Jo

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Als ich zurück in mein Zimmer gehe, muss ich mir ein Lächeln verkneifen. Ich gebe es ja nicht gerne zu, aber irgendwie mag ich Alex. Und ich bin heilfroh, dass ihm nichts schlimmeres passiert ist.

„Jo?", ruft er mir plötzlich nach und fährt mir mit seinem Rollstuhl nach.
Ich drehe mich überrascht um. Er hat mich Jo genannt. „Ja?"
Einen Moment lang sieht er mich schweigend an. „Äh...viel Spaß."
Ich lache. „Wobei denn?"
„Naja, was macht denn ihr Mädchen so? Schminken und tratschen?"
Ich runzle die Stirn. „Ja, und ihr Jungs reißt den ganzen Tag lang irgendwelche Mädchen auf! Weißt du, ich hasse es, in eine Schublade gesteckt zu werden."
Verlegen sieht er zu Boden. „Tut mir leid, so habe ich das eigentlich nicht gemeint."
„Ich weiß schon, wie du es gemeint hast", entgegne ich.
Wir beide schweigen eine Weile, dann meint Alex: „Sehen wir uns heute noch?"
Obwohl er versucht, cool zu wirken, sehe ich, dass er gespannt ist, was ich antworte. Die ganze Zeit fummelt er an seiner Uhr herum.
Da ich diesen Anblick ganz amüsant finde, lasse ich mir mit der Antwort extra lange Zeit. „Vielleicht", erwidere ich dann und gehe. Zu gerne würde ich seinen Blick jetzt sehen, doch er soll ja nicht denken, dass mich das interessiert.

Ich mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Auf dem Weg dorthin kommen mir meine Eltern und mein kleiner Bruder Tobias entgegen.
Überrascht bleibe ich stehen. „Was macht ihr denn hier?"
Mein Vater runzelt die Stirn. „Sag mal, wie redest du denn mit uns?"
„Tut mir leid", erwidere ich, „ich war nur überrascht. Ihr wolltet doch erst morgen kommen."
Meine Mutter seufzt. „Ja, das wollten wir. Aber wir haben vor ein paar Stunden versucht, dich anzurufen. Du bist nicht an dein Handy gegangen. Also haben wir es am Telefon probiert und Emma ist rangegangen. Sie hat uns erzählt, dass du bei einem Jungen bist, der beinahe gestorben wäre. Und jetzt wollten wir nur sehen, ob es dir gut geht, Schätzchen."
Ich verdrehe die Augen. Meine Eltern machen sich einfach viel zu viele Sorgen. „Mama, es geht mir gut. Erstens ist der Junge nicht gerade mein bester Freund, zweitens ist er schon wieder auf den Beinen."
„Ich hab doch gesagt, dass sie uns nicht braucht", meint Tobias.
Ich lache. Mein Bruder ist der einzige aus meiner Familie, der sich nicht verändert hat, seit ich im Krankenhaus bin. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar. „Er hat recht. Ich komme schon alleine klar. Ihr müsst nicht dauernd hier aufkreuzen."
Meine Mutter streicht mir sanft über mein Haar. „Wenn der Junge gestorben wäre, wärst du sicher froh um eine Familie, die dich tröstet."
Genervt schlage ich ihre Hand weg. „Der Junge ist aber nicht gestorben! Übrigens hat der Junge auch einen Namen! Er heißt Alex!"
„Dann statten wir diesem Alex doch mal einen Besuch ab", schlägt mein Vater vor.
Oh Mann, die müssen sich echt überall einmischen! „Was? Mensch, Papa! Das ist doch total überflüssig!"
„Warum denn?", fragt meine Mutter. „Der Junge freut sich bestimmt über Besuch."
„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist." Ich befürchte, dass meine Eltern Alex vorschnell verurteilen, wenn sie ihn kennenlernen, so wie ich es auch getan habe.
„Man kann doch in diesem Krankenhaus sowieso nichts machen, außer im Bett zu liegen. Dieser Alex freut sich bestimmt über eine Ablenkung", entgegnet mein Vater.
„Das glaube ich nicht", erkläre ich, „Alex tickt nicht so."
Meine Mutter seufzt. „Naja, wir können dich ja nicht dazu zwingen. Dann gehen wir eben in dein Zimmer."
„Aber das ist so langweilig", jammert Tobias. „Und bei diesen ganzen Magersüchtigen wird einem ja kotzübel!"
„Tobias!", schimpft mein Vater. „Wie oft haben wir dir schon gesagt, dass du das nicht sagen sollst?"
„Papa!", entgegne ich. „Lass ihn doch! Ich meine, irgendwie hat er doch recht!"
„Ich würde viel lieber zu diesem Alex gehen", erklärt Tobias. „Schließlich muss ich ja wissen, wie der Schwarm meiner Schwester so drauf ist."
„Mein Schwarm?", wiederhole ich aufgebracht. „Er ist nicht mein Schwarm, klar? Ich kann ihn nicht mal richtig leiden!"
„Ja, ne, ist klar!", lacht er. „Gehen wir jetzt zu ihm, oder nicht?"
Ich seufze. „Meinetwegen. Aber nur wir beide. Mama, Papa, ihr könnt ja währenddessen in meinem Zimmer warten."
„Schätzchen, warum willst du uns denn nicht dabei haben?", fragt meine Mutter.
„Ich denke nur, Alex steht nicht so auf Gesellschaft", antworte ich. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Ich will nicht, dass meine Eltern ihn so sehen, wie ich es anfangs getan habe.

Also gehen Tobias und ich zu Alex. Aber er ist nicht in seinem Zimmer. Da liegt nur Hugo, der sich ja sowieso nie fortbewegt.
„Er ist nicht da", sage ich, „dann können wir ja wieder gehen."
„Wer ist nicht da?", fragt plötzlich eine Stimme hinter mir.
Erschrocken drehe ich mich um. „Alex."
„Ich hätte nicht erwartet, dass du so bald wiederkommst", erklärt er.
„Ich auch nicht", erwidere ich, „aber meine Familie ist gerade gekommen und meinem Bruder war langweilig. Außerdem wird ihm beim Anblick der ganzen Magersüchtigen kotzübel."
Erst da fällt Alex' Blick auf Tobias. „Tja, da geht's mir ähnlich. Es sieht ja grauenhaft aus, wie den Magersüchtigen die ganzen Knochen überall rausstehen."
Ich weiß, dass er es als Scherz meint, trotzdem verletzt es mich.
„Endlich mal einer, der versteht, was ich meine", entgegnet mein Bruder. „Ich bin übrigens Tobias."
„Alex."
„Und was machst du den ganzen Tag so?", fragt Tobias. „Mir ist ja schon langweilig, wenn ich nur eine Stunde hier bin."
„Ja, das kenn ich", stimmt Alex zu. „Aber das ist noch nicht mal das schlimmste. Das schlimmste sind nämlich die Ärzte. Anfänger, die nicht wissen, was sie tun. Ich bin jetzt schon eine ganze Weile hier, aber sie wissen immer noch nicht, was ich habe."
Also diese Seite von Alex gefällt mir definitiv nicht so gut. Aber ich denke, er ist zu allen so, die er noch nicht so gut kennt. „Hey, die Ärzte tun alles, was sie können. So wie du über sie redest, solltest du froh sein, dass sie sich überhaupt noch die Mühe machen, herauszufinden, was du hast."
„Nervt es dich etwa nicht, dass sie dich zum Essen zwingen?", fragt Alex.
„Natürlich", erwidere ich, „aber deswegen halte ich sie nicht für Anfänger oder so! Und manche von ihnen sind echt in Ordnung."
„Du bist echt naiv, Johanna."
„Was habe ich dir über diesen Namen gesagt?", schreie ich ihn an.
„Mann, ihr nervt", beschwert sich Tobias. „Ich hätte mich doch für dein langweiliges Zimmer entscheiden sollen."
„Tobias, du bist nicht hilfreich", rege ich mich auf. „Wir gehen jetzt besser. Komm mit."
Ich packe ihn am Handgelenk und zerre ihn nach draußen.
„Jo, ich hätte dich nicht so nennen sollen. Tut mir leid", entschuldigt sich Alex. „Auch wenn ich nicht verstehe, was du gegen den Namen hast."
Ich bleibe stehen und drehe mich um. „Das geht dich nichts an, okay?"
„Ich hab's schon verstanden. Du bist zu fein dafür, darüber zu reden."
Jetzt reicht es mir aber! Wütend gehe ich auf Alex zu und schlage ihm meine Faust ins Gesicht.
„Was soll das?", schimpft er und steigt aus seinem Rollstuhl. Dann bäumt er sich vor mir auf.
Da wird mir bewusst, was das letzte mal passiert ist, als wir uns so gestritten haben. Alex hatte einen Herzstillstand und wäre beinahe gestorben. Ich will nicht, dass das wieder passiert. „Beruhige dich, Alex."
„Hast du etwa Angst, dass ich wieder umfalle, oder was?" Er kommt immer näher auf mich zu. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen! Ich komme schon klar!"
„Jetzt kommt doch mal runter!", befiehlt uns Tobias. „Sonst hole ich Mama und Papa!"
„Ich gehe jetzt", sage ich zu Alex. Dann gehen Tobias und ich zurück in mein Zimmer.
„Jetzt ist mir klar, warum du nicht wolltest, dass Mama und Papa ihn kennenlernen", meint Tobias.
„Hat ja auch lange genug gedauert", entgegne ich.

Du arroganter Arsch! {Club der roten Bänder}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt