Alex

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Zwei Wochen sind nun vergangen seit dem Tag, an dem mir Jo gesagt hat, dass sie mich nicht liebt. Zwei endlos lange Wochen. Zum Glück ist nun endlich der Tag, an dem ich entlassen werde. Dann muss ich Jo hoffentlich nie wieder begegnen. Jedes Mal, wenn wir uns auf dem Flur sehen, versuchen wir beide, so viel Abstand wie nur irgendwie möglich zwischen uns zu bringen. Das will ich nicht mehr.
Ich habe mittlerweile beschlossen, dass ich nie wieder einem Mädchen mein Herz so sehr öffnen werde wie Jo. Ich war mir so sicher, dass sie das gleiche fühlt wie ich. Doch ich habe mich getäuscht. Und sie hat mir irgendwas davon erzählt, dass ich auch mal netter zu den Leuten sein soll. Tja, das habe ich jetzt davon!
„Bist du soweit?", fragt Charlotte. Auch von ihr habe ich mich in letzter Zeit weiter entfernt. Es ist jetzt wieder mehr so wie früher.
„Mensch, jetzt stress mich nicht so!", rege ich mich auf.
Sie seufzt. „Willst du mir nicht mal sagen, was zwischen dir und Jo vorgefallen ist?", fragt sie. „Seit ihr euch nicht mehr trefft, bist du so aggressiv."
Wütend springe ich von meinem Bett auf und gehe an ihr vorbei. „Wenn du das wirklich wissen willst, frag sie doch selbst!" Ich renne in den Gang hinaus. Für eine kurze Zeit mochte ich das Krankenhaus. Aber jetzt ist mir zum kotzen, wenn ich diese ganzen fürchterlichen Pastellfarben sehe. Alles hier erinnert mich an Jo. Ich kann nicht einmal durch den Gang laufen, ohne an sie zu denken. Das ist doch nicht normal, oder?
Plötzlich biegt jemand um die Ecke. Es ist ein dünnes Mädchen mit wunderschönen braunen Haaren, das sofort den Blick senkt, als sie mich sieht. Jo. Ich will so unauffällig wie möglich an ihr vorbeigehen, aber sie hält plötzlich meinen Arm fest.
„Was willst du?", schnauze ich sie ärgerlich an. Ich kann ihr nicht in die Augen sehen. Denn wenn ich das tue, fange ich an zu weinen und diese Genugtuung gebe ich ihr sicher nicht.
„Du wirst heute entlassen", stellt sie fest. Ihre Stimme klingt ein wenig traurig, aber das ist wahrscheinlich nur gespielt. „Ich wollte mich noch von dir verabschieden. Du bist nicht gut auf mich zu sprechen und das verstehe ich, aber ich musste einfach noch einmal mit dir reden."
„Warum?", frage ich. „Damit ich mich noch mehr blamiere?"
Sie schüttelt den Kopf. „Es war eine blöde Idee, tut mir leid." Dann geht sie an mir vorbei.
Ich blicke ihr nach. Obwohl ich sie hasse für das, was sie getan hat, liebe ich sie immer noch. Irgendwie ist das total widersprüchlich, aber es ist eben so. Ich wünschte nur, ich würde sie verstehen. Warum hat sie so getan, als wäre sie in mich verliebt? Das macht doch keinen Sinn. Es sei denn, sie wollte mich einfach ärgern. Doch da steckt mehr dahinter. Da bin ich mir sicher. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich wissen will, was.
Ich gehe zurück zu Charlotte, damit wir endlich nach Hause fahren können. Von diesem Krankenhaus habe ich nun wirklich genug. Ich schnappe mir meine Koffer und laufe schnurstracks auf die Aufzüge zu.
Da schiebt jemand ein Krankenbett an mir vorbei. Erschrocken weiten sich meine Augen, als ich sehe, dass Jo darin liegt. Ihre Augen sind geschlossen.
„Was ist mit ihr?", frage ich den Arzt, der bei ihr ist, besorgt.
„Sie hatte eine Kreislaufschwäche", erklärt er mir. „Wir müssen jetzt unbedingt dafür sorgen, dass sie wieder aufwacht."
Mein Herz schmerzt, als ich sie da so liegen sehe. „Und wenn sie nicht aufwacht?"
„Dann sieht es nicht gut für sie aus", antwortet er. Dann schiebt er das Bett weiter.
Ich versuche, so gefasst wie möglich zu wirken, aber es klappt nicht. Meine Gefühle für sie sind einfach noch zu stark. Ich kann nicht ignorieren, wie schlecht es ihr geht. Und irgendwie habe ich auch ein schlechtes Gewissen. Wenn ich mit ihr geredet hätte, wäre sie länger bei mir gewesen, dann hätte ich mich gleich um sie kümmern können. Ich wäre bei ihr gewesen. Aber das ist lächerlich. Sie ist es, die Schuldgefühle haben müsste.
„Fahren wir dann?", fragt Charlotte. Ich glaube, sie hat Jo nicht gesehen.
Ich schüttle den Kopf. „Ich kann nicht." Dann renne ich Jo hinterher. Ich muss bei ihr sein. Sie liebt mich vielleicht nicht, aber sie hat mir bei meiner OP beigestanden. Jetzt bin ich es, der ihr beistehen muss.
„Was machen Sie jetzt mit ihr?", frage ich den Arzt.
„Ich bringe sie ins Aufwachzimmer", antwortet er. „Wenn sie nicht von alleine aufwacht, können wir nichts für sie tun."
Ich nicke nur, da ich nicht die Kraft habe, ihn zu beschimpfen. „Kann ich bei ihr bleiben?"
Er seufzt. „Ausnahmsweise. Aber nur, wenn du dich ruhig verhältst."
„Natürlich." Als der Arzt weg ist, setze ich mich neben Jo ans Bett. Wenn ich sie ansehe, habe ich ziemlich gemischte Gefühle. Einerseits mache ich mir wahnsinnige Sorgen um sie, da ich sie immer noch liebe. Andererseits würde ich ihr für das, was sie mir angetan hat, am liebsten ins Gesicht schlagen. Oder sie zumindest anschreien. Doch das ist wohl nicht die beste Idee, wenn sie gerade nicht wach ist. Aber vielleicht kann ich zumindest mit mir reden. Ich weiß, dass sie mich hören würde.
„Ich verstehe dich nicht", sage ich zu ihr. „Ich verstehe nicht, warum du mir gesagt hast, dass du mich liebst, obwohl du es nicht tust. Ich sage nicht, dass ich noch nie einen Fehler gemacht habe. Aber ich habe dich nicht angelogen." Plötzlich kann ich nicht mehr anders. Ich beuge mich über sie und küsse sie. Fast erwarte ich, dass sie ihre Augen aufschlägt, doch sie tut es nicht. Seufzend drehe ich mich um und gehe aus dem Zimmer. Zumindest habe ich mich jetzt von Jo verabschiedet.
Langsam gehe ich wieder zu Charlotte. Ich muss endlich raus aus diesem verdammten Krankenhaus. Da kommt mir plötzlich Emma entgegen. „Warst du gerade bei Jo?", fragt sie überrascht.
Ich sehe zu Boden. „Ich habe mir eben Sorgen um sie gemacht."
Sie runzelt die Stirn. „Obwohl sie dir gesagt hat, dass sie dich nicht liebt?"
„Nur weil ich mir Sorgen mache, heißt das nicht, dass ich nicht mehr sauer auf sie bin", stelle ich klar. „Sie hat mir gesagt, was sie fühlt und damit muss ich leben."
Emma sieht mich nachdenklich an. „Oder auch nicht?"
Verwirrt lege ich die Stirn in Falten. „Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich kann sie ja nicht zwingen, mich zu lieben."
Sie schüttelt den Kopf. „Nein, das kannst du nicht. Denn das tut sie sowieso schon."
„Was?" Was sagt sie denn da? Sie weiß doch, was Jo zu mir gesagt hat. „Sie hat mir klar und deutlich gesagt, dass..."
„Denkst du etwa, das war leicht für sie?", unterbricht mich Emma. „Verstehst du nicht, dass sie das alles nur gesagt hat, weil sie dich liebt?"
Das macht doch keinen Sinn! „Sie hat mir gesagt, dass sie mich nicht liebt, weil sie mich liebt?" Verständnislos sehe ich sie an.
Sie seufzt. „Ich denke, ich sollte es dir erklären. Ich finde es nämlich nicht richtig, wie Jo dich behandelt."
„Na dann, erzähl mal." Abwartend blicke ich sie an.
„Jo weiß, dass es nicht sicher ist, dass sie überlebt. Sie wollte einfach nicht, dass du verletzt wirst, falls sie, naja, irgendwann nicht mehr da sein wird."
Meint sie das tatsächlich ernst? Wenn das so ist, dann hat Jo ja doch Gefühle für mich. „Aber warum? Ich meine, ich will doch bei ihr sein. Und wenn sie stirbt, dann ist das sicher nicht leicht für mich, aber das würde auch nichts ändern, wenn sie mich nicht lieben würde."
„Wenn man jemanden liebt, macht man eben die verrücktesten Sachen", erwidert Emma, „und Jo hat es für das richtige gehalten."
Also wenn das wirklich wahr ist, muss ich unbedingt sofort mit Jo reden. „Und ich hab das, was sie mir erzählt hat, tatsächlich geglaubt."
„Du solltest noch einmal zu ihr gehen", schlägt Emma vor, „und mit ihr reden. Sag ihr, sodass du sie liebst und dass du weißt, dass sie dich auch liebt."
Ich nicke. „Das werde ich tun." Dann laufe ich an ihr vorbei zu Jo.

Du arroganter Arsch! {Club der roten Bänder}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt