Der Wecker klingelt um Punkt sieben. Dann stehe ich auf und ziehe mich an. Die Kleidung die ich trage ist unauffällig, aber sehr gepflegt. Es sind keine Bügelfalten drauf zu sehen. 7.10 Uhr stehe ich im Badezimmer und wasche mein Gesicht, creme es ein, verwende dezentes Make-up und tusche meine Wimpern. Dafür benötige ich genau 10 Minuten. Danach kämme ich mir meine Haare, drehe diese zum Dutt und lege ein hauchdünnes Haarnetz um den Dutt, damit sich kein Haar aus dem Dutt lösen kann. Alle Haare, die nicht in den Dutt passen klemme ich mit Haarspangen fest. Mit einem letzten Blick in den Spiegel überprüfe ich, ob wirklich kein Haar absteht und die Frisur perfekt sitzt. Wenn ich dann auf die Uhr gucke ist es 7.23 Uhr. Für den Toilettengang bruche ich nochmal zwei Minuten. Danach bereite ich in der Küche mein Frühstück vor. Fünf Minuten später beginne ich zu frühstücken. 7.45 Uhr räume ich den Tisch ab und stelle mein Geschirr in die Geschirrspülmaschine. 7.50 Uhr putze ich mir die Zähne. Um 7.55 Uhr ziehe ich meinen Trenchcoat an, überprüfe meine Erscheinung nochmal im Spiegel im Flur und verlasse anschließend um Punkt 8 Uhr das Haus. Eine Viertelstunde später erreiche ich zu Fuß meinen Arbeitsplatz, das Stadtmuseum. Dort haben wir viele einzigartige, faszinierende Bilder und auch viele besondere Artefakte. Ich liebe die Arbeit dort. Es ist für mich die einzige Möglichkeit mich selbst nicht zu sehr zu verlieren. In dieser Welt läuft alles geregelt und ruhig ab. Nichts passiert unerwartet. Ich muss mich auf keine Zufälle einstellen. Die Menschen die mich ansprechen haben vorhersehbare Fragen und ich dazu die perfekte, auswendig gelernte Antwort. Hier fühle ich mich sicher.
Mein Arbeitstag beginnt mit einem Rundgang durchs Museum. Dann treffe ich meine beiden Arbeitskollegen Lex und Sonja. Zusammen mit unserer Chefin Nelly gehen wir Aufgaben des Tages durch und verteilen die Führungen. Sonja arbeitet nur bis Freitags, sie hat zwei Kinder und möchte mit denen das Wochenende verbringen. Dafür macht sie Montags, wenn das Museum geschlossen ist, die Büroarbeit. Lex und Nelly sind an den Werktagen auch beide da, doch am Wochenende wechseln sich die beiden ab. Lex ist sowas wie Nellys Stellvertreter und schließt das Museum ab, wenn Nelly es nicht tut. Ich arbeite jeden Tag außer Montags. Mir gefällt die feste Routine und deshalb macht es mir auch nichts aus am Wochenende zu arbeiten. Montags putze ich das Haus und gehe einkaufen. Oft gehe ich danach in mein Atelier. Es ist riesig und ich bin ziemlich stolz darauf. Ich wohne in einem großen Haus und fast das komplette Erdgeschoss besteht nur aus dem Atelier. Von dort habe ich einen wunderschönen Ausblick in meinen Garten. Um den kümmere ich mich jedoch nicht selbst, sondern mein Gärtner James. Er ist schon lange da und hat sich auch schon zu der Zeit meiner Eltern um den Garten gekümmert.Um 9 Uhr öffnen wir die Türen unseres wunderbaren Museums und um 17 Uhr schließen wir sie wieder.
Während der Öffnungszeiten laufe ich alle zwei Stunden eine Rund durch alle Ausstellungsräume. Dabei vergewissere ich mich, dass alles normal verläuft und die Besucher nichts kaputt machen.
Manche Besucher sitzen Stunden vor einem Bild. Ich kann es ihnen nachempfinden und wünsche mir oft, mich einfach für ein paar Stunden daneben setzten zu können. Einige Besucher sind sehr oft hier, man könnte sie als Stammgäste bezeichen. Da gibt es zum Beispiel die alte Dame. Sie kommt jeden Dientag und Donnerstag. Sie geht immer nur in die Ausstellung mit der Kunst aus der Romantikepoche. Dann gibt es noch das Pärchen. Die beiden kommen jeden Sonntag für ca. zwei Stunden her, laufen durch alle Räume, so als würden sie etwas bestimmtes suchen und dann gehen sie wieder. Beide müssen um die 30 Jahre alt sein. Oder der junge Mann, er müsste in etwas so alt sein wie ich. Bei ihm lässt sich kein Muster erkennen, aber er ist oft hier. Außerdem kommt Professor Marila regelmäßig mit einem ihrer Kunstseminare zu uns. Ihr Assistent besucht uns auch sehr häufig. Mal mit Seminarteilnehmern, mal alleine.Nachdem das Museum geschlossen wird gehe ich nach Hause und esse etwas. Knapp eine halbe Stunde nachdem ich die Haustür geöffnet habe verlasse ich meine Routine. Ich ziehe mir bequeme Kleidung an, lege meine Armbanduhr ab, löse den Dutt und gehe ins Atelier. Dort lasse ich mich treiben, von den Farben, Formen und Linien. Nebenbei läuft Musik. Manchmal stehe ich einfach nur still da und führe ruhig den Pinsel. Manchmal schreie, weine oder lache ich beim malen. Manchmal tanze ich während ich auf den Leinwänden etwas erschaffe. Ich fühle mich dabei so frei und lebendig. Nichts zählt in diesem Moment. Die Zeit scheint still zu stehen und doch rast sie an mir vorbei. Irgendwann spät in der Nacht gehe ich ins Bett und beginne am nächsten Tag wieder mit meiner Routine.
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Ein Hauch von Herbst
Teen FictionPerfekt. Was ist schon perfekt? Für May ist es Alles. Nichts scheint in ihrer Welt dem Zufall überlassen. Alles scheint geordnet und jeder Fehler ist ausgemerzt. Ihr Leben eine Routine in völliger Perfektion und Vollkommenheit. Doch dann gibt es Mo...