fünf

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„Das war ein lustiger Abend." Quinn umarmt mich, als wir vor der Haustür meiner Eltern stehen. Etwas steif erwidere ich.
„Wir sehen uns am Montag in der Schule, okay?" Sie lächelt nochmal und geht dann ein Haus weiter. Wo ihre Schwester abgeblieben ist, weiß ich nicht, aber es ist auch egal. Luisa ist zwar ganz in Ordnung, aber sie ist eben nicht Quinn.

Als ich in meinem Bett liege, denke ich an die vergangenen Stunden.

„Gefällt es dir hier, Quentin?" Ich schaue mich im Baumhaus um. Es sieht hier aus wie in diesen romantischen Filmen, die ich Sonntagabend mit meiner Mutter und Schwester schauen musste.
„Ist schön.", murmle ich und schaue mich weiter um. Überall hängen Lichterketten, Kerzen. Es gibt ein Sofa mit Kissen und Decken, gemütliche Sitzkissen, ein kleiner Tisch und alles war bunt.
„Möchtest du einen Tee?" Verwundert sehe ich zu Quinn. „Hast du hier Strom?"
„Cool oder? Ich weiß nicht wer das Baumhaus gebaut hat, aber wer auch immer es war, hat sich auf jeden Fall Gedanken gemacht."
Natürlich ist es irgendwie logisch, dass Quinn das Baumhaus, in der kurzen Zeit in der sie hier war, nicht allein gebaut hat. Doch jetzt wo mir klar wird, dass ich keine Ahnung von dem Erbaujahr habe, fühle ich mich sehr unwohl. Wer weiß wie alt das ist? Und vor allem wie sicher?
„Hier, nimm." Ich schrecke aus meinen Gedanken und sehe, dass Quinn mir eine dampfende Tasse Tee vor die Nase hält. Ich nehme sie unsicher entgegen.
„Das ist ganz normaler Tee... zum Trinken. Der ist nicht schlecht oder so." Quinn zeigt ihre geraden weißen Zähne als sie lacht und das ist so süß.
„Hier bin ich eigentlich Tag und Nacht, wenn ich nicht gerade in der Schule oder zuhause bin. Das ist mein Rückzugsort verstehst du? Erzähl bitte Niemandem davon..."

Ich lächle, wenn ich an Quinns süßes Gesicht denke. Ihre Stupsnase, ihre großen blauen Augen, die einen immer so erwartungsvoll anschauen, die langen geschwungen Wimpern, welche ihre Augen noch mehr strahlen lassen. Ihr zottliger Bob, der ihr Gesicht so spielerisch umrahmt.
Sie ist wie ein Kunstwerk...

Der Rest des Wochenendes vergeht ohne weitere Vorkommnisse und bald ist auch schon wieder Montag. Wie immer stehe ich 6:41 Uhr an der Bushaltestelle. Ein paar Minuten später kommt Quinn, barfuß wie sonst auch immer, mit ihrem Skateboard angerollt. Als sie mich sieht, beginnt die zu lächeln. Mein Herz schlägt bei diesem Anblick um einiges schneller.
„Hey Quen, wie war dein Wochenende?"

Wir unterhalten uns an der Haltestelle, im Bus und in der Schule, da wir ja jetzt zusammen Mathe haben, über unser Wochenende. Beziehungsweise mehr sie redet und ich lausche ihrer Stimme.
„Am Mittwoch müssen wir Chemie vortragen. Bist du bereit?" Meine Augen werden groß, es bildet sich ein Kloß in meinem Hals, meine Gesichtsfarbe verschwindet. Dies bemerkt auch Quinn, welche mir vorsichtig über den Rücken streicht.
„Ich kann reden wenn du willst."

Ich hasse es vor vielen Menschen zu reden. Alle schauen dich an und warten förmlich darauf, dass du ein Fehler machst. Jedesmal werde ich nervös, schwitze und zapple mit den Beinen. Ich kann mit so viel Aufmerksamkeit einfach nicht umgehen. Andere Menschen, wie Quinn zum Beispiel, lieben es im Mittelpunkt zu stehen. Und sie können es auch... Wenn ich mitten in einer Menschenmenge stehe, dann werde ich regelrecht panisch und weiß nicht mehr wo oben und unten ist. Nicht weil ich an Klaustrophobie leide, eher an der Angst vor Aufmerksamkeit.

„Ja, das ist gut.", murmle ich, um Quinn endlich zu antworten.

Eh ich mich versehe ist Mittwoch und wir haben Chemie. Unser Vortrag läuft gut, obwohl Quinn nicht viel Ahnung von dem hat, was sie da erzählt. Als sie mit einem klassischen: „Das war unsere Präsentation. Wir hoffen es hat euch gefallen." endet, atme ich erleichtert aus. Das wäre geschafft. Wir setzen uns zurück auf unsere Plätze. Der Lehrer beginnt mit der Auswertung und ich lächle rüber zu Quinn. 
„Das hast du toll gemacht." Diese sieht mich überrascht an, lächelt aber schließlich auch. „Danke, wie du auf die verschiedenen Bilder gezeigt hast, sah auch sehr bezaubernd aus." Sie beginnt zu kichern und ich schmunzle bei dem Klang.

„Alles in allem bekommt ihr für eure Leistung eine zwei."
Quinn klatscht in die Hände und fällt mir um den Hals. Etwas steif lächle ich und klopfe ihr vorsichtig auf den Rücken. Anscheinend freut sie sich über die Note und auch ich finde eine zwei nicht schlecht.

Die Woche vergeht und Quinn und ich sind eigentlich die ganze Zeit zusammen. Außer wenn wir unterschiedlichen Unterricht haben oder einer auf Toilette muss, dann trennen wir uns für ein paar Minuten. Und wenn wir zuhause sind natürlich.

Es ist wirklich schön eine Person zu haben. Ich meine um sich zu haben... Während ich mit diesem Mädchen in einem Raum bin, werde ich glücklicher und glücklicher von Sekunde zu Sekunde. Sie schafft das, was bisher noch Niemandem geglückt ist. Mit ihr zusammen kann ich lachen.

„Quentin? Luisa und ich gehen heute wieder auf eine Party. Kommst du mit?" Ich denke zurück an die letzte Party.
„Das erscheint mir keine gute Idee.", murmle ich zögerlich.
„Diesmal wirst du sicher keine Drogen nehmen. Jetzt weißt du ja, wie die aussehen." Quinn lacht und kneift dabei ihre Augen zusammen. Ich schaue mich um, ob auch ja niemand uns gehört hat.
„Psst, nicht so laut!"
„Ach keine Sorge, Quen. Die Hälfte der Schule hat schon mal an einem Joint gezogen."

Die letzten beiden Stunden am Freitag haben Quinn und ich getrennt voneinander. Sportunterricht - das schlimmste, unfairste Fach der Welt.
Unser Sportlehrer lässt uns gerade fünf Runden einlaufen. Ich höre ein Schnaufen von hinten und weiß, dass Noah gerade versucht, zu mir aufzuschließen. Sofort verschnellere ich meine Schritte. Er ist wirklich der Letzte, mit dem ich reden will.
„Hey Quentin...", schnauft Noah plötzlich neben mir. Wie ist er da so schnell hingekommen?
„Du sag mal... Du und dieses... Mädchen. Wie heißt sie nochmal?" „Quinn.", antworte ich trocken. „Richtig, richtig... Fickst du sie?" Ich bleibe stehen und ein paar Schüler rennen gegen mich, welche sich schließlich lauthals beschweren. Noah bleibt auch stehen und dreht sich zu mir um. Fragend blicken seine dümmlichen Augen in meine. „Nein.", sage ich monoton und laufe wieder an den anderen Schülern vorbei.

Am Nachmittag, als ich nach Hause komme, öffnet mir meine Schwester Deliah die Tür.
„Entchen! Schön dich wieder zu sehen." Ich verdrehe die Augen, als sie mich umarmt.
„Wie geht es dir? Und wie geht es deiner kleinen Freundin? Quinn hieß sie, richtig?" Ich laufe an ihr vorbei und geselle mich ins Esszimmer, wo meine Mutter mir schon mein etwas verspätetes Mittag hingestellt hat.

„Nein, ich ficke sie nicht.", murmle ich und komme somit ihrer vermutlichen Frage zuvor. Meine Schwester reißt die Augen auf und schaut mich seltsam an. „Okaaaay..., Danke für diese Information." Sie sieht mich unbehaglich an und ich zucke einfach mit den Schulter.
„Sei doch nicht immer so..." Ich unterbreche sie.
„Wie bin ich denn?" Dabei löffle ich meine Nudelsuppe.
„So emotionslos. Quentin... Ich weiß du kannst nichts dafür, aber ich habe dich neulich mit diesem Mädchen gesehen. Mit ihr lachst du doch auch. Ich weiß nicht wie sie das anstellt, aber ich bin wirklich neidisch auf sie."

Ich blicke hoch. Deliah schaut mich traurig an. Ich kann für sie kein Mitgefühl oder keine Trauer empfinden. Ich kann es einfach nicht...
„Du bist mein Bruder. Egal was du tust, ich liebe dich." Sie legt ihre Hand auf meine und ich versteife mich.

Wieso versteht mich denn keiner? All diese Freundlichkeiten mit denen ich nichts anfangen kann. Menschen lächeln einander an obwohl es ihnen schlecht geht oder sie sich nicht leiden können - warum? Es gibt diese verrückten Verhaltensvorschriften, die die Gesellschaft vorgibt und wenn du dich nicht daran hältst, wirst du schief angeschaut - warum? Wieso ist es komisch, wenn man gern allein ist? Wieso bin ich komisch, nur weil ich anders bin als die Meisten? Wieso versteht mich denn keiner?

Es klingelt an der Tür und ich weiß, dass es Quinn ist. Ich bin allein zuhause und außer ihr interessiert sich niemand für mich. Als ich dann jedoch die Tür öffne, steht Luisa vor mir. Sie lächelt wie immer und ich fühle mich gezwungen dieses zu erwidern.
„Hey Quentin. Bist du bereit?" Ich trete etwas aus der Tür und sehe mich draußen um.
„Wo ist denn Quinn?" Luisa sieht mich unsicher an. „Hat sie dir nicht Bescheid gesagt?" Verwundert schaue ich dem Mädchen in die Augen. Weswegen sollte sie mir Bescheid geben?
Als würde Luisa meine Gedanken lesen, sagt sie: „Ihr geht es nicht gut und sie bleibt heute lieber Zuhause."
„Oh...", kann ich darauf nur antworten. Was soll ich auch groß dazu sagen? Dank Quinn muss ich den Abend jetzt allein mit Luisa verbringen. Sie ist natürlich ganz nett, aber nun mal nicht Quinn.
Was soll ich jetzt tun? Ob ich mich irgendwie rausreden kann? Nur wie? Nicht gerade eine meiner leichtesten Übungen...

GefühlsblindheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt