Ich sah ihn an und mein Herz brach wieder ein wenig. Sofort sah ich weg. Es würde nichts helfen, ihn an zu sehen machte es nicht besser. Eher das Gegenteil. Er war nicht gut für mich und ich war niemand für ihn.
Also wandte ich mich ab. Ich seufzte. Dafür erntete ich einen besorgten und mitleidigen Blick von meiner Freundin. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Kate legte mir kurz die Hand auf die Schulter und dann widmete ich mich wieder der Aufgabe. Heute war unser letzter Schultag vor den Ferien und unsere Klassenlehrerin war auf die glorreiche Idee gekommen, dass wir doch alle einen Brief schreiben könnten, in dem wir unseren Klassenkameraden sagen, was sie uns bedeuten oder was wir manchmal nicht so toll an ihnen finden. Sie meinte, sie würde die Briefe dann zu unserer Abschlussfeier vorlesen. Ich fand die Idee merkwürdig. Einerseits war sie okay, jedoch wusste ich auch, dass kaum jemand seine ehrliche Meinung schreiben würde, sondern 90 Prozent der Briefe aus den Sätzen "Ihr seid die Besten!" und "Ich kann mir keine bessere Klasse vorstellen!" bestehen würden. Trotz dem Gedanken, dass dies keine sinnvolle Aufgabe war, versuchte ich meine Meinung über meine Klasse ehrlich aufzuschreiben. Und da entwich mir wieder ein Seufzer, denn meine Gedanken sprangen sofort wieder zu ihm. Konnte ich denn nicht eine Minute lang nicht an ihn denken? Es reichte schon, dass er im selben Raum war. Ich atmete tief durch und konzentrierte mich wieder auf den Brief. Es gelang mir tatsächlich, ein paar Sätze mit Inhalt aufzuschreiben. Ich sah noch einmal über ihn drüber, um mögliche Rechtschreibfehler zu eleminieren. Als mir keiner auffiel, war ich zufrieden und begann, das Blatt zu falten. Ich steckte es in den Umschlag und brachte diesen nach vorne. Auf den Weg zurück zu meinem Platz kam ich nicht umhin, zu ihm zu schauen. Ich wendete meinen Blick jedoch sofort wieder ab, als ich sah, dass er Fiona mit einem nachdenklichen Blick anschaute. Es war ein offenes Geheimnis in meiner Klasse, dass er etwas für sie empfand. Alle wussten es, nur Fiona war dafür natürlich blind. Sie war meiner Meinung nach das hübscheste Mädchen in meiner Klasse und zu dem noch intelligent. Mit ihren weiteren guten Charaktereigenschaften konnte man sie nur lieb haben. Und das tat ich auch. Ich war nicht wütend oder eifersüchtig auf sie, weil sie die Blicke von ihm bekam, die ich gerne hätte, das kam mir irgendwie komisch vor, würde ich mich so verhalten, denn sie konnte nichts dafür.
Ich saß noch eine Weile essend auf meinem Platz und wartete darauf, dass die anderen fertig wurden. Erst wenn alle fertig waren, bekamen wir unsere Zeugnisse und durften gehen. Manchmal fühlte ich mich bei Frau Müller wie im Kindergarten.
Schließlich war dann auch die letzte fertig geworden und Frau Müller begann, die Zeugnisse zu verteilen. Mein Name war relativ weit vorne im Alphabet, weshalb ich als eine der Ersten mein Zeugnis bekam. "Du hast dich im letzten Halbjahr gesteigert, deine Noten sind wirklich gut.", meinte meine Lehrerin und gab mir endlich mein Zeugnis. Da ich die meisten Noten schon wusste, überflog ich es nur kurz. Ich sah zu meiner Freundin rüber und neckte sie ein wenig, weil ich in zwei Fächern besser war als sie. Schließlich war es dann jedoch so weit und wir verabschiedeten uns alle. Ich hatte nur mit wenigen der Jungs etwas zu tun, deshalb lag der Schwerpunkt meiner Umarmungen bei den Mädchen. Als ich Louise umarmte, fing sie an zu weinen. Das war mir schon vorher klar gewesen, weshalb ich schnell ein Taschentuch aus meiner Tasche holte und sie tröstete. Louise war nah am Wasser gebaut und wenn wir uns in die Ferien verabschiedeten, war es immer besonders schlimm für sie. Doch ihr Freund Harry kam zu ihr und nahm sie beruhigend in Arm. Somit stand ich einen Augenblick da und sah mich um, wen ich noch verabschieden musste. Da fiel er mir hinter Harry auf, wie er sich durch die Haare fuhr und mich dann an sah. Er lächelte, wobei ich beinahe verträumt geseufzt hätte. Er kam die paar Schritte auf mich zu und meinte:"Komm, dann können wir auch noch, wenn hier gerade kuscheln angesagt ist." Und damit umarmte er mich. Zunächst war ich überrumpelt, weil er mich noch nie umarmt hatte, doch ich genoss es sehr schnell. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen, denn ich fühlte mich sehr wohl in seinen Armen. Doch er löste sich wieder von mir. "Ich wünsche dir schöne Ferien.", sagte er mit einem Lächeln. Wie gut sich das doch an fühlte, wenn sein Lächeln mir galt. "Ähm ja danke, wünsche ich dir auch. Fährst du weg?", konnte ich von mir geben. "Ja ich fahre mit meiner Familie zwei Wochen nach Kuba und eine Woche an die Ostsee.", kam die Antwort. "Ja dann, pass auf dich auf und genieße die freie Zeit.", sprach ich, während ich zu Boden sah. Er lachte kurz. "Werde ich machen." Dann wandte er sich ab und ging zu seinen Freunden. Einerseits war ich über unser kurzes Gespräch sehr glücklich, anderseits auch niedergeschlagen, denn mir war durchaus aufgefallen, dass es ihn nicht interessiert hatte, wo ich meine Ferien verbringen würde. Dieses Desinteresse machte mich fertig. Ich fuhr mir kurz über mein Gesicht. Da waren eindeutig zu viele Gedanken in meinem Kopf. Bevor ich aber weitere Schlussfolgerungen ziehen konnte, umarmte mich jemand von hinten. Kate. "Alles gut Süße? Du siehst so traurig aus? So doll wirst du unsere Klasse nun über die sechs Wochen doch nicht vermissen?" Sie stieß belustigt die Luft aus. "Nein Kate, ich erzähle es dir später." Sie sah meinen Blick, den sie als meine beste Freundin richtig deutete. Sie nickte verständnisvoll, setzte an etwas zu sagen, jedoch verließen keine Worte ihren Mund, weshalb sie schließlich ging. Ich wusste, dass sie mich bemitleidete und mir helfen wollte, doch das konnte niemand. Ich war verloren und konnte mir nur selbst helfen. Was schwieriger ist, als man denken mag. Ich sah ihm zu, wie er Fiona lang umarmte und sich noch mit ihr unterhielt. Er lächelte immer wieder unsicher und starrte sie die ganze Zeit über mit diesem Blick an, jedoch schien Fiona wie immer nichts mitzubekommen. Schließlich riefen seine Freunde ihm etwas zu und verabschiedete sich von ihr. Doch ich hörte deutlich die Worte "Ich schreibe dir, dann vergisst du mich nicht in den Ferien.", bevor er zu seinen Freunden aufholte. Fiona schüttelte nur lachend den Kopf und wandte sich ebenfalls zum gehen.
Es war so verdreht. Er liebte offenbar ein Mädchen, welches nicht an ihm interessiert war und ich verzehrte mich nach ihm, jedoch hatte er kein Interesse an mir. Wieso konnte ich nicht einfach keine Gefühle haben und somit niemanden lieben? Es würde so vieles einfacher machen. Ich seufzte und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Dann hörte ich Kates Stimme. "Vergiss ihn. Wenn er dich nicht zu schätzen weiß und dich nicht liebt, dann ist er deine ganze Aufmerksamkeit nicht wert. Es wird noch viele weitere geben, die Schlange um dich stehen werden." Ich nickte ihr nur zu und versuchte es mit einem erzwungenen Lächeln. Diese Worte waren für mich ohne Substanz. Sie halfen mir nicht. Wenn er doch nur... Eine Stimme unterbrach meine Gedanken. „Hey, kannst du mir vielleicht deine Adresse nennen? Dann kann ich dir aus Kuba eine Postkarte schicken, wenn du das willst."
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Kurzgeschichten
Short StoryIn diesem Buch werde ich Kurzgeschichten jeglicher Art veröffentlichen. Darunter zählen traurige, mittelalterliche, fröhliche Geschichten oder einfach nur von mir ausgedachter Unsinn, der es nicht zu einem ganzen Buch schaffen würde, jedoch auch zu...