SV 1906

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,,Was habt ihr denn so lange gemacht?", fragte Dodo, als ich mich zu ihr ins Wohnzimmer setzte. ,,Brief geschrieben, Brief überbracht und Stadion renoviert", antwortete ich. ,,Was denn für einen Brief?" ,,Also alles musst du ja auch nicht wissen!" ,,Schon gut! Was hast du eigentlich so in den Ferien vor?" ,,Gleich am ersten Feriensamstag Spiel gegen den SV 1906 und acht Tage später Spiel gegen die Nationalmannschaft." ,,Aber wir wollten doch gleich am Samstag Morgen nach München fahren!" ,,Sorry, muss ausfallen. Meine Freunde gehen vor. Ohne mich dürfen sie nicht spielen, wenn Müller nicht zurück kommt." ,,Aber in so einem Fall muss die Familie vorgehen!" ,,Es geht um die echte Nationalmannschaft! Ich kann sie da auf keinen Fall hängen lassen! Und auch nicht gegen den SV!" ,,Oh nein! Du gehst weder zum einen noch zum anderen Spiel! Wenn wir in München waren, kannst du ja beim Spiel gegen die Nationalmannschaft zu gucken. Und bis dahin gehst du nicht mit denen trainieren!" ,,Das kannst du mir nicht vorschreiben! Du bist nicht meine Mutter!" Mir wurde sofort bewusst, was ich gesagt hatte und ich wollte es sofort zurück nehmen, aber stattdessen rannte ich hoch in mein Zimmer und stopfte alle Schulsachen für die nächsten Tage in meinen Rucksack. Als ich hörte, wie unten Forever angemacht wurde, ging ich runter in die Küche und schmierte mir einen ordentlichen Stapel Brote. Ich stopfte sie ebenfalls in meinen Rucksack und nahm noch einen Löffel, Marmelade und den restlichen Toast mit, dann schlich ich mich am Wohnzimmer vorbei und durch die Haustür in die Garage. Ich stieg auf mein Fahrrad und raste los Richtung Camelot. Dort angekommen erklomm ich in Rekordzeit die Leiter und ließ oben meinen Rucksack fallen. Ich rutschte an der Wand runter auf den Boden und murmelte: ,,Ich bin so bescheuert!" Ich zog mein Handy raus und stellte mir für den folgenden Morgen den Wecker. Ich räumte noch den Toast und die Marmelade aus meinem Rucksack raus, dann legte ich mich auf meinen Rucksack und pennte irgendwann zum Glück ein. Als ich am Morgen darauf aufwachte, fragte ich mich als erstes, ob ich den Weg zur Schule finden würde, aber als ich dann auf mein Fahrrad saß, wusste ich irgendwie aus Instinkt, wo es lang ging. Als ich an der Schule ankam, kamen auch gerade Leo und Elias an. ,,Wieso warst du heute Morgen nicht zu Hause?", fragte Elias verwirrt. ,,Bin abgehauen. Gestern Abend", antwortete ich, ,,Sie wollte mir nicht erlauben, die beiden anstehenden Spiele mit euch zu spielen und sie wollte mir auch verbieten, mich mit euch zu treffen." ,,Was für eine Schreckschraube!", beschwerte sich Leo, dessen Laune sich offensichtlich nicht gebessert hatte, ,,Sie kann dir doch nicht verbieten, wild zu sein!"

Als die sechste Stunde endlich vorbei war, sprinteten wir schnell nach draußen. Ich schärfte den Jungs ein: ,,Wenn sie euch fragen sollte, wo ich bin, dann sagt ihr bitte, dass ich erst zurück komme, wenn sie mir verspricht, dass wir nicht nach München fahren!" ,,Sagst du uns denn wenigstens, wo du bist?" ,,Camelot!" Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr wieder zurück zu Camelot. Als ich wieder oben im Baumhaus saß, bemerkte ich, dass dort noch jemand saß. Es waren Alina, Liah und Jules. ,,War nicht leicht zu finden, aber wir hatten deine Tante gefragt, wo du in letzter Zeit so hin wolltest, und hier der Fasanengarten erschien uns am merkwürdigsten", erklärte Jules sofort. Ich ließ mich auf den Boden plumpsen und wir fingen an, uns zu unterhalten, so wie wir es früher immer getan hatten. 

Ich war schon vier Tage im Baumhaus. Es war bereits Sonntag. Ich saß gerade mit den Jungs im Baumhaus, als jemand auf die Brücke draußen sprang. Ich ging zur "Tür" und erkannte meinen Cousin. ,,Müller kommt nicht. Das soll ich ganz besonders dir sagen Leo!", kam er gleich zum Punkt. ,,Ach ja? Und wieso sagt sie uns das nicht selbst?", rief Leo zurück. ,,Das wird sie. Sie kommt am Samstag, um euch beim verlieren zu zusehen", meinte mein angeblicher Cousin spöttisch, ,,Das wird bestimmt ganz großes Kino!" Er verschwand so schnell, wie er gekommen war (zum Glück), aber stattdessen hörte ich den Motor eines Autos. Ich spähte um die Ecke und sah, wie Dodo ausstieg. Sie kam mit festen Schritten aufs Baumhaus zu und kaum, dass sie direkt unter der Brücke stand, legte sie auch schon los: ,,Ich verspreche dir, dass der Ausflug nach München ausfällt und das du spielen darfst, aber begeistert bin ich davon immer noch nicht!" ,,Bitte! Dann komme ich halt zurück!", meinte ich, obwohl ich nicht gerade von ihren Worten überzeugt war. Gesagt, getan. Leider. Die Sache mit dem unkompliziert zwischen uns war nämlich vorbei. 

Die letzten Tage bis zu meinem ersten Spiel zogen sich im Schneckentempo dahin. Besonders die letzten Schultage. Dann war es endlich soweit. Ich stand extra früh auf, zog mir das Trikot (ein Top mit Polohemdkragen) mit der Hose an und sprintete runter in die Küche, um mir ein kleines Frühstück zu machen. Ich entschied mich für Toast mit Frischkäse. Ich raste nach draußen (nicht ohne meinen Haustürschlüssel mit zu nehmen), in die Garage und schwang mich auf mein Fahrrad. Auf der anderen Straßenseite stürmten gerade Leo und Elias aus dem Haus. 

Wir rasten los zum Stadion des SV, wobei wir uns dachten: Wer nichts hat, der kann auch nicht verlieren! Im Stadion begrüßte uns der freundliche Trainer des SV (ach, hallo Sarkasmus! Schon ewig nicht mehr gesehen!). Er stieß die Tür zu einer der Kabinen auf und der Anblick schockierte uns alle: Überall Dreckklumpen und Müll! ,,Wir wollen sofort eine andere Kabine!", empörte sich Leo sofort. ,,Sind alle belegt", meinte der Trainer, ,,In zwei Minuten pfeif ich an!" Er knallte die Tür wieder zu, ich schnappte mir meine Schuhe und ging auf den Flur, um auf die Jungs zu warten. Irgendwann hörte ich Oskar rufen: ,,Beim schleimglibbrigen Höllenklobürstensalat! Lele!" Ich riss die Tür auf, ging rüber zu Oskar und sah den Notfall. Der Koffer mit den Trikots der Jungs war leer! Bis auf einen Zettel und auf dem stand: Hallo mein Cousinchen! Das ist meine letzte Warnung! Entscheide dich, auf welcher Seite du stehst!

Ich war sprachlos. Das meine ich wortwörtlich. ,,Leo, was machen wir jetzt?", fragte Oskar verzweifelt. Er antwortete: ,,Wir... Wir müssen halt mit dem spielen, was wir haben. Es fehlen ja nur noch die Schuhe!" Als er geendet hatte, zweifelte ich an meinem Verstand. ,,Die zwei Minuten sind um!", rief der bescheuerte Trainer durch die Tür. 

Als wir auf den Platz liefen, wurden die Jungs gründlich ausgelacht. Ich war in diesem Moment wirklich froh, dass ich mein Trikot schon am Vortag bekommen hatte! ,,Was lacht ihr denn so dämlich?", fragte Leo, woraufhin die vom SV verstummten. Der Trainer pfiff an und wir verteilten uns über den Platz. Elias war im Ballbesitz. Ich lief auf der anderen Feldseite entlang. Plötzlich wurde Elias angegriffen und schoss den Ball gerade noch rechtzeitig zu mir rüber. Kurz vor dem Tor gab ich ab an Leo. Der schoss gegen die Latte. Ich folgte dem Ball im Rückwärtslaufen und als ich nach ein paar Schritten angekommen war, ging ich in die Knie, sprang in Seitenlage hoch und verpasste dem Ball einen ordentlichen Tritt Richtung Tor des SV. Der Torwart sprang dem Ball entgegen, doch der flog genau in die Mitte vom Netz. ,,Los, so machen wir weiter!", rief Leo. Der SV war im Ballbesitz. Der Spieler schoss aufs Tor. Finn hechtete zur Seite! Und der Ball war abgewehrt. Allerdings... wedelte einer vom SV mit seiner Unterhose rum. Ich wandte erschrocken den Blick ab und bekam so nicht mit, wie der dämliche SV das erste Tor schoss. ,,Ja! So geht das!", hörte ich jemanden rufen. Es war mein Cousin, der auf einem Dach stand. Mit den Trikots. Mit Müller. Ich warf ihm meinen Todesblick zu, aber er meinte nur hämisch: ,,Da siehst du, was passiert, wenn du dich gegen deine Familie stellst!" ,,Halt die Klappe du Vollidiot! Du weißt ja nicht mal, was wahre Familie bedeutet!", rief ich zurück.

Wir versuchten, den SV platt zu walzen, aber es war unmöglich. Ich konnte wenigstens noch ein zweites Tor schießen. Irgendwann pfiff der Trainer zum Glück in seine Pfeife und rief: ,,Halbzeit!" Es stand 9:2 für den SV und Leo war kurz vorm ausrasten. In der Kabine angekommen ließen wir uns alle resigniert auf die Bänke fallen. ,,Kake verdammte!", brüllte Leo und trat gegen einen Eimer, ,,Ich will nicht verlieren!" ,,Niemand hier will verlieren Brüderchen!", warf Elias ein. 

Plötzlich wurde die Tür mit einem Wums aufgeschlagen und Müller stand im Raum. ,,Ihr sammelt hier alle mal diese Dreckklumpen auf!", kommandierte sie, ,,Und dann wird geschminkt!" Wir (also Müller und ich) umarmten uns stürmisch und sie murmelte: ,,Ich kann dich doch nicht noch länger mit den Jungs alleine lassen." Gesagt, getan. Zum Beginn der zweiten Halbzeit kamen wir alle geschminkt aufs Feld, ich meine mit richtiger Kriegsbemahlung! Die vom SV guckten richtig dumm aus der Wäsche. Fußball spielen können sie, aber denken... Eher weniger!

Wir gingen in einer Reihe, Arm in Arm und Leo fing an: ,,Alles ist gut!" ,,Solange du wild bist!" ,,Sei wild!" ,,Gefährlich und wild!" ,,1... 2... 3...", zählte Leo runter und dann brüllten wir alle zusammen: ,,RAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!" Die vom SV wichen ein ein gutes Stück zurück. Danach ging es denen so richtig an den Kragen. Während mein Cousin sich die Haare raufte, konnten wir nur jubeln und am Ende hatten wir mit 10:9 gewonnen, auch wenn sich der SV zum Ende hin noch mal aufbaute, so wie Voldemort vor seinem Tod. Zum feiern wollten wir den Teufelstopf stürmen, doch als wir dort ankamen, war dort eine andere Flagge gehisst und mein angeblicher Cousin stand oben auf dem Beobachtungsposten. Ich hab dich gewarnt Cousinchen! Du hättest die richtige Seite wählen sollen!", rief dieser Mistkerl mir zu.    

DWK - Mein verkorkstes LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt