Wie jeden Morgen überprüfe ich im Hausflur ein letztes Mal mein Erscheinungsbild. Alles ist perfekt. Nichts ist an mir zu kritisieren.
In kürzester Zeit erreiche ich das Museum. Nach der morgendlichen Besprechung laufe ich eine gemächliche Runde durch alle Räume. Keine Veränderungen sind zu entdecken. Alles ist wie immer. Alles ist perfekt. Die Gewohnheit gibt mir Sicherheit. Ich begebe mich zur Eingangshalle und warte auf die ersten Gäste. Heute habe ich die erste Führung. Zum Glück ist es heute auch meine einzige. Die Führungen sind das einzige, was mir an meinem Job nicht so gut gefällt. Die erste Führung ist meistens die kleinste und somit auch die für mich angenehmste. Je später der Tag, desto mehr Leute wollen an einer Fführung teilnehmen. Am Wochenende ist am schlimmsten. Es ist unglaublich wie viele Menschen an einer Führung teilnehmen möchten. Wenn ich mal in einer anderen Stadt bin, dann gehe ich viel lieber alleine durch die Räume und lasse mir nicht die Fakten von irgendjemand herunter beten. Die meisten Kollegen in dieser Branche nehmen das übermitteln von Fakten zudem nicht sonderlich ernst und erzählen einem das blaue vom Himmel. Nichts was ich selbst für mich wollen würde. Auch wenn ich nicht so bin, kann ich den Wunsch nach Führungen durch Museen einfach nicht nachvollziehen.Nachdem sich alle Teilnehmer eingefunden haben versuche ich die Führung so perfekt wie möglich zu erledigen. Ich schalte meinen Kopf aus. Je weniger ich denke, desto weniger Fehler können passieren. Alles was ich sage ist einstudiert. Meinen Kopf benötige ich dazu nicht. Ich konzentriere mich voll und ganz auf meinen Auftritt. Langsam schreite ich mit den Teilnehmern durch das Musuem und Teile ihnen hier und da einige Fakten mit. Ich zeige ihnen einige besondere Werke, doch mein Lieblingswerk zeige ich ihnen nicht, dass wäre mir zu persönlich. Sobald Menschen etwas über dich wissen bist du angreifbar. Also übergehe ich das wundervolle Werk und werfe nur einen heimlichen, sehnsüchtigen Blick auf das Meisterwerk.
Nach einer für mich quälenden Stunde ist die Führung vorbei und ich kann mich endlich in einen der Räume stellen und die Menschen beobachten, sowie die Bilder betrachten. Manchmal denke ich mir Geschichten zu den Menschen aus. Warum sie wohl ins Museum gehen, warum sie das Gesicht bei machen Bildern verziehen oder warum sie manche Bilder keines Blickes würdigen. Jedes Bild ist es wert eines Blickes gewürdigt zu werden. Jedes einzelne Bild ist in sich so perfekt wie ich niemals sein werde. Egal wie sehr ich mich auch bemühe, meine Narben werden immer sichbar sein. Egal wie sehr ich mich anstrenge, man wird mir immer ansehen, dass ich nicht perfekt bin. Ganz gleich was ich auch versuche, ich kann meine Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Ich kann sie nicht einfach vergessen.
Gedankenverloren richte ich meinen Blick wieder auf die Bilder und versuche meine Gedanken zu ordnen. Dränge die Gedanken zurück und verschließe sie hinter einer dicken, undurchdringlichen Eichentür. Schnell setzte ich mein perfektioniertes Lächeln wieder auf und sehe mich verstohlen um. Doch niemand scheint meinen kleinen Gedankenausbruch bemerkt zu haben. Alle sind sie mit sich oder den Bildern beschäftigt. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich erleichtert fest, dass ich nur einige Sekunden in Gedanken verweilt sein kann.
Mein Inneres hat sich immer noch nicht vollständig berühigt, also verlasse ich den Raum und begebe mich in den dritten Saal. Hier hängen meine Lieblingswerke. Der Raum ist fast leer. In einem der Ledersessel sitzt ein Mann in meinem Alter. Er kommt mir bekannt vor und mir fällt ein, dass ich ihn hier schon öfter gesehen habe. Ich nehme meinen Blick von ihm und genieße die Ruhe, die die Bilder in mir auslösen. Das grün einer Blumenwiese nimmt mich ein und beruhigt mich. Als nächstes lasse ich mein Blick zu dem kräftigen Rot einer Feuerwüste gleiten. Ich liebe diese kräftigen Farben die der Künstler verwendet hat. Was hat ihn nur dazu veranlasst die Landschaft so und nicht anders zu gestalten?Ich vergesse wo ich bin und sehe nur noch die Bilder. Doch dann erinnere ich mich daran, dass ich nicht in Gedanken sein darf. Heute scheint etwas anders zu sein. Normalerweise verliere ich mich nicht so in meinen Gedanken. Mit einem leichten, kaum vernehmbaren Kopfschütteln drehe um und bin dabei den Raum zu verlassen. Da höre ich ein leises Räuspern hinter mir. Überrascht drehe ich mich zurück.
DU LIEST GERADE
Ein Hauch von Herbst
Ficção AdolescentePerfekt. Was ist schon perfekt? Für May ist es Alles. Nichts scheint in ihrer Welt dem Zufall überlassen. Alles scheint geordnet und jeder Fehler ist ausgemerzt. Ihr Leben eine Routine in völliger Perfektion und Vollkommenheit. Doch dann gibt es Mo...