9 Der schmale Grad zwischen Realität und Traum

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Saskias p.o.v.

Bis über beide Ohren grinsend schloss ich meine Haustür auf und trat ein.

Die beiden hätten mal ihre Gesichter sehen sollen, einfach zum schreien komisch.

Dann hielt ich inne.
Was, wenn die mich jetzt für eine Art Genie hielten und mich in die Öffentlichkeit holten?!
Was, wenn sie schon herausgefunden hatten, dass ich nicht Saskia Jager war, dass ich nicht die war, für die ich mich ausgab?!

Ich atmete tief durch und versuchte die aufwallende Panik zu unterdrücken.

"Hallo! Nett, dass du mich begrüßt.", beschwerte sich Mitch lautstark.

"Tut mir Leid, Mitch. Ich war in Gedanken. Hey! Wie geht's?", fragte ich möglichst unschuldig.

"Wenn ich nicht elektronisch wäre, wäre ich jetzt krank vor Sorge, aber stattdessen wird dieses Geschehen in meinen Protokollen gespeichert und ich werde weiter machen wie bisher.", schimpfte mein KI.

"Tut mir wirklich echt Leid, aber ich muss dir was erzählen.", begann ich.

"Na und.", grummelte Mitch.

"Es ist etwas seltsames und geheimnisvolles.", lockte ich ihn. Für Dinge dieser Art war er immer zu haben. Bei etwas, das sein logisches Denken, seine Schaltkreise herausforderte, sagte er niemals nein.

"Na gut! Schieß los.", gab er nach.

Also begann ich zu erzählen.
Ich erzählte ihm alles, was heute passiert war.
Auch den Traum ließ ich nicht aus.

Als ich geendet hatte, herrschte eine Weile Stille.

"Cool!", kommentierte Mitch dann.

Mein Kopf fuhr hoch. "Ist das alles?"

"Ja. Du hast recht. Es ist ziemlich seltsam. Vor allem wie real alles war. Inklusive Schmerz und den anderen menschlichen Bedürfnissen. Mir fällt aber keine logische Schlussfolgerung ein.", erwiderte Mitch beinahe verzweifelt. Es musste ihm wohl sehr zu schaffen machen, dass er keine Lösung für das Problem fand.

"Bitte geh' nochmal alles durch. Ich bin Bogenschießen.", erwiderte ich.

"Ist gut. Vergiss die Antenne aber nicht.", sagte Mitch noch. Dann war ich aus dem Haus. Den Bogen in der Hand ging ich ums Haus rum und stieg dort mit der Leiter, die da stand aufs Dach. Das Metall der Antenne war schon ziemlich spröde und man musste sie immer wieder aufs neue in die Halterung stecken, weil sie sonst vom Dach fiel.

Als diese Arbeit getan war schlenderte ich in den Wald hinein. Nach gut zwanzig Minuten querfeldein stand ich vor einer riesigen Dornenhecke.

Wie immer nahm ich Anlauf, sprang und packte einen kräftigen Ast des Baumes, welcher in der Mitte der Hecke hervor ragte.

Mit einer fließenden Bewegung stemmte ich meine Füße gegen den Stamm und drückte mich ab. Ich landete fast sanft auf der anderen Seite der Hecke, wo ich mich abrollte und in einer Bewegung auch wieder aufstand.

Vor mir erstreckte sich eine große Lichtung. Eine riesige Fläche war das, die mit einem saftigen Grün bewachsen war, wurde rundherum von der Brombeerhecke eingeschlossen.
In der Mitte der Lichtung stand ein riesiger Baum. Wie alt dieser Baum war wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass er fast sechs Meter dick war.
Ja, ich hatte das ausgemessen, als ich nichts zu tun hatte, bzw. als ich eine Pause vom Hüttenbau gemacht hatte.

Als ich vor einem Jahr in Amerika ankam, lebte ich erst einmal für einen Monat auf der Straße. Ich wusch in dem See, der nicht weit von meiner Hütte entfernt lag und benutzte das wenige Geld, um nicht zu verhungern. Aus Angst vor Überfällen hatte ich mein Geld nie bei mir und versteckte es im Wald, wo es niemand fand. Trotzdem hatte ich Glück im Unglück gehabt. Ein bisschen Glück hatte ich wohl aus Deutschland in der Form eines Selbstverteidungskurses mitgebracht, den ich vor Jahren gemacht hatte. Der größte Teil meines Glücks kam aber von einer, bzw. mehreren fremden Personen.
Ich war noch ziemlich spät unterwegs und schon halb aus der Stadt, auf dem Weg zu meinem Schlafplatz, als ich ein paar Männer traf, die mich ziemlich anziehend fanden. Diese Schweine brachten das auch zum Ausdruck. Sie bedrängten mich. Schubsten mich herum und rissen an meinen Klamotten. Ich war ihnen hilflos ausgeliefert gewesen.
Damals hatte mich Melanie gerettet und mit zu sich genommen. Dort wohnte ich bestimmt fünf Monate mit ein paar anderen Jugendlichen in einem verlassenen Bürogebäude in Downtown. ich lernte von den anderen mich zu verteidigen und lernte mit den anderen alles, was es zu lernen gab, denn trotz unserer damaligen Lage, hatten wir gute Aussichten irgendwann einmal ein besseres Leben leben zu können und einen guten Job zu kriegen.

My new FamilyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt