mutter denken. Er war die Ablenkung für meine Seele, die ich so lange gebraucht hatte.
"Du wirkst entspannter als an dem Tag meines Einzugs.", sprach James.
Ich zuckte zusammen, weil ich mit dem plötzlichen Unterbrechen der Stille nicht gerechnet hatte. Ich sah ihn vorsichtig an. Er hielt mit seiner linken Hand lässig das Lenkrad, während seine Rechte auf seinem Bein ruhte. Sein Blick war nach vorn gerichtet, ein leichtes Lächeln umspielte seine wohlgeformten Lippen.
Er war die Ruhe selbst.
"Findest du?", fragte ich, da das eigentlich unmöglich war.
Wie konnte ich entspannter wirken als damals, wenn mein Lernpensum gestiegen war?
Wie konnte ich ruhiger wirken, wo doch gerade James neben mir saß?
Doch James blieb bei seiner Meinung.
"Ja, ich denke schon. Dir ist es vielleicht nicht aufgefallen, aber du bist nicht mehr so oft in Gedanken versunken...und du lächelst mehr."
Vielleicht hatte er Recht. Und vielleicht kannte ich sogar den Grund dafür.
"Das liegt nur an-"
Zum Glück unterbrach ich mich selbst, bevor etwas totpeinliches meine Lippen verlassen konnte.
Wir bogen um eine Kurve, die uns aus dem kleinen Waldstück, welches wir gerade durchquert hatten, herausführte. Helles Sonnenlicht brannte in meinen Augen. Vor uns erstreckte sich ein wunderschön glitzernder See.
"Was hast du gesagt?", fragte James.
"Nichts! Nichts."
Er sah mich skeptisch an, verfiel aber schnell wieder in sein herzliches Lächeln. Wie konnte man so abartig schön lächeln?
James parkte hinter einer kleinen Baumgruppe, und ich fragte mich, wieso er nicht näher am Wasser geparkt hatte.
Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich gar keine Badesachen dabei hatte.
"James?"
Er stieg aus dem Wagen, lief vorne um ihn herum und öffnete meine Tür.
"Hmh?"
"Ich habe...gar nichts zum Baden dabei."
Selbst in seinen klaren Augen, die in der Sonne glänzten, spiegelte sich so etwas wie ein Lachen wider. Seit dem Abend, an dem er geweint hatte, wirkte er wieder wie ein einziger Sonnenschein.
Natürlich freute mich das für ihn. Es war um einiges angenehmer, ihn so unbeschwert lächeln zu sehen. Es machte ihn auch um einiges attraktiver.
James nahm meine Hand und zog mich langsam aus dem Wagen, da ich keine Anstalten machte, von selbst auszusteigen. Meine Haut kribbelte angenehm.
"Keine Sorge! Ich habe an alles gedacht."
Er schloss die Wagentür, lief zum Kofferraum und holte eine riesige Sporttasche heraus. Nun sah es so aus, als würde James umziehen wollen.
"Komm schon, das wird witzig!"
Damit lief er strahlend an mir vorbei, dem Wasser entgegen. Seufzend folgte ich ihm.
Wie immer suchte ich einen tieferen Sinn hinter den Ereignissen. Wieso tat James das alles?
Mir wurde klar, dass ich das nur herausfinden konnte, wenn ich ihn fragte.
"James? Warum genau...sind wir hier?"
"Na, um schwimmen zu gehen, natürlich."
"Schon klar. Ich meinte eigentlich...wieso gerade heute? Wieso...gerade mit mir? Und wieso allein?"
Plötzlich blieb er stehen und ich wäre fast gegen ihn gelaufen. Er sah mir tief in die Augen.
"Findest du es schlecht, mit mir allein zu sein? Fühlst du dich unwohl?"
Seine plötzliche Unsicherheit machte mir mehr als zu schaffen. Gerade hatte er noch die allerbeste Laune gehabt.
"Wenn du keine Lust hast, können wir auch gerne wieder nach Hause-"
"Nein!", unterbrach ich ihn sofort. Ich wollte ihn nicht denken lassen, dass ich nicht mit ihm allein sein wollte. Unangenehm war es, ja, aber Unwohlsein fühlte sich anders an.
"Ich meine, nein, ich finde es echt schön hier...und ich habe nichts dagegen, etwas mit dir zu unternehmen, ehrlich!"
Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
"Achso! Ich dachte schon, ich hätte dich zu irgendwas gedrängt..."
Er fuhr sich kurz mit der Hand durch sein Haar.
"Weißt du, ich hatte schon letzte Woche überlegt, was wir beide mal unternehmen könnten, nur du und ich, weil wir schließlich beide im Stress waren. Ich dachte mir...es ist doch traurig, dass wir uns jetzt endlich wieder haben und uns trotzdem kaum sehen, verstehst du?"
Ich verstand mehr als deutlich. Und seine Worte ließen ein riesiges Lächeln auf meinem Gesicht wachsen.
"Das finde ich...echt lieb von dir.", gab ich zu, denn es war wirklich aufmerksam von ihm.
Er freute sich mit mir. Urplötzlich fielen alle weiteren Zweifel von mir ab, wie eine lästige, zweite Haut. Ich fühlte mich befreit und glücklich.
"Ach ja! Das hier ist übrigens Privatgelände, wir sollten also etwas unauffällig bleiben!"
Mit diesen Worten ging er unschuldig grinsend zum Wasser.
Was hatte er da gerade gesagt? Privatgelände?!
Im Ernst, ich hätte ausrasten können. Ich hätte ihn anbrüllen und zwingen können, mich sofort nach hause zu fahren, doch diesmal war es anders.
Ich wollte einmal auf alles scheißen und den Moment so genießen, wie er war. So, wie er nie wieder sein würde. Mit James.
Ich fing höllisch an zu lachen.
James drehte sich zu mir um und beobachtete mich dabei, wie ich mich mit Tränen in den Augen dem Boden näherte und mich merkwürdig verbog.
"...Davin? Alles in Ordnung mit dir...?"
Sein Kommentar verstärkte meinen Lachanfall nur um das Dreifache.
Nach einer Weile stieg James mit ein und ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr.
Irgendwann griff er nach meinen Handgelenken und zog mich wieder auf die Beine. Wir standen uns gegenüber und hatten einen intensiven Augenkontakt, der meinen Kreislauf auf Touren brachte.
"Jetzt komm, sonst werden wir nie im Wasser landen."
Damit zog er mich sanft hinter sich her.
Er breitete eine große Decke direkt am Wasser aus und packte einige Dinge aus. Er hatte Sandwiches, Kekse, Chips, Obst und was zum Trinken mitgebracht. Daneben landeten zwei Badehosen in schwarz und blau sowie zwei Handtücher.
Er hatte tatsächlich an alles gedacht. Wie ein...Date.
Meine Wangen färbten sich erneut rot.
"Sag mal...willst du gleich Baden gehen?", fragte ich neugierig.
Seine nächste Aktion war Antwort genug. Er zog sich sein graues Shirt über den Kopf und zeigte mir seinen perfekten Oberkörper. Er war nicht besonders muskelbepackt, aber er hatte von Natur aus einen schön gebauten Körper. Mir fielen besonders seine markanten Schlüßelbeinknochen auf, die seinen zarten Hals betonten.
Ich wendete schnell den Blick ab. Dabei hatte ich ihn schon oft in der WG oberkörperfrei gesehen! Was war diesmal anders?
James lächelte verschmitzt. "Na klar! Erst zu Essen würde schließlich keinen Sinn machen."
Und plötzlich hatte er auch keine Hosen mehr an. Und damit meinte ich beide Hosen.
Die Scham breitete sich in mir ins Unermässliche aus. Wie konnte er sich bitte eiskalt vor mir entblößen? Verdaaaaaammt...
"Willst du dich nicht auch umziehen?", fragte er.
Puh, zum Glück hatte er seine Badehose angezogen. Der Anblick seines bloßen Körpers war mir etwas zu viel...obwohl er mir natürlich nicht missfiel.
Ich nickte nur benommen, ehrlich, ich fühlte mich wie auf einem Hardcore-Drogentripp, und schnappte mir die zweite Badehose vom Boden.
Na klasse, jetzt musste ich mich auch ausziehen...
Schnell verabschiedete ich mich von meinem Shirt, von meiner Hose...
Unsere Blicke trafen sich.
Wieso musste er mich dabei analysieren, als wäre er mein Arzt oder sowas?
"James...könntest du dich...bitte kurz umdrehen?"
An seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er nur auf diese Frage gewartet hatte.
"Aber natürlich.", murmelte er lächelnd und tat, worum ich gebeten hatte.
Mit hochrotem Kopf entfernte ich den schwarzen Stoff von meiner Taille und zog in Lichtgeschwindigkeit die Badehose an. In derselben Sekunde, in der ich den Bund der Hose an meine Hüften legte, drehte sich James auch schon wieder um.
Wie konnte er nur so...?! Argh!
"Wollen wir dann?"
Auf seiner Stirn stand eindeutig das Wort Unschuld, fett mit einem Edding draufgekritzelt.
Da mir die Worte fehlten, nickte ich einfach und folgte ihm zum Wasser.
Wir hatten zwar Juli, doch es musste trotzdem verflucht kalt sein. Wir standen nebeneinander und blickten nieder auf den glänzenden Wasserspiegel.
Ich konnte unsere beiden Gesichter sehen, und ich sah auch, wie James mich verstohlen angrinste. Lange würde ich diesem Blick nicht mehr standhalten können, soviel stand fest.
Das Wasser war bereits am Rand ziemlich tief, so viel konnte ich erkennen.
"Okay, wir springen auf drei."
Ich sah geschockt zu ihm auf.
"Was? Ist das dein Ernst?"
Er sah mich nicht an, nickte aber. Dann griff er nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger miteinander.
"Eins..."
Mein Blick glitt nervös nach vorne. Sowas konnte ich noch nie.
"Zwei..."
Aber er hielt mich ganz fest. Wir würden das schaffen. Gemeinsam. James und ich.
"Drei."
Wir sprangen gleichzeitig los und es fühlte sich an, als würde ich für kurze Zeit schweben. Dann berührte ich das kühle Blau und fühlte mich wie elektrisiert. Beinahe magisch.
Wir tauchten beide auf und wischten uns die nervigen Strähnen aus den Augen. Unsere Hände hielten sich noch immer fest, und es schien so, dass wir uns beide nicht loslassen wollten.
Ich jedenfalls hätte liebend gern für immer seine Hand gehalten.
Ich brachte ein heiteres Lachen zustande, genoß den Moment und hätte am liebsten laut geschrien, um meiner Freude Ausdruck zu verleihen.
Dann sah ich James in die Augen. Sie strahlten wie ein heller Edelstein in blau und grün, so schön und wertvoll wie der teuerste Schatz der Welt. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, doch er war schöner als jemals zuvor.
Ich war nicht imstande, mich zu bewegen, doch das musste ich gar nicht.
James zog mich zu sich und legte die Arme unter Wasser um meine Taille. Ich legte meine Arme über seine Schultern und unsere Wangen berührten sich bei der Umarmung.
"Danke...", flüsterte er mir liebevoll ins Ohr.
Ich verstand nicht ganz, worauf er hinaus wollte.
"Wofür?"
Ich konnte sein Lächeln an meiner Wange spüren.
"Dafür, dass du deine kostbare Zeit für jemandem wie mich verschwendest."

Grown up now (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt