John 2

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Es regnet.
Die prasselnden Regentropfen an meiner Fensterscheibe vermischen sich mit der Musik, die aus meinen Boxen dringt. Zusammen bilden sie einen ganzen neuen musikalischen Hochpunkt.

Die Tropfen, die stets im gleichmäßigen Rhythmus aufkommen, nehmen den Basstönen die Schwere und Tiefe. Der Gesang wird durch sie untermauert und es ergibt sich eine Kombination von der ich einfach nicht genug kriegen kann.
Würde ich mich besser mit der Musik, statt mit Webdesign und Kunst auskennen, würde ich meinen eigenen Song mixen und mit Sicherheit einen Hit landen. Ich würde als Newcomer gefeiert werden und vielleicht sogar eine Tour durchs ganze Land geben.
Oder eine Welttournee.
Ich würde Fans auf der ganzen Welt haben und jeder würde meinen Namen kennen. Ich würde Fanpost bekommen und Groupies haben. Paparazzis würden mir hinterher jagen und an jeder Straßenecke würden Menschen stehen und ein Autogramm von mir haben wollen.

Aber ich kenne mich nunmal nicht mit Musik aus und statt mir mein rosarotes Leben als gefeierter Musiker vorzustellen habe ich ein Computerproblem von bestialischer Größe, welches meinen Auftrag, der bis morgen fertig sein soll, gefährdet.
Zugegeben ich mag Herausforderungen und Knobeleien doch habe ich mir an diesem Problem bisher mehr als nur die Zähne ausgebissen. Ich kaue quasi schon auf dem Zahnfleisch.

Ich weiß nicht weiter und das passiert mir äußerst selten.

Verzweifelt stöhne ich auf und raufe mir die Haare. Ich werde wohl Basti anrufen müssen, ob ich es will oder nicht. Normalerweise wäre das kein Problem, schließlich haben wir diese Firma gemeinsam aufgebaut und führen sie auch zusammen.
Wir haben uns damals gleich zu Anfang des Studiums kennen gelernt und was am Anfang nur eine fixe Idee und ein netter Nebenverdienst war, ist heute unser Hauptberuf.
Basti kennen zu lernen und mit ihm das Hobby zum Beruf zu machen gehört definitiv zu den besten Ereignissen, die mir bisher im Leben passiert sind. Man könnte sagen Basti ist so etwas wie mein bester Freund. Wir haben die gleichen Interessen und kommen gut miteinander aus. Nur unsere Lebensstile unterscheiden sich völlig. Während Basti ein Partylöwe ist und keine Gelegenheit ausläst sich die Nächte in Bars und Clubs um die Ohren zu schlagen, sitze ich lieber allein zu Hause und gucke einen guten Film oder verbringe Stunden im Museum. Für Basti ist das völlig unverständlich und ich musste ihm vor Jahren versprechen wenigstens einmal im Monat mit ihm auszugehen. Trotz dieser Abmachung geraten wir bei diesem Thema öfter aneinander.

Genauso auch vor zwei Tagen. Basti wollte zu einer Party - ich nicht. Wir haben uns heftig gestritten und Sachen zueinander gesagt, die ziemlich verletzend waren. Das Gute daran, dass wir eine eigene Firma haben ist die Tatsache, dass wir von zu hause arbeiten können und uns daher nicht zwangsläufig über den Weg laufen müssen.
Aber egal, wie wenig ich Basti in diesem Moment sprechen will, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn anzurufen und um Hilfe zu bitten.

So langsam wie möglich tippe ich die Nummer ein und hoffe nebenbei auf ein kleines Wunder. Vielleicht würde sich das Problem von selbst lösen oder mir würde ein Geistesblitz zur Hilfe kommen.
Ich will gerade den grünen Hörer drücken, als es an der Tür klingelt.

Erleichtert lege ich das Handy weg und stehe von meinem Stuhl auf. Würde ich an Gott glauben, hätte ich ihm jetzt vermutlich gedankt, denn wer auch immer geklingelt hatte, kam genau zur richtigen Zeit.

Fast schon übersprudelnd vor Glück gehe ich zur Tür und öffne sie.

"Guten Tag, ich habe ein Paket für Frau Sievan. Würden sie es entgegen nehmen?"

Ehe ich etwas antworten kann drückt mir der Bote schon ein riesiges Paket in den Arm und verabschiedet sich umgehend. Wenn es etwas gibt was ich fast genauso wenig mag wie auszugehen, so ist es bei anderen Menschen an der Tür zu klingeln und sie irgendetwas zu fragen oder etwas zu überbringen. Jedes Mal setzt ein unangenehmen Ziehen in meiner Brust ein und mein Hals ist wie zugeschnürt. Meistens kann ich dann auch nicht vernünftig sprechen und pipse entweder vor mich hin, was so gar nicht männlich ist oder ich röchel wie ein jahrelanger Kettenraucher. Beides nicht gerade schön. Zu allem Überfluss werde ich auch noch knallrot wie eine Tomate und wünsche mir jedes Mal am liebsten im Erdbeben zu versinken. Kurz ausgedrückt könnte man auch sagen, dass ich nicht gerne unter Menschen bin, was nicht grundsätzlich heißt, dass ich keine Menschen mag. Es ist nur einfach schwierig.

Normalerweise nehme ich auch keine Pakete für meine Nachbarn entgegen und schaue auch immer erst durch den Spion bevor ich die Tür öffne, aber normalerweise streite ich mich auch nicht so heftig mit Basti.

Mir fällt wieder mein Webproblem ein.
Ich werde Basti wohl oder übel anrufen müssen, auch wenn ich noch immer verletzt bin.


Ein Hauch von HerbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt