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Die restliche Woche vergeht schnell und eh ich mich versehe, sitze ich mit Quinn neben mir auf dem Beifahrersitz im Auto meiner Eltern. Auf den Plätzen hinter uns liegen unsere Taschen, gefüllt mit ein paar Klamotten, Geld und Proviant. Wir werden ungefähr 4h unterwegs sein. Das ist die längste Zeit die ich je am Stück Auto gefahren bin.

„Hast du eigentlich einen Führerschein?", kommt mir spontan in den Sinn und frage ich daher Quinn.
„Äh nein. Ich glaube ich will auch keinen machen." Das finde ich verwunderlich. Immerhin ist das heutzutage eine Seltenheit.

Es ist wieder Ruhe im Auto, nur das Radio läuft. Ich weiß nicht so wirklich was ich sagen soll. Irgendwie steht immer noch etwas zwischen uns. Wahrscheinlich hätte ich sie nicht küssen dürfen. Andererseits hatte sie es erwidert. Ach verdammt, das bringt doch alles nichts.
Daher frage ich: „Sag mal Quinn..., wieso ist es so komisch zwischen uns?" Ich möchte endlich wissen, warum sie mich so quält und was ich tun kann um dies zu ändern.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie ihre Stirn runzelt.
„Wie erkläre ich das am besten damit du es auch verstehst?" Sie tut so als würde sie angestrengt nachdenken.
„Du hast dich erst mit meiner Schwester getroffen und sie geküsst, nur um danach mich zu küssen. Hätte ich damals schon gewusst, oh man, ich hätte dir sowas von eine gescheuert. Sowas geht doch nicht!"
Also jetzt wo sie es sagt... Wahrscheinlich war das nicht sehr schlau von mir.
„Du darfst ihr nie etwas davon erzählen, okay?", fährt sie fort.
„Quinn, lass gut sein. Das mit uns war ein Ausrutscher, das hatten wir doch geklärt. Wird nicht wieder vorkommen, okay?", versuche ich mich rauszureden. Sie schnaubt und kreuzt die Arme. Dann murmelt sie: „Arsch."
Verdammt, wie man es macht, macht man es falsch.

Die Fahrt verläuft super langweilig. Wir reden überhaupt nicht und es läuft semi gute Musik im Radio. Scheinbar erbarmt sich Quinn und verbindet ihr Handy über Bluetooth, um bessere Musik anzumachen. Schon nach den ersten paar Tönen erkenne ich das Lied.
„You would not believe your eyes, if ten million fireflies, kit up the world as I fell asleep...", singt Quinn sofort mit.
Ich muss lächeln. Dieses Lied macht einfach immer gute Laune. Ich steige mit ein und zusammen singen wir zu dem Lied.

Als ich unauffällig zu ihr rüber schiele, sehe ich ihr Lächeln. Sie schaut mich nicht an, sondern dreht ihr Gesicht Richtung Fenster. Trotzdem kann ich nicht aufhören sie anzuschauen. Mein Herz macht einen Hüpfer. Sie ist so schön.
Quinn schaut zu mir rüber und grinst mich an. In dem Moment bin ich wirklich glücklich. Ich habe das Gefühl, dass langsam alles wieder besser wird.

Doch dann geht alles ganz schnell. Ich vernehme ein Hupen, ein ziemlich lautes sogar. Als ich auf die Straße zurückblicke, ist es schon zu spät. Ein anderes Auto fährt in Unseres rein.

Das nächste was ich sehe ist eine weiße verschwommene Wand. Nach ein paar mal blinzeln, verstehe ich, dass das vor mir eigentlich über mir und somit die Decke ist. Ich liege in einem Krankenhauszimmer. Erschrocken über die Erkenntnis blicke ich an mir herunter. Bei der hektischen Bewegung spüre ich meine Kopfschmerzen. Reflexartig fasse ich mir an den Kopf. Da ist ein kleiner Verband. Ich schaue mich im Zimmer um. Mein Hals fühlt sich trocken an und deshalb bin ich sehr froh, dass ein Glas Wasser neben mir steht.
In dem Moment, in dem ich ansetze, kommt meine Mutter ins Zimmer.
„Quentin du bist wach!", ruft sie erfreut. Ich lächle leicht, um ihr zu zeigen, dass es mir einigermaßen gut geht.
„Hi Mom."
„Wie geht es dir?", fragt sie trotzdem.

Sie erklärt mir wie es zu dem Unfall kam. Ich sein wohl auf die gegnerische Fahrbahn geraten und gegen ein anderes Auto gefahren. Schamröte steigt in mir auf. Es war mir schrecklich unangenehm, dass ich so unaufmerksam war. Plötzlich kommt mir ein Gedanke:"Mom, wie geht es Quinn?"
Sie streicht mir beruhigend über den Kopf, durch meine Haare.
„Es geht es gut, ein paar Kratzer, aber sie war zum Glück nicht auf der Fahrerseite."
Ich werde kreidebleich. Nicht nur ich und Quinn waren von dem Unfall betroffen, sondern auch noch der andere Fahrer.
„Wie geht es dem anderen Fahrer?" Ich schlucke, habe einen richtigen Kloß im Hals. Meine Angst vor ihrer Antwort wird immer größer. Was, wenn ich jemandem sein Leben genommen habe? Weil ich meine Augen nicht von Quinn wenden konnte. Das würde ich mir niemals verzeihen können.
„Keine Angst Quentin, dem geht es auch einigermaßen gut. Zum Glück hat er noch abgebremst als er dich gesehen hat, weswegen der Aufprall nicht so stark war."
Ich atme erleichtert aus. Also hat es den Richtigen getroffen. Mich hat es am härtesten getroffen und Anders habe ich es auch nicht verdient. Immerhin bin ich schuld an dem Unfall...

Mir wird erklärt was ich für Verletzungen erlitten habe. Eine Gehirnerschütterung und eine Oberschenkelprellung. Sonst bin auch ich mit ein paar Kratzern davon gekommen.

Am Nachmittag klopft es an meine Tür. Herein kommt Quinn. Sie hat ein Pflaster auf der Stirn, doch sie lächelt mich an. Ihr Arm hängt leicht herunter als würde ihre Schulter weh tun. Vielleicht hatte meine Mutter ja ein bisschen untertrieben, damit ich mich nicht noch schlechter fühle.
„Hey.", flüstert sie schon fast, während sie sich auf mein Bett setzt, darauf bedacht mein Bein nicht zu berühren.
„Hi."

Danach bleibt es erstmal ruhig. Ich schließe die Augen und genieße die Stille.
„Gott Quentin es tut mir alles so leid." Überrascht öffne ich die Augen. Ihr tut es leid? Habe ich irgendeine Erinnerungslücke und in Wahrheit ist sie am Ende gefahren?
Im nächsten Moment schon fällt sie mir in die Arme. Ich nehme ihren Duft nach Vanille wahr.
„Dieser Unfall ist meine Schuld.", jammert Quinn weiter. Ihre Haare fallen in mein Gesicht und ich rieche ihr Shampoo.

„Wieso ist es deine Schuld? Ich bin gefahren.", murmle ich schließlich, während sie noch immer an mir hängt.
Jetzt löst sie sich leider von mir und ich wünsche mir, dass ich mit meiner Antwort noch ein bisschen gewartet hätte.

Sie setzt sich auf den Stuhl neben meinem Krankenhausbett. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie sich wieder aufs Bett gesetzt hätte.
„Ich weiß auch nicht so Recht. In dem Moment des Aufpralls habe ich mich einfach schuldig gefühlt. Irgendwie... ich hab dich in dem Moment abgelenkt und du hast deshalb zu mir geschaut und nicht auf die Straße." Ich lächle leicht, um ihr verstehen zu geben, dass ich das anders sehe, aber irgendwie kommt meine Message nicht an.
„Du hättest auch einfach nur still dasitzen können und ich müsste dich trotzdem anschauen." Quinn wird ein bisschen rot im Gesicht.
„Okay...", murmelt sie nach einiger Zeit, „aber es ist ja nicht nur das." Verwundert schaue ich sie an.
„Wegen mir sind wir doch überhaupt erst dorthin gefahren..." Sie schaut mich verzweifelt an. Langsam beginne ich zu glauben, dass ihr Kopf ein paar Schäden davongetragen hat. Meine Idee war es zu Louisa zu fahren mit dem Auto meiner Eltern.
Also erkläre ich Quinn meine Sicht der Dinge, aber sie schüttelt vehement den Kopf.
„Es war vielleicht deine Idee, aber hätte ich dich nicht so angemeckert, dass du dir mehr Mühe mit meiner Schwester geben sollst...", sie seufzt.
„Quentin, ich weiß, dass du nicht auf die stehst. Ich bin ja nicht blöd!"

Ich schlucke. Damit hat sie wohl recht. Auch damit, dass ich einfach nicht auf Louisa stehe. Wahrscheinlich wird es endlich Zeit mir das einzugestehen und zu 100% hinter meiner Meinung zu stehen und sie nicht immer zu wechseln, so wie es gerade passt.

„Ich wollte dich nicht verletzen, was ich getan hätte, indem ich deine Schwester verletze.", gestehe ich nun ehrlich.
Quinns Reaktion auf meine Aussage fällt gemixt aus. Zum einen lächelt sie, aber ihre Augen sehen mit Tränen gefüllt aus. Sie kommt wieder auf mich zu und umarmt mich.
„Du bist wirklich ein toller Freund. Dir ist das wohl anderer wichtiger als dein eigenes." Meine Reaktion darauf fällt auch gemischt aus. Es ist nett was sie sagt, aber eben nur nett.
Freund... das klingt schrecklich, aber wenn sie es so möchte. Trotzdem will ich noch einen letzten „Versuch" unternehmen.
„Quinn, ich bin nicht so toll zu dir, weil ich einfach nur dein Freund sein will."
Sie lächelt, aber es wirkt immer noch traurig.
„Ja, das weiß ich Qu." Mein Herz klopft schnell.
„Aber...", setzt sie fort, „Ich kann diese Gefühle für dich nicht erwidern. Also zumindest im Moment nicht. Vielleicht ändert sich das auch nie. Ich weiß es nicht... Ich mein, ich bin gerade mal 17, ich bin noch ein Teenager. Wer weiß, was noch passiert."
Ich versuche ihre Worte zu verarbeiten. Es ist nicht so, dass ich sie nicht verstehen kann. Für ihre Gefühle kann sie nichts. Das weiß ich am besten, immerhin habe ich das Problem bei Louisa auch.
„Okay, dann also einfach Freunde.", murmle ich ein wenig traurig.
„Freunde.", sagt Quinn und lächelt leicht.

GefühlsblindheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt