4. Kapitel - Bibliothek

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Ich ging auf die Eingangstür der Bibliothek zu und drückte mal wieder, statt an der Tür zu ziehen. Typisch. Schließlich trat ich, nachdem ich die Tür geöffnet bekommen hatte, in das Gebäude und stieg die paar Treppen nach oben. Vor mir war nun die Ausleihe und Abgabe Station, so wie die Anlaufstelle für Fragen. Wenn ich mich nach rechts wenden würde, käme ich zur Kinderabteilung, links war die Sektion für die Jugend und die Regale für Film und Musik. Ich sah jedoch nach oben. Über eine breite dunkelhölzerne Wendeltreppe gelangte man in den Hauptteil der Bibliothek. Hier gab es Romane, Sachbücher, fremdsprachige Bücher, Zeitschriften, also Literatur jeglicher Art. Und das alles wurde für den Betrachter von unten wundervoll in Szene gesetzt. Die Bücherregale wurden mit schwachen dunkelorange leuchtenden Lampen beleuchtet, wobei die Regale entlang des Geländer aufgestellt waren. So standen sie kreisförmig und war man schon einmal dort oben, wusste man das diese Anordnung beibehalten wurde. Das gesamte Gebäude war kreisförmig und bot damit eine ideale Gelegenheit für diese unnormale Aufstellung der Regale.
Nachdem ich die Bücher zurück gebucht und wieder eingesammelt hatte, ging ich auf die Treppe zu und grüßte im vorbeigehen die Bibliothekarin, die an der Auskunft saß. Ich kam jeden Tag hier her, somit kannte mich hier jeder. Immer wieder aufs Neue bewunderte ich die Aussicht, die mit jedem Schritt nach oben besser wurde. Oben angekommen, brachte ich die von mir ausgeliehen Bücher zurück. Ich hatte sie zwar unten bereits zurück gebucht und hätte sie dort von einem Angestellten einsortieren lassen können, jedoch hatte ich die Berechtigung sie wieder zurück zustellen und von diesem Recht machte ich auch oft gebrauch. Das war eine Angewohnheit von mir, die die Bibliothek glücklicherweise ab nickte. Wenn ich das tat, gab mir das immer das Gefühl, die Bücher zu ihrem zuhause zurück zu bringen.
Als ich das letzte Buch zurück gestellt hatte, wandte ich mich zu meiner Lieblingsabteilung: den Romanen. Ich hatte schon viele dieser Bücher gelesen, jedoch wollte ich heute mal etwas anderes ausprobieren. Eine Freundin hatte mir gesagt, dass sie gerade einen Roman über die englische Geschichte lesen würde. Ich war zunächst verwirrt wie sie sowas spannend finden konnte, doch sie schwor mir hoch und heilig dass dieses Buch keine Ähnlichkeit mit einem Geschichtsbuch aus dem Unterricht hatte. Also ging ich das Regal entlang und suchte nach dem Namen des Autors, der das besagte Buch geschrieben hatte. Schließlich fand ich ihn und mir stach sofort ein Buchtitel ins Auge. Es war nicht das Buch meiner Freundin, trotzdem aber von dem Autor. Ich nahm es heraus und las die Zusammenfassung auf dem Buchcover. Anhand der Beschreibung konnte ich immer sofort sagen, ob mir das Buch gefallen würde oder nicht. Und dieses Buch erweckte sehr mein Interesse. Ich ging also mit dem Buch in der Hand in die Sitzecke und begann es zu lesen. Wie üblich vergaß ich die Zeit und es wurde langsam dunkel draußen.
"Es ist genau 18.00 Uhr. Wir haben gerade geschlossen. Was machst du noch hier?" Eine Stimme riss mich aus dem 16. Jahrhundert. Ich sah verwirrt auf, schaute an die Uhr an der Wand und sah dann die mir unbekannte Person an. Wer war dieser Typ? Wenn er hier arbeitet musste er neu sein, denn ich kannte ihn nicht. Ich las wieder weiter, während ich mit einem leisen Seufzen erwiderte: "Ich habe eine Sonderberechtigung. Ich darf bis 19.30 Uhr hier bleiben." Ich mochte es nicht, wenn man mich beim Lesen störte. Allein meine Uhr erinnerte mich daran, wann es Zeit war nach hause zu gehen. Doch der Kerl gab nicht nach.
"Natürlich, das behauptete auch der Mann bei den Physikbüchern." Sagte er mir mit einem leicht genervten Unterton. "Nein, er darf bis 20.00 Uhr bleiben. Musste er erst Kathrine als Bestätigung holen, damit du ihm glaubst?" Ich sah immer noch nicht auf und sprach in dem gleichen gleichgültig gelangweilten Ton wie davor.
"Ja das musste er. Und wenn du wirklich das gleiche Recht hast, muss sie dich auch erst einmal bestätigen." Das kann doch jetzt nicht sein Ernst sein! Ich sah ihn nun doch genervt an. Vor mir stand ein junger Mann, wahrscheinlich etwas älter als ich. Er hatte braune Haare, die seine Augen zum Teil verdeckten und Augen vom selben Ton. Seine verschränkten Arme ließen darauf schließen, dass er in der gleichen genervten Stimmung war wie ich.
"Du scheinst neu hier zu sein. Also werde ich dir dieses eine mal diesen Gefallen tun und zu Kathrin gehen. Zufrieden?" "Aber so richtig." War die Antwort und er schien nun wieder etwas entspannter zu sein, ganz im Gegensatz zu mir. Ich legte das Buch zur Seite und ging zur Treppe. Er folgte dicht hinter mir, ganz so, als wollte er im Falle meiner Flucht versuchen mich auf zuhalten. Als ich unten ankam, ging ich hinter die Anmeldung in das dahinter liegende Büro. Ich brauchte nicht an zu klopfen. Kathrine saß an ihrem Schreibtisch und füllte irgendwelche Unterlagen aus. Als ich rein kam, mit dem neuen im Schlepptau, sah sie auf.
"Ah Maggi du bist es. Was ist los? Es ist doch noch nicht... ah wie ich sehe hat Henry dich ebenfalls gefunden. Henry, das ist Margarete, Sie hat ebenfalls eine Sonderberechtigung." Sie lächelte bei ihren Worten und sah den Neuen, dessen Namen offensichtlich Henry war, warm an.
"Ach und wo ich gerade beim Vorstellen bin: Das ist Henry, er ist unser neuer Praktikant und arbeitet seit heute hier." Sie schien nun zufrieden zu sein, die Situation geklärt zu haben, warf mir jedoch noch einen kurzen warnenden Blick zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zu wendete.
"Okay Praktikant, war schön dich kennengelernt zu haben." Sagte ich etwas freundlicher zu ihm, um Kathrine nicht unnötig zu verärgern und weil er es ja eigentlich auch nicht besser wissen konnte. Als ich an ihm vorbei lief, um mich wieder meinem Buch zu widmen, merkte ich jedoch noch seinen Blick in meinem Rücken.
Die ganze Zeit als ich wieder oben saß und beim Licht einer einzelnen Lampe das Buch las, konnte ich mich nicht mehr richtig konzentrieren. So was passierte mir sonst nie. Nichts konnte mich davon abhalten, einem Buch meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Jedoch hatte ich irgendwie das Gefühl, beobachtet zu werden. Also sah ich auf und konnte natürlich nichts erkennen. Auf gut Glück sprach ich zur Dunkelheit mit einem möglichst neutralen Tonfall: "Praktikant du brauchst dich nicht verstecken, die Dunkelheit verbirgt dich ja doch nicht." Was ich da sagte, war zwar nicht wahr, aber woher sollte er denn wissen, wie gut ich im Dunkeln sah. Wenn er sich denn tatsächlich zwischen den Regalen versteckte.
Aber wie es aussah, hatte ich einen Treffer gelandet. Mister Timemanager kam aus der Dunkelheit zu mir und setzte sich auf den gegenüber stehenden Sessel. Er verschränkte die Arme und ließ es sich nicht nehmen mich penetrant an zu starren.
"Was?" Fragte ich ihn also genervt. Er lächelte kurz, was mich darauf schließen ließ, dass ich genau so reagiert, wie er es sich gedacht hatte. Er lehnte sich nun vor und stützte die Ellenbogen auf seinen Knien ab, während er mich weiterhin an sah.
"Was machst du hier?" War seine schlichte Frage. "Bitte?" erwiderte ich verständnislos. "Ich meine was macht ein Mädchen wie du in einer Bibliothek und hat dann noch eine Sonderberechtigung?" Er schien seine Frage nicht komisch zu finden. "Du siehst gut aus, kleidest dich ganz nach dem Trend und hast diese Sprechweise die alle arroganten Mädchen haben. Also wieso bist du hier und nicht auf irgendeiner Hausparty?" Diese Aussage ließ äußerlich nur die Regung meiner Augenbraue die nach oben fuhr zu. Innerlich jedoch war ich perplex. Machte er an meinem Aussehen und meiner Sprache fest wer und wie ich bin? Und nennt mich noch dazu arrogant? Das konnte ich auch.
"Du siehst auch nicht gerade wie jemand aus, der sich freiwillig Büchern auf eine Entfernung von weniger als 100 m nähert." Meinte ich nur abschätzig und musterte ihn auffällig von oben bis unten. Meine Aussage war passend, sein T-Shirt zeichnete die Konturen seines Oberkörpers ab und war weiß. Seine Hose war an den Knien "kaputt" und hatte die Farbe der Dunkelheit.
"Also wenn ich auch so frei über dich urteilen dürfte, wie du es gerade bei mir getan hast: Dein Ort ist eher ein Nachtclub oder das Haus irgendeines anzüglichen Mädchens von deiner Uni."
Jetzt hob er eine Augenbraue.
"Wie kommst du darauf das ich zu einer Universität gehe, wo ich doch offensichtlich so ein draufgängerischer Typ bin, der nur auf das Äußere Wert legt?" "Du arbeitest hier oben und noch dazu am späten Nachmittag. Außerdem darfst du überhaupt hier arbeiten. Kathrine nimmt niemanden, von dem sie nicht hundertprozentig überzeugt ist, dass er weiß wie man mit Büchern umgehen muss." "Ich darf?" War seine irritierte Frage. "Du darfst. Es ist eine sehr schöne Bibliothek. Hier ist es warm, ruhig und man hat hunderte Schätze um sich. Außerdem..." in dem Augenblick piepte die Uhr an meinem Handgelenk. "Ich muss los. Man sieht sich bestimmt nochmal Praktikant." Mit diesen Worten ging ich mit dem Buch in der Hand zur Treppe. "Warte", rief mir Henry hinterher. Ich drehte mich um und sah ihn abwartend an.
"Was ist denn noch?" Fragte ich ihn leicht ungeduldig. "Kommst du morgen wieder hierher?" War seine Frage, wobei ich meinte, so etwas wie Unsicherheit in seinen Augen zu sehen.
"Natürlich. Aber morgen bin ich nicht allein." Mit dieser Aussage, die für ihn wieder eine Frage auf warf, ließ ich ihn stehen und ging zur Treppe. Ich spürte noch seinen Blick auf mir, als ich nach unten ging.

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