Das Angebot

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Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen. - Nelson Mandela

London, 04.01.1943


Ich schreckte durch das laute Schrillen eines Weckers hoch und schlug mir an einer Dachschräge den Kopf an. "Au! Verdammte Kacke", fluchte ich und hielt mir die Stirn. Als sich meine Augen an das hereinscheinende Licht durch das Fenster neben dem Bett gewöhnten, fragte ich mich langsam auf was für einem Bett ich zum Teufel noch mal gerade saß. In meiner Unterwäsche und einem längst verrutschtem Handtuch auf dem Kopf versuchte ich mich hier zu orientieren, was mir relativ schwer gelang. Aber nachdem ich mich mehrmals im ganzen Raum umgesehen hatte, wirklich im ganzen Raum, ich hatte sogar an die Decke geschaut, um sicherzugehen, dass kein Einbrecher wie eine Spinne von der Decke baumelte. Ich wachte in einem fremden Bett halbnackt auf, also konnte das ja auch möglich sein. Doch so langsam erschien mir das alles nicht mehr als so komplett unlogisch, da sich mein Gedächtnis aus den Fängen der Träume befreite und ich zurück in die Realität fiel. Gestern Abend hatte ich mir eine Arbeitsstelle in einer kleinen süßen Bücherei besorgt. Bibliothek konnte man es nicht nennen, da es mehr Schmökerstube als Bibliothek war, aber ich fand den Laden niedlich, abgesehen davon, dass ich nicht wirklich viel Auswahl hatte.
Und besagter Laden beinhaltete eine eventuelle Kindheitsliebe und eine dumme Kuh, die dort auch arbeitete. Und bei eben dieser eventuellen Kindheitsliebe war ich gestern duschen gewesen und war dann dort auf dem Sofa eingeschlafen! Ja, Sofa. Also was zur Hölle machte ich jetzt in einem Bett? Das zugegeben ziemlich gemütlich war, aber trotzdem nicht weniger seltsam. Möglichst leise stand ich auf und bückte mich nach meinen Klamotten, die rechts neben dem Bett gestapelt und gefaltet lagen und zog mich schnell an. Nach einem Blick in den Schrankspiegel fuhr ich noch mit meinen Fingern durch meine Haare, glättete die angezogenen Kleider und öffnete skeptisch die Tür. Mit dem Rücken zu mir saß ein Mann auf dem Sofa auf dem ich eingeschlafen war, es konnte Charlie sein, aber falls er es nicht war, brauchte ich etwas womit ich mich wehren konnte. Links neben mir war ein roter Regenschirm am Türrahmen angelehnt und genau den schnappte ich mir, unten war er ganz schön spitz. Ich richtete die Spitze vorsichtshalber auf den Hinterkopf des Mannes und räusperte mich: "Ähem." Er drehte sich um und ich konnte sehen, dass er sich ein Lachen verkneifen musste. Zu einem Grinsen wurde es dann aber doch. "Hope? Was tust du denn da?" Es war Charlie, dem Himmel sei Dank.
Ich senkte meine provisorische Waffe und ließ die Luft aus meinen Lungen entweichen. "Charlie", sagte ich, während ich jetzt etwas peinlich berührt herumstand. "Ich - ähm." Oh, das war wirklich äußerst kreativ von mir! Ich merkte wie ich rot wurde, beherrschte mich aber trotzdem, da er mich immer noch ansah und sagte: "Ich wollte nicht einschlafen! Die letzten Tage waren nur ... anstrengend. Ich werde sofort nach unten an die Arbeit gehen! Das kommt nicht noch mal vor, es tut mir sehr leid." Ich wollte eigentlich sofort durch die Tür nach unten gehen, aber er hielt mich auf einmal am Handgelenk fest. Verwundert sah ich ihn an und er bemerkte wohl auch, dass das etwas seltsam war, weswegen er seine Hand sofort wieder wegzog. Er murmelte etwas, was ich als "Ist in Ordnung" verstand, aber ich war mir nicht sicher. Ich lächelte ihn zaghaft an und verschwand dann nach unten. Wenigstens war ich pünktlich.

[...]

Bisher war die Arbeit friedlich verlaufen, es waren vereinzelte Kunden hier gewesen, die ein paar Schmöker gekauft hatten, aber ansonsten war nicht viel zu tun, also staubte ich die Regale ab.
Ich wollte die oberen Regale auch abstauben, aber ich hatte den dafür vorgesehenen Hocker zum Daraufsteigen nicht, den hatte meine Lieblingskuh aus diesem Laden: Maggie.
"Maggie?" rief ich. "Ich brauche den Hocker!" Aber ich bekam keine Antwort. Das war eigenartig, blöde Sprüche, ja, aber Ignoranz? "Maggie! Ich muss abstauben und komme oben nicht ran!" rief ich erneut. Wirklich seltsam, aber nachdem ich den Laden abgesucht hatte machte ich mir langsam Sorgen, vorhin war sie noch da gewesen.
"Lassen Sie mich!" hörte ich plötzlich gedämpft rechts von mir. Sie war in Schwierigkeiten! Schnell lief ich in ihre Richtung und sah es durch das Fenster: Sie wurde von demselben senilen alten Schleimbeutel angefasst, der mich vor ein paar Tagen in seine Sekte holen wollte.
Ich riss die Tür auf, mit einem Buch in der Hand, schrie: "Lassen Sie sie!" und schlug ihm mit voller Wucht das Buch auf den Kopf. Er taumelte zur Seite, sodass Maggie sich befreien konnte. Aber sie stand jetzt nur dumm da, also bellte ich sie an: "Jetzt verschwinde schon, du Huhn!" Jetzt erwachte sie wieder zum Leben und flüchtete in den Laden. Mr Schleimbeutel gab aber nicht auf, er schnaubte mich an. "Dich kenn' ich doch, du Schl-" Er hickste. "Schlampe." Ich wusste nicht, ob ich Ekel oder Mitleid empfinden sollte. "Geh einfach, oder ich hole die Aufseher", sagte ich laut. Plötzlich kam er ganz nah an mich heran und packte mich am Kinn. "Wo s-schind deine Manieren, Schlampe?" Dieser Alkoholgeruch brachte mich beinahe zum Würgen. Sein Griff wurde fester, deswegen zog ich ihn nah genug an mich heran, um mein Bein zwischen seine beiden Beine zu schieben und ruckartig nach oben zu ziehen. Ich traf punktgenau, er fluchte und kippte um. Nach einem verächtlichen Schnauben rief ich: "Officer! Officer! Dieser Mann wollte mich missbrauchen! Ich bin minderjährig!" Nach ein paar Momenten bogen zwei Männer in Polizeiuniform um die Straßenecke und fragten: "Haben Sie gerufen, Miss?" Ich nickte und schlang meine Arme um mich. "Er wollte mir etwas antun, für das ich noch viel zu jung bin, Officers." Ich brachte meine Stimme zum Zittern, dieser widerwärtige Kerl hatte es nicht anders verdient. Sie runzelten die Stirn. "Und wieso liegt er jetzt auf dem Boden?" fragten sie. Ich legte mir eine Hand auf die Brust und flüsterte: "Weil er durch den ganzen Alkohol umgefallen ist!" Jetzt verfinsterten sich die Mienen der beiden um einiges und sie packten ihn auf der Stelle, dann schleifte einer von beiden ihn hinter sich her. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Charlie an der Tür erschien, aber sich dann zurückhielt auf die Straße hinaus zu treten als er die Officers sah. Der zweite nickte mir zu und fragte, ob ich in Ordnung sei. Als ich nickte legte er mir eine Hand auf die Schulter und sah mich an. Als ich hochblickte sah ich in zwei undurchdringliche dunkle Augen, die zu einem äußerst attraktiven Gesicht gehörten. Waren eigentlich alle Männer denen ich begegnete attraktiv?! "Du kannst mehr, als du glaubst und wir könnten es dir beibringen", sagte er leise. "W-wie bitte?" gab ich perplex zurück. "Heute Abend um 19 Uhr. Komm zu dem großen Gebäude mit dem Friedhof davor, den du neulich so angestarrt hast. Du gehörst zu uns." Ich machte große Augen und schüttelte die Hand von ihm von meiner Schulter. Ohne ein weiteres Wort nickte er noch einmal und drehte sich dann weg. Nach ein paar Schritten war er schon wieder bei seinem Partner und half ihm bei Mr Schleimbeutel. Deutlich verwirrt ging ich zurück zu Charlie und Maggie, die mich mit einer warmen Decke und Tee empfingen. Ich hatte keine Angst vor dem Mann gehabt, aber der Officer hatte mich verwirrt und es störte mich nicht wirklich, dass sie dachten Mr Schleimbeutel hätte mich so verschreckt. Immerhin musste ich ihnen jetzt nicht erzählen weswegen ich so still war.
Sollte ich heute Abend dorthin gehen?

HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt