Prolog - Weihnachten

122 6 2
                                    


London, 24.12.1926

"Wir nennen sie Hope", sagte ein dunkelhaariger Mann, der wohl mein Vater war. "Hope? Ich weiß nicht, Derek", erwiderte eine hellhaarige Frau, vermutlich meine Mutter. "In diesen Zeiten ist das keine gute Idee, oder?" Er lächelte ein trauriges Lächeln. "Und genau das ist der Grund. Sie ist das nächste, was wir haben, das an Hoffnung herankommt." Die Stimme meiner Mutter zitterte, während sie sprach. "Aber wir werden nicht bei ihr bleiben können!" Eine Träne lief meinem Vater über die Wange. "Ich weiß, Alison. Aber sie wird es schaffen und vielleicht versteht sie irgendwann, warum wir ihr diesen Namen gegeben haben."
"Ich verstehe was du meinst, aber -" Bevor sie weitersprechen konnte, gab ich ein leises Glucksen von mir und umklammerte den kleinen Finger meiner Mutter mit meiner Babyhand. Ein Ei wäre größer als meine Hand.
Dann lächelte meine Mutter unbewusst. "Hallo, meine Kleine. Gefällt dir der Name 'Hope'?" Ich sah sie nur mit meinen großen braunen Augen an und umklammerte ihren Finger weiter. Jetzt begann meine Mutter auch zu schluchzen, so wie mein Vater es schon vor zwei Minuten angefangen hatte. "Dann heißt du also Hope." Dann wendete sie sich an ihren Mann. "Sie ist wunderschön, Derek." Er küsste meine Mutter auf die Stirn und murmelte: "So wie du." Ein Kichern entwich ihr. "Nein, sie übertrifft mich um Welten. Dich auch, du alter Charmeur." Eine kleine Stille entstand. "Ich will sie behalten", sagte sie leise. "Ich will wenigstens dafür sorgen, dass sie leben wird! So haben wir keine Gewissheit." Er schüttelte traurig aber bestimmt den Kopf. "Alison, du weißt, dass das viel zu gefährlich für jeden von uns wäre. Vorallem für sie." Er nickte in meine Richtung. Dann sah er mich einen Moment an und nahm mich hoch, sah mir direkt in die Augen. "Ich liebe dich, Hope." Meine Mutter nahm mich zurück, dabei zitterte sie so stark, dass ihr Gesicht vor meinen Augen noch mehr verschwamm, als ohnehin schon. "Und ich liebe dich auch, mein Kleines. Du wirst es schaffen, da draußen, ich weiß das. Irgendwann werden wir uns wiedersehen." Sie streichelte mir über meinen beinahe schwarzen Haarflaum, küsste mich auf die Stirn und lächelte traurig.

Plötzlich ertönte ein lautes Hämmern irgendwo hinter meinen Eltern, das mich erschreckte. "Mr und Mrs Featherstone! So wahr wir das Jahr 1926 schreiben, werde ich sie beide mit meinen eigenen Händen herausziehen, wenn sie nicht bald freiwillig herauskommen! Sie haben einen Auftrag!" Die Gesichtsausdrücke meiner Eltern konnte ich nicht ganz deuten, sie hatten Angst aber waren gleichzeitig irgendwie resigniert. "Wir ... kommen, Mr M." Seinen Namen bekam ich nicht gänzlich mit. "Wir müssen gehen, Schatz. Wir werden uns wiedersehen, versprochen!" Ein Schluchzen entwich ihrer Kehle und sie übergab mich dem Kindermädchen, das in der gesamten Zeit in einem anderen Raum gewartet hatte und still war. "Viel Glück, Derek." Zu meiner Mutter ging sie schnell hinüber und umarmte sie. "Alison. Ich werde auf sie Acht geben." Dann sah sie beide an und nickte. "Jetzt geht. Hope wird warten, genau wie ich." Meine Eltern nickten auch, lächelten als sie mich ansahen. "Bis bald, Hope. Und frohe Weihnachten", sagten beide und verschwanden durch die Tür, ich begann zu weinen. Dann wurde mein Kopf in Richtung des Kindermädchens gedreht. Diese sah mich kalt an und meinte: "Ja, du wartest. Und zwar im Kinderheim. Vorausgesetzt die nehmen so ein seltsames Kind wie dich auf." Sie verschwand mit mir auf dem Arm durch die Hintertür und lief ein paar Minuten, dann legte sie mich in eine dünne Decke gewickelt auf den Boden und klopfte. Im nächsten Moment war sie verschwunden, man konnte sie durch den Schneesturm nicht mehr ausmachen. Ich weinte immer noch, ein jedes Baby weinte ständig, wobei mein Herz sich dabei seltsam zusammenzog, es kam mir anders vor als das normale Babyweinen. Dann wurde die Tür geöffnet und ein erschrockenes "Oh Herr!" ertönte neben mir. "Komm her, du Kleine!" Und erneut wurde ich hochgenommen, dieses Mal von einer gänzlich fremden Person. "Hannah! Wir haben ein Neugeborenes, sieh nur." Wieder erschrockene Laute. "Da steckt ein Zettel in ihrer Decke..." Dann wurde an mir herumgefummelt. "Das ist Hope", las die Frauenstimme namens Hannah vor. "Hallo, Hope. Es tut mir leid, dass dein erstes Weihnachten so schlimm beginnt. Aber der 24.12.1926 schreibt ab jetzt deinen Geburtstag." Kurze Stille, dann sagte Hannah: "Bringen wir sie ins Wohnzimmer. Sie ist ganz durchgefroren."

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt