Sie saß am Rand des Stegs und ließ ihre Füße herab baumeln. Sie berührten nicht das Wasser, denn dieses war anderthalb Meter weiter unten. Sie sah hinab und beobachtete wie die Wellen unter ihr weiter zum Ufer strömten. Man hörte nichts weiter außer dem Rauschen des Windes und des Wassers. Vor ihr waren die unendlichen Weiten des Meeres und hinter ihr, ebenfalls weiter entfernt, der Strand. Sie sah nach oben. Da es sehr dunkel war und es keine Wolke am Himmel gab, konnte man viele Sterne erkennen. Sie leuchteten so hell, dass sie sich fragte, ob nicht doch etwas an der Aussage dran wäre, dass die Seele nach dem Tod zu einem weiteren Stern werden würde. Sie saß da und dachte einfach nur über den Sinn des Lebens nach. Der Steg bei Nacht war ihr Lieblingsort. Hier war es sehr friedlich und nur wenige Menschen kamen auf den Gedanken, zu dieser Uhrzeit hierher zu kommen. Sie dachte nach. War es wirklich eine gute Idee gewesen, sich einfach von der Strandparty davon zu machen, ohne jemanden Bescheid zu geben? Andererseits, sie war hier im Urlaub, die Hotelanlage war ein abgeschlossenes Gelände und niemand konnte einfach so hier her kommen. Folglich würde sie auf keinen Fall verloren gehen. Also machte sie sich keine weiteren Gedanken darüber und genoss einfach nur die Stille. Sie schloss die Augen und lauschte. Wenn sie sich stark genug konzentrierte, konnte sie die Musik vom Strand wahrnehmen. Sie war gegangen, weil sie mehrfach von einem aufdringlichen jungen Mann zum tanzen aufgefordert worden war. Da sie jedoch zu der wummernden Musik nicht tanzen konnte, hatte sie abgelehnt. Der Mann hatte aber nicht locker gelassen und war ihr sehr nahe gekommen, was sie dem Alkohol zu geschrieben hatte. Und da alle Menschen die sie kannte und die ihr hätten helfen können, getanzt hatten oder nicht in Reichweite waren, hatte sie die Flucht ergriffen. Ihr Fehlen würde sicher erst später auffallen und zu der Zeit würde vermutet werden, dass sie bereits zu Bett gegangen war. Sie atmete die Meeresluft tief ein, setzte sich gerade hin und entspannte ihre Schultern. Sie versuchte ihren Geist zu beruhigen und das Ekelgefühl, was sie vorhin bekommen hatte, los zu werden. Dann hörte sie ein Geräusch. Es war das Knarren der Planken des Stegs. Sofort spannte sie sich wieder an und hoffte inständig, dass es nur ein Sicherheitsmann war, der seinen Routinegang erledigte und nicht der betrunkene Mann. Sie wagte es nicht, sich um zu drehen, hielt die Augen geschlossen und tat, als würde sie die Geräusche nicht wahrnehmen. Dann hörte das Knarren auf und die Person war hinter ihr zum Stehen gekommen. Sie hörte jemanden seufzten.
"Rose." Die Person sagte einfach nur ihren Namen, doch sie drehte sich vor Überraschung um. "Mark? Was machst du denn hier?" Mark lächelte zu ihr hinunter und setzte sich dann neben sie. Er war der Sohn des Hotelbesitzers und verbrachte seine gesamten Ferien hier. Sie mochte ihn sehr, da er eine offene freundliche Art hatte und sie oft zum Lachen bringen konnte. Sie verbrachte viel Zeit mit ihm, da er eine der wenigen Personen war, die ihr wirklich zu hörten und sie verstanden. "Zuletzt habe ich dich doch mit irgendeinem Mädchen tanzen sehen." "Ja das habe ich. Sie hat nett gefragt also... Ach egal.", er kratzte sich verlegen und unsicher am Kopf, "Nur ist mir aufgefallen, dass du nicht mehr da warst und da bin ich dich suchen gegangen. Irgendwie war mir klar, dass du hier sein würdest." "Ich hätte doch genauso gut schon schlafen gegangen sein können?", entgegnete Rose. "Die letzten Tage bist du nicht vor 1.00 Uhr im Bett gewesen und außerdem wirktest du auch noch nicht müde, also...", er ließ das Ende offen. Er starrte auf das Meer, während sie ihn verblüfft ansah, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sich merken würde, wann sie normalerweise ins Bett gegangen war. "Wieso bist du gegangen?" Rose sah ihn noch kurz weiter an, beantwortete seine Frage dann aber auch auf das Meer starrend. "Ich wurde mehrmals zum Tanzen aufgefordert, obwohl mir nicht danach war. Lag wahrscheinlich an der Musik." "Oder an der Person die dich aufgefordert hat.", entgegnete Mark. Sie sah ihn an und begegnete seinem Blick. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, wie seine Augen leuchteten. Er löste seinen Blick von ihr und holte sein Handy hervor. Sie unterdrückte ein Schnaufen und starrte wieder zum Wasser. Doch dann hörte sie Musik. Es war ihr Lieblingslied und sie sah verwundert zu Mark, welcher aufgestanden war und sie triumphierend anlächelte. "Woher weißt du...", setzte sie an zu fragen, doch sie wurde unterbrochen, in dem ihr eine Hand gereicht wurde. Sie sah zu ihm hoch. Er lächelte sie immer noch an und in seinem Blick konnte sie etwas Bittendes erkennen. Also ergriff sie seine Hand und ließ sich hoch helfen. Als sie stand, legte Mark wie selbst verständlich federleicht seine Hände auf ihre Hüften. Im Gegensatz zu einigen Minuten bevor, fühlte sie sich kein bisschen unwohl. Im Gegenteil, das Ekelgefühl war weg und sie entspannte sich. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und bewegte sich zu dem Lied. Sie sah ihn ein paar Mal an, sah jedoch wieder lächelnd weg, denn mit seinem Blick schien er bis zum Grund ihrer Seele blicken zu können. "Wieso lächelst du?", fragte er sie leise, um den Moment nicht zu ruinieren. Sie sah ihn schmunzelnd an. "Vielleicht lag es doch an der Person." Nun lächelte er auch. Dann wanderte sein Blick von ihren Augen zu ihrem Mund. Er beugte sich näher zu ihr und sie hielt den Atem an. Kurz bevor er sie küssen konnte, drehte sie ihren Kopf weg. Sie hörte ihn seufzten und sie selbst musste ebenfalls ein seufzten unterdrücken. Sie nahm ihre Hände von seinen Schultern und sah ihn traurig an. Er sah sie enttäuscht und bedrückt an. "Wieso?", fragte er nur. "Du weißt, dass ich einen Freund habe, ich kann dich nicht...", sie brach ab und blickte zu Boden. Dann spürte sie eine Hand an ihrer Wange und sie blickte wieder in seinen Augen. "Du bist nicht glücklich mit ihm, dass sehe ich doch. Andernfalls hättest du dich nie auf einen Tanz eingelassen." Aus seiner Stimme konnte man Verzweiflung hören, doch seine Aussage war wahr. Sie war nicht glücklich in ihrer Beziehung, doch konnte sie diese nicht einfach so beenden. Ihr Freund konnte gewalttätig werden und er erkannte Lügen sofort. Sie wollte sich nicht ausmalen, was er ihr antun würde, sollte sie den Versuch unternehmen, jemanden von den Handgreiflichkeiten zu erzählen oder gar Schluss mit ihm zu machen. Sie wollte Mark sagen, dass er Recht hatte und das sie ihren Freund schon lange nicht mehr liebte, doch das konnte sie nicht. Sie sah ihn einfach nur traurig an. "Ich kann nicht.", flüsterte sie. "Wieso nicht? Du könntest mit ihm Schluss machen und-" "Wer sagt, dass ich ihn nicht liebe und mit ihm Schluss machen möchte?", unterbrach sie ihn leise. Ihr Herz tat schrecklich weh bei ihren Worten, doch nur so konnte sie ihn und sich selbst schützen. Sie sah den verletzten Ausdruck in seinem Gesicht und sie war sich sicher, er sah wie traurig sie war. Doch sie musste gehen. Sie wollte noch etwas sagen und legte kurz eine Hand auf seine Brust, doch es verließ kein Wort ihre Lippen. Schließlich drehte sie sich um und wollte gehen. Doch er ergriff plötzlich ihre Hand und drehte sie wieder zu sich. Noch ehe sie reagieren konnte, legte er seinen Lippen auf ihre. Es lag so viel Zärtlichkeit in diesem Kuss, wie sie noch nie bei ihrem Freund gespürt hatte. Sie erwiderte ihn und setzte damit das Feuerwerk, welches in ihrem Bauch entfacht worden war, fort. Es kribbelte an ihrem ganzen Körper und sie genoss das Gefühl. Bis ihr wieder die Situation bewusst wurde. Sie löste sich langsam von ihm und sah in seine wunderschönen Augen. Eine Träne entwich ihr, ohne dass sie sie aufhalten hätte können. Sie hatte ihren Seelenverwandten, besten Freund und ihre große Liebe gefunden, doch das Schicksal wollte offenbar nicht, dass sie zusammen kamen.
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Kurzgeschichten
Short StoryIn diesem Buch werde ich Kurzgeschichten jeglicher Art veröffentlichen. Darunter zählen traurige, mittelalterliche, fröhliche Geschichten oder einfach nur von mir ausgedachter Unsinn, der es nicht zu einem ganzen Buch schaffen würde, jedoch auch zu...