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Missmutig starre ich an die Wand. Dieser Dr. Gruber kann mir doch nicht einfach verbieten, Alex zu sehen! Es ist ja schon schlimm genug, dass ich in meinem Zimmer eingesperrt bin und die Ärzte mich zwingen, zu essen, aber mir auch noch verbieten, mich mit Alex zu treffen, geht echt zu weit! Alle sagen immer, dass sie das beste für mich wollen, aber ich glaube, dass sie einfach Spaß daran haben, mich zu bestrafen!
„Jetzt stell dich nicht so an", meint Emma. Ihr wurde schon viel öfter Bettruhe verordnet als mir. Denn ihr geht es noch ein wenig schlechter als mir. Im Gegensatz zu ihr bin ich beinahe dick. „In ein paar Tagen kannst du Alex ja wieder sehen."
Ich seufze. „Schon, aber er ist nur noch zwei Wochen im Krankenhaus. Und wer weiß, wie oft wir uns sehen, wenn er draußen ist. Wahrscheinlich will er, sobald er gesund ist, sowieso keine kranke Freundin haben."
Emma blickt mich forschend an. „Dann bist du darum so schlecht gelaunt? Weil du Angst hast, Alex würde sich dann nicht mehr für dich interessieren?"
Ich würde das wirklich gerne verneinen, aber das kann ich nicht. Sie hat recht, ich habe wirklich Angst davor. Aber da ist noch etwas. „Weißt du, es ist so, einerseits habe ich Angst davor, dass er mit mir Schluss macht. Doch andererseits will ich es ihm nicht antun, mit einem Mädchen zusammen zu sein, das jeden Moment sterben kann. Verstehst du das?"
Sie nickt. „Natürlich verstehe ich das. Denkst du, über solche Sachen hätte ich mir noch nie Gedanken gemacht? Aber weißt du, wenn er dich wirklich liebt, dann ist er froh um jede Minute, die er mit dir verbringen kann."
„Aber wenn er mich wirklich liebt, dann ist es sicher schlimm für ihn, wenn ich sterbe. Und das ist nunmal nicht auszuschließen", entgegne ich.
„Ich denke, dass ich die falsche bin, um das alles zu klären. Da musst du schon mit Alex reden", erwidert sie.
Aber das kann ich nicht. Ich kann vor ihm nicht einmal erwähnen, dass ich bald sterben könnte. Vermutlich hat er keine Ahnung, wie ernst meine Krankheit eigentlich ist.
„Weißt du was?", meint Emma. „Vielleicht solltest du die Zeit und die Ruhe einfach nutzen, um über alles nachzudenken. Und um dir darüber klar zu werden, was du fühlst. Ich meine, liebst du Alex? Oder ist es eher nur eine Verliebtheit?"
Vielleicht ist das tatsächlich etwas, worüber ich nachdenken sollte. „Aber wie finde ich das heraus?"
„Ich glaube, da gibt es viele Möglichkeiten", antwortet Emma. „Aber ich denke, du weißt die Antwort schon."
Ja, das denke ich auch. Als nicht klar war, dass Alex die OP überlebt, ist mir bewusst geworden, dass ich ohne ihn nicht leben kann. „Ich denke, ich liebe ihn."
Emma lächelt. „Sag ihm das. Aber mach ihm klar, dass du das nicht nur sagst, weil du bald sterben könntest."
„Ich weiß nicht", seufze ich. „Irgendwie macht mir das Angst. Ich liebe ihn so sehr, dass ich Angst habe, mein Herz könnte zerbersten, wenn er nicht mehr da wäre."
„So fühlt sich die Liebe eben an", erwidert Emma. „Und ich glaube, Alex geht es ganz genauso wie dir. Nur ist es um dein Leben bisher noch nicht so schlecht gestanden wie um das seine. Oder zumindest denkt er das."
„Aber...", fange ich an.
Da klopft es plötzlich. Ich sehe zur Glastür. Davor steht Alex. Mein Herz schlägt plötzlich höher und ich muss unwillkürlich lächeln. Schnell springe ich auf und öffne ihm die Tür.
„Ich weiß, ich sollte nicht hier sein", sagt er, „aber ich muss mit dir reden. Es ist wichtig."
„Ich geh dann mal zu Leo und Jonas", erklärt Emma und geht aus dem Zimmer.
Ich werfe ihr einen dankbaren Blick zu, bevor ich mich Alex zuwende. „Warum? Was ist denn los?"
Nervös steigt er vom einen Fuß auf den anderen. „Naja, es ist nur...ich habe mich gefragt, ob...", stottert er.
Beruhigend nehme ich seine Hände in meine. „Hey, was ist denn? Ist es so schlimm?"
„Ich muss wissen, wie ernst deine Krankheit ist", bringt er schließlich heraus.
Nein. Ich will nicht mit ihm darüber reden. Nicht jetzt. Vor diesem Gespräch habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet. Die Wahrheit bringe ich nicht über die Lippen und belügen will ich ihn nicht, doch wenn ich gar nichts sage, wird er die Wahrheit auch wissen. Also was kann ich ihm sagen, ohne ihn direkt zu belügen? Aber ich will ihm auch keine falschen Hoffnungen machen. Scheiße, was sag ich nur zu ihm?
„Oh", meint er dann. Traurig senkt er den Blick. „Warum hast du mir nie gesagt, wie ernst es um dich steht?"
„Ich konnte nicht", antworte ich. „Ich habe es nicht über die Lippen gebracht. Außerdem hattest du doch selbst genügend Probleme mit deiner OP."
„Trotzdem hättest du es mir sagen sollen", entgegnet er. „Ich will schließlich wissen, wie es dir geht."
Ich seufze. „Okay, dann sage ich dir jetzt alles, was ich weiß. Magersucht ist eine Krankheit, an der man sterben kann. Aber um mich steht es nicht so schlecht. Nur weil ich diesen Zusammenbruch hatte, heißt das nicht, dass ich morgen sterben werde. Meine Bettnachbarin Emma, zum Beispiel, hat oft einen Zusammenbruch. Aber sie lebt immer noch. Und auch sie wird nicht so schnell sterben."
Alex sieht ein wenig beruhigter aus, aber er scheint noch Zweifel zu haben. „Aber du hast eine Chance, gesund zu werden, oder?"
Ich nicke. „Und die ist eigentlich gar nicht mal so schlecht." Ich sehe Alex tief in die Augen. „Ich verspreche dir etwas. Ich werde mich bemühen, in Zukunft mehr zu essen. Für dich."
Er lächelt mich an. „Das ist gut. Doch ich denke, du solltest es nicht für mich tun. Tu es für dich."
„Ich werde es versuchen", erwidere ich.
Da zieht mich Alex an sich und hält mich ganz fest, als hätte er Angst, ich würde sonst zusammenbrechen. Früher hätte ich vielleicht noch gesagt, dass das demütigend ist, aber jetzt bin ich froh, eine Schulter zum anlehnen zu haben. „Danke, dass du da bist", sage ich und vergrabe mein Gesicht in seiner Schulter.
„Du musst dich nicht bedanken", wehrt er ab. „Schließlich bin ich gern für dich da."
Plötzlich steigt ein seltsames Gefühl in mir auf. Was wenn ich wirklich sterbe? Ich habe Alex zwar gesagt, dass es möglich wäre, doch ich habe es ziemlich runtergespielt. Es ist nicht so unwahrscheinlich, dass ich sterbe, wie er denkt. Es ist nicht fair, dass ich ihm das antue.
Vorsichtig löse ich mich von ihm. Ich kann ihm gar nicht in die Augen sehen. Und ich kann auch nicht glauben, was ich jetzt gleich sagen werde. „Du solltest nicht für mich da sein."
Verwirrt sieht er mich an. „Was meinst du damit?"
„Das Problem ist", - ich muss eine kurze Pause machen, um Luft zu holen - , „dass ich nicht das für dich empfinde, was du für mich empfindest."
Verwirrt lässt er mich los. „Was soll das heißen?"
„Du bist echt ein toller Kerl", meine ich, „aber ich liebe dich einfach nicht. Tut mir leid. Ich hätte es dir viel früher sagen müssen."
Der Blick, mit dem er mich ansieht, schmerzt in meiner Brust. Ich kann gar nicht länger hinsehen. Oh Gott, was tue ich ihm da bloß an? „Das war also alles nur ein Spiel?", fragt er empört.
„Tut mir leid", entschuldige ich mich noch einmal. „Ich wollte dich nicht verletzen." Wenigstens das ist die Wahrheit.
„Das hast du ja super hingekriegt!", schreit er mich an. In seinen Augen stehen Tränen. Eigentlich hätte ich gedacht, er würde mir sagen, er hätte auch nur mit mir gespielt, aber er ist wohl zu fassungslos, um mir etwas vorzuspielen.
Ich fasse ihm an seinen Arm. „Du findest sicher ein Mädchen, das dich so liebt, wie du es verdienst", sage ich. Allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht.
Er zieht seinen Arm weg. „Du warst das erste Mädchen, für das ich mich wirklich interessiert habe!" Dann geht er.
Völlig erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Was habe ich nur getan? Wenn ich an Alex' schmerzverzerrtes Gesicht denke, will ich sofort zu ihm rennen, ihm die Wahrheit sagen und ihn in den Arm nehmen. Doch so, wie es jetzt ist, ist es wohl besser für uns beide.
Ich werfe meinem Ex-Freund noch einen langen Blick zu. Leb wohl, Alex. Ich wünschte, er würde sich noch einmal umdrehen, aber das tut er nicht. Und das ist auch besser so.

Du arroganter Arsch! {Club der roten Bänder}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt