Vertrauen

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Dean hasste Werwölfe. Gut, er hasste alle Arten von Monstern, aber Werwölfe hasste er gerade besonders. Immerhin war es die Schuld eines Werwolfes, das er mitten in der Nacht mit einer Taschenlampe und einer Pistole bewaffnet durch den Wald rannte, während ihm immer wieder Zweige ins Gesichts klatschten und an seiner Kleidung zerrten. Sam rannte neben ihm, und Cas musste irgendwo ganz in der Nähe sein, zumindest hoffte Dean das.

Sie hatten den Werwolf endlich aufgespürt, aber das Vieh hatte Fersengeld gegeben. Warum mussten Werwölfe so verdammt gut zu Fuß sein?

Das Geräusch brechender Zweige vor ihnen kam abrupt zu einem Halt. Dean rannte gerade noch rechtzeitig auf eine kleine Lichtung hinaus, um zu sehen, wie Cas eine Hand gegen die Stirn des Werwolfs drückte. Licht strömte aus Augen und Mund des Monsters, dann sackte es zusammen.

„Wo warst du so lange, Cas?"

„Gern geschehen, Dean. Es freut mich auch, dich zu sehen."

Ganz in der Nähe kicherte Luzifer. Er lehnte entspannt an einem nahen Baum. „Süß, oder? Mein kleiner Bruder lernt Sarkasmus." Idiot.

Sam starrte auf den Werwolf hinab. „Das wäre erledigt."

Im nächsten Moment ließ sie das Knacken eines Zweigs aufhorchen. Selbst Luzifer stand mit einem Mal aufrecht, alarmbereit. „Da sind noch mehr."

„Dean ...", begann Cas im selben Moment. Aber weiter kam er nicht. Eine klauenbewehrte Hand wurde auf eine Sigille am Stamm eines Baumes vor ihnen gedrückt. Die henochischen Zeichen flammten auf, und mit einem Mal war Cas verschwunden.

Woher zur Hölle wusste ein Werwolf, wie man Engel bannte?

„Dean!", rief Sam. Mehrere Werwölfe traten zwischen den Bäumen hervor. Dean ließ ihnen keine Gelegenheit, irgendetwas zu versuchen. Er feuerte sofort mehrere Silberkugeln ab. Neben ihm tat Sam dasselbe.

Jeweils einer ihrer Schüsse traf, dann waren die Werwölfe über ihnen. Dean rollte sich zur Seite ab, feuerte wieder, schickte einen weiteren Werwolf zu Boden. Ohrenbetäubendes Heulen hallte durch den Wald. Er war sich nicht sicher, ob er darunter Sam schreien hören konnte. Ein dritter Werwolf sprang auf ihn zu und fing sich eine Silberkugel.

„Dean! Sam!" Das war Luzifers Stimme. Für einen Moment fragte sich Dean, warum der Teufel nicht genauso gebannt worden war wie Cas, bis ihm wieder einfiel, dass Luzifer nichts weiter als eine Halluzination war. Aber warum zur Hölle klang er so besorgt?

Dann fiel Deans Blick auf seinen Bruder. Sam lag am Boden, zwei Werwölfe über ihm. Mit einer Hand hielt er sich die Seite, mit der anderen hob er seine Waffe noch einmal, um einem seiner Angreifer eine Kugel in den Schädel zu pflanzen. Der andere allerdings biss zu. Sam schrie erneut auf.

„Sam!"

Deans Ruf hatte ein Echo, fast als hätte Luzifer zur selben Zeit dasselbe geschrien. Ein letzter Schuss fällte den letzten Werwolf, aber es war zu spät. Als Dean sich neben Sam kniete, sickerte unter seinem Bruder bereits viel zu viel Blut in den Boden. Mit zitternden Fingern riss Dean Sams Hemd beiseite. Tiefe Kratzer in seiner Seite. Eine ebenso tiefe Bisswunde in seiner Schulter. Dean drückte den zerfetzten Stoff auf die Wunde, um die Blutung zu stillen, aber er war nach kürzester Zeit durchweicht.

„Cas! Beweg deinen Arsch wieder hierher! Sofort!"

„Er wird zu lange brauchen." Luzifer kniete auf Sams anderer Seite, die Miene ernst, seine Augen glühten förmlich. „Du musst mich aus dem Käfig befreien. Ich weiß, dass du die Ringe der Reiter noch hast. Du musst nur ..."

„Für wie blöd hältst du mich?"

Sam war blass, regte sich nur noch schwach. Dean presste den blutigen Stoff mit aller Kraft auf seine Wunde. „Sam ... Sammy ... bleib bei mir. Nicht schon wieder. Verdammte Scheiße, nicht schon wieder! Cas, wo zur Hölle bist du?"

„Dean", drängte Luzifer, „er verblutet und sie werden ihn nicht in den Himmel lassen. Er ist meine wahre Hülle. Wenn er stirbt, ist er auf direktem Weg nach unten."

„Er stirbt nicht. Cas!" Dean legte all seine Willenskraft in das Gebet.

„Warum bist du so verdammt stur?"

Luzifers plötzlicher Ausbruch ließ Dean zusammenfahren. Es kam so gut wie nie vor, dass der Teufel laut wurde.

„Castiel wird nicht rechtzeitig wieder hier sein", fuhr Luzifer in normaler Lautstärke fort. „Willst du ihn retten oder nicht?"

Dean blickte auf seinen Bruder hinab, dessen Atem nur noch schwach und unregelmäßig ging. Dann sah er auf in eisblaue Augen. Und ja, er hatte Sam einmal zu oft verloren. Aber das hier, das erinnerte ihn zu sehr an Zachariah, der ein Ja von ihm verlangte, während Sam gerade dabei war, ohne Lunge zu ersticken. Es musste eine andere Lösung geben. Irgendeine. Er konnte doch nicht Luzifer wieder freilassen, nachdem Sam sein Leben geopfert hatte, um ihn wieder in seinen Käfig zu verbannen. „Selbst wenn ich das tun wollte, Lucy, ich trag die Ringe nicht die ganze Zeit in der Tasche mit mir rum."

Der Teufel zuckte mit den Schultern. „Wenn du mich freilässt, kann ich ihn auch aus der Hölle wieder zurückholen."

Bei dem Gedanke, dass Sam auch nur eine Sekunde in der Hölle verbrachte, wurde Dean schlecht. Aber er musste auch an das Gespräch denken, das er vor Kurzem erst mit Luzifer geführt hatte. Wie sehr würde Sam sich selbst hassen, wenn Dean den Teufel persönlich freiließ, um sein Leben zu retten? Wenn er dadurch vielleicht die Apokalypse neu startete. „Nein."

Sam bewegte sich kaum mehr, seine Lider flatterten.

Für einen Moment starrte Luzifer ihn an, als wollte er ihm am liebsten auf der Stelle den Kopf von den Schultern reißen. Dann seufzte er. „Okay. Hör zu. Ein winziger Teil meiner Gnade steckte in Sams Seele. Deshalb konnte er mich sehen. Jetzt ist der Großteil davon in dir. Es würde ausreichen, um die Blutung zu verlangsamen, bis Castiel ihn heilen kann. Du musst ..." Er unterbrach sich. „Es ist zu schwer zu erklären. Du musst mir genug vertrauen, um mir für einen Moment die Kontrolle zu überlassen, aber es ist nicht so, als könnte ich vom Käfig aus viel Schaden anrichten. Glaubst du mir das?"

Diesmal musste Dean nur einen Moment nachdenken. Irgendeinen Kompromiss musste er eingehen. Diesen hier konnte er verantworten. „Okay. Wie?"

„Schließ die Augen. Und ich wäre wirklich sehr froh, wenn Michael davon nie erfährt ..."

Dean schloss die Augen. „Ich gehöre deinem verdammten Bruder nicht ..."

„Rede dir das nur weiter ein."

„Arsch."

„Dean ..."

„Ist ja gut. Ich versuche dir zu vertrauen, okay?"

„Nicht versuchen, tun."

Jetzt zitierte der Teufel schon Yoda.

Im nächsten Moment wurde alles schwarz.

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Als Dean wieder zu sich kam, kniete Castiel neben Sam, und dessen Atmung normalisierte sich langsam wieder. Tränen der Erleichterung rannen Dean über das Gesicht, und für den Moment war es ihm egal, wer sie sah.

Als langsam die Farbe in Sams Gesicht zurückkehrte, wischte Dean sich die Tränen ab und sah sich um.

„Wo ist Luzifer?"

Cas blickte auf. „Die Verbindung ist abgebrochen."

Dean blinzelte. „Was?"

„Wie es aussieht, hat er alle Energie der Verbindung darauf verwendet, Sam am Leben zu halten, bis ich ihn heilen konnte."

„Was?" Dean war bewusst, dass er sich wiederholte, aber etwas Intelligenteres fiel ihm beim besten Willen nicht ein.

„Wie es aussieht", erklärte Castiel geduldig, „liegt Luzifer tatsächlich eine ganze Menge an Sams Wohlergehen."

„Oh ..."

Speak of the DevilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt