Ich ging auf die Eingangstür der Bibliothek zu. James zog an der Tür und hielt sie mir wie ein Kavalier auf. Augenverdrehend aber auch lächelnd ging ich voran. Hinter mir hörte ich James leise lachen. Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und drehte mich zu ihm.
Ich fragte ihn leise flüsternd: "Möchtest du vorher noch in eine bestimmte Abteilung oder fangen wir gleich mit dem Lernen an?" "Ich wollte vorher noch zu der Musikabteilung, wenn die gnädige Dame dafür genug Zeit hat.", kam die geflüsterte, übertrieben höfliche Antwort. Ich stieß ihm gegen die Schulter und musste ein Lachen unterdrücken. "Natürlich habe ich dafür Zeit. Ich habe doch extra zwei Stunden mehr für dich eingeplant, als wir eigentlich bräuchten." James sah mich entsetzt an. "Aber was machen wir denn mit so viel überschüssiger Zeit?" Ein zweideutiges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. "James!", gab ich nur empört von mir und machte mich dann kopfschüttelnd auf dem Weg zur Musikabteilung. James schloss schnell zu mir auf.Doch als wir fast da waren, fiel mir ein bekanntes Gesicht auf. Ich blieb abrupt stehen und James sah mich verwirrt an. "Was ist denn?", wisperte er mir leise zu. "Ähm, nichts...Ich...Mir ist nur gerade wieder was eingefallen." Ich schloss wieder zu ihm auf. Ich merkte den komischen Blick, den mir James zu warf, doch ich ignorierte ihn und er fragte nicht weiter nach. Wir standen nun am Anfang der Sektion. "Also ich wollte mir „This Is It" von Michael Jackson ausleihen. Hilfst du mir bitte beim Suchen?" "Klar.", antwortete ich nur. Ich sah schon, worauf das hinaus lief. James ging voraus zum Buchstaben M. In diesem Bereich war ER und sortierte gerade CDs ein. Noch schien er uns nicht zu bemerken und das war mir auch ganz recht. Ich lief hinter James und versuchte mich so etwas zu verstecken. Als wir bei M ankamen, stellten wir fest, dass es viele Interpreten mit den Anfangsbuchstaben M gab.
"Fängst du hier an und ich suche dort?", fragte James mich. Bloß nicht auffallen, auf ein Gespräch mit ihm konnte ich wirklich verzichten. Also nickte ich nur und begann die CDs zu durchstöbern. Und dann musste James wieder aus der Reihe tanzen. "Entschuldigung, könntest du bitte zur Seite gehen, ich möchte nur kurz da ran.", sprach James Henry höflich an. Henry sah auf und musterte James zunächst. Dann nickte er kurz mit einer neutralen Miene und ging etwas zurück. Anschließend fiel sein Blick auf mich. Na super. Er zog seine Augenbrauen hoch und sah mich amüsiert an. Gerade setzte er an, etwas zu sagen, jedoch wurde er von James unterbrochen, der sich stolz mit einer CD in der Hand zu mir drehte und sagte: "Ich hab sie Mag." Ich sah wie Henry verwirrt schaute und zu James sah. Dann spiegelte sich Erkenntnis auf seinem Gesicht wieder und er blickte finster drein. "Dann kann ich ja hier weiter machen oder?", fragte Henry James in einem genervten Ton. Was war denn jetzt los mit ihm? Der Junge verwirrte mich. James sah verdutzt zu ihm und ging ein paar Schritte zur Seite. "Klar Mann.", antwortete er nur. An mich gewandt fuhr er mit einem Lächeln fort: "Jetzt können wir los euer Hoheit." Er deutete eine Verbeugung an und hielt mir seinen Arm hin. Wieder mal verdrehte ich bloß die Augen und hakte mich leise kichernd bei ihm unter. Dabei ignorierte ich den deutlichen Blick in meinem Rücken, der uns folgte.
Wir gingen die Wendeltreppe hinauf und steuerten auf eine der abgelegenen Ecken zu, die extra für lernende Schüler errichtet wurden. Hier gab es gemütliche Sofas, aber auch Stühle um einen runden Tisch herum. Wir setzten uns zunächst an den Tisch und ich begann, meine Sachen aus zu packen.
"Okay, also schön wäre, wenn du mir erklären könntest, was im letzten Block in Mathe dran kam. Ich habe gehört, dass ihr mal was Sinnvolles gemacht habt.", er zwinkerte mir zu, doch ich zog nur eine Grimasse. "Wenn du wüsstest. Herr Meier hat uns alle zur Schnecke gemacht, weil wir den neuen Stoff noch nicht konnten. Ich frage mich, wozu wir überhaupt noch in die Schule gehen, wenn wir doch schon alles können sollen..." "Ach komm, nimm ihn nicht zu Ernst. Vermutlich hat er nur Angst, dass wir alle zu schlecht sein werden beim Abitur.", erwiderte James mit einem aufmunternden aber doch ironischen Lächeln.
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Kurzgeschichten
Short StoryIn diesem Buch werde ich Kurzgeschichten jeglicher Art veröffentlichen. Darunter zählen traurige, mittelalterliche, fröhliche Geschichten oder einfach nur von mir ausgedachter Unsinn, der es nicht zu einem ganzen Buch schaffen würde, jedoch auch zu...