Ich sitze an einem neuen Designprojekt für die Homepage einer Cateringfirma. Doch so recht kann ich mich nicht konzentrieren.
Meine Gedanken schweifen immer wieder zum heutigen Vormittag im Museum zurück.
Immer wieder erwische ich mich dabei wie meine Gedanken zu der jungen Frau wandern.Ich will sie wegwischen.
Die Erinnerungen verdrängen.
Den Moment aus meinen Gedanken löschen.
Doch je mehr ich sie vergessen will, desto schärfer wird das Bild vor meinem inneren Auge.
Ich sehe ihre Erscheinung direkt vor mir. Ihren Blick, der nur wenige Augenblicke den meinen streifte und der mich doch tief im Inneren berührt hat. Tiefer, als es je jemand getan hat. Tiefer, als ich dachte, dass mich etwas treffen könnte.
Das, was ich dabei empfunden habe und immer noch empfinde, lässt sich nicht zuordnen und das verwirrt mich.Es ist wie ein Zwei-Sekunden-Film, der immer und immer wieder abgespielt wird. Wie eine kaputte Dvd wird nur diese Sequenz des Films unaufhörlich gezeigt.
Das ständige Durchleben des Moments und meine immer noch ungewissen Gefühle quälen mich.Das Schlimmste war der Moment in dem sie sich auf dem Absatz umgedreht und schnellen Schrittes fortgegangen ist. Als wenn sie Angst vor mir hatte. Gut, vielleicht bin ich nicht der Hübscheste, aber das eine Frau mich so dermaßen abstoßend findet, dass sie vor mir davon läuft, ist mir bisher auch noch nicht passiert.
Entweder findet sie mich wirklich überhaupt nicht attraktiv oder es ging ihr nicht gut.
Oder sie hat in mir jemand anderen gesehen. Wer weiß schon, ob ich nicht vielleicht ihrem Ex ähnlich sehe.Um nicht weiter zu grübeln, begründe ich den ganzen Vorfall einfach damit, dass Frauen merkwürdige Wesen sind, deren Logik ich niemals verstehen werde und versuche mich wieder meinem Arbeitsauftrag zu widmen.
Ich komme eher schleppend voran und als ich meine Augen vom Laptop nehme ist es bereits dunkel draußen und die Straßenlaternen beleuchten spärlich die Straße.
Mein Handy vibriert und zeigt mir eine neue SMS an.
Alles klar bei dir? Läuft mit dem Auftrag alles? Meld dich mal.
Sie ist von Basti.
Mir fällt ein, dass ich ihm auf seine letzten Nachrichten gar nicht geantwortet hatte. Der alles verändernde Blickkontakt mit IHR war dazwischen gekommen.
Wieder beginnen meine Gedanken wie von selbst um die unbekannte, perfekte Frau zu kreisen. Um die Kontrolle zurück zu bekommen, tippe ich schnell eine Nachricht für Basti ins Handy und teile ihm mit, dass es mir gut geht und der Auftrag voran geht, auch wenn ich noch etwas Zeit brauche.
Mein Magen gibt ein tiefes Knurren von sich und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich außer einem Brötchen zum Frühstück nichts nahrhaftes zu mir genommen habe.
Ich bin gerade dabei mit die Reste vom Vortag, Gulasch mit Reis, auf einem Teller in die Mikrowelle zu schieben und auf das erlösende 'Ping' zu warten, als es an der Tür klingelt.
Kein normales Klingeln, sondern ein Langes, als wenn jemand den Finger nicht von der Taste kriegt. Das Klingeln hört auf und ist einem wilden Hämmern gegen die Tür gewichen.
"John? Bist du da?", höre ich eine gedämpfte Stimme.
Ich weiß genau wer das ist. Das habe ich sofort am Klingeln erkannt. Dieser ganze Ablauf aus langem Klingeln, Hämmern und Rufen ist nur einer Person zu zu schreiben.
Flö.
Meine kleine Schwester, die eigentlich Flora heißt und Flo als Spitznamen zu langweilig fand, weswegen sie sich zwei Ö-Punkte dazu gedichtet hat.
Ich öffne die Tür und Flö stapft an mir vorbei, als wäre es ihre und nicht meine Wohnung. Sie schmeißt ihre Tasche in die Ecke und die Jacke gleich hinterher, während sie in einer Tour ohne Punkt und Komma erzählt. Wie immer.
Ich weiß noch nicht einmal worum es geht, aber das ist meistens der Fall und ich glaube eigentlich erwartet sie auch gar nicht, dass ich zuhöre, sondern will sich einfach alles von der Seele reden.Meistens geht es sowieso immer um die selben Personen, ihre Arbeitskollegen, ihre Freunde oder unsere Eltern, und grundsätzlich nur darum was die anderen gemacht oder gesagt haben, worüber sie sich nun aufregt.
Auch wie immer.Und wie immer fallen meine Kommentare ebenfalls stets gleich aus und bestehen meistens aus einfachen Aussagen wie "Hat er nicht gemacht. " oder "Das gibt's ja gar nicht.".
Will ich sie am Reden halten, reichen schon fragende Worte wie "Echt?" oder "Nein?" und schon verlängert sich der Monolog um eine halbe Stunde.Ich gehe in die Küche, um mein Essen aus der Mikrowelle zu holen und wie selbstverständlich folgt sie mir.
Ehe ich mich versehe hat sich Flö mein Besteck geschnappt und schiebt sich eine volle Gabel in den Mund. Auch nichts ungewöhnliches, obwohl es mich jedes Mal maßlos aufregt."Willst du auch was essen?"
Ich bekomme selbstverständlich keine Antwort, denn gerade ist sie viel zu sehr damit beschäftigt eine Schimpftirade über ihre allesamt unfähigen Kollegen vom Stapel zu lassen. Aus Erfahrung weiß ich jetzt schon, dass sie sich dort übertrieben reinsteigern wird und nebenbei alles aufisst, was ihr in die Finger kommt.
"Jetzt sag mal, wie geht es dir denn eigentlich? Was gibt's neues? Du meldest dich ja auch kaum.", unterbricht sie eine halbe Stunde später, völlig unerwartet ihren Monolog und bindet mich direkt mit ein. Ich bin so überrascht, dass ich erstmal einen Moment brauche, Wörter für meine Antwort zu finden.
"Mir geht es gut und in der Firma läuft auch alles."
"Wow John. Erzähl bloß nicht zu viel.", zieht sie mich auf.
"Was soll ich sagen? In meinem Leben passiert bei weitem nicht so viel wie bei dir."
Flö lacht kurz, nickt zustimmend und ist schon wieder dabei einen neuen Monolog zu halten.
Mir ist es recht.
Die heutige Begegnung mit der unbekannten, perfekten Frau behalte ich für mich. Ich will erst wissen, wie ich den Blickkontakt und meine Gefühle dazu einordnen soll. Flö würde sowieso viel zu viele Fragen stellen auf die ich keine Antworten hätte und über die ich im Moment auch gar nicht nachdenken will.Für heute habe ich sowieso schon viel zu viel über die Unbekannte nachgedacht und bin froh, dass mich Flös Monologe ein wenig auf andere Gedanken bringen.
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Ein Hauch von Herbst
Ficção AdolescentePerfekt. Was ist schon perfekt? Für May ist es Alles. Nichts scheint in ihrer Welt dem Zufall überlassen. Alles scheint geordnet und jeder Fehler ist ausgemerzt. Ihr Leben eine Routine in völliger Perfektion und Vollkommenheit. Doch dann gibt es Mo...