Prolog

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Wie eine tiefschwarze Wand richtete sich dieses Etwas vor mir auf. Glühend gelbe Augen starrten mich an, versuchten sich in mein tiefstes Innerstes hineinzuschleichen. Ich spürte den warmen Atem dieses Tieres auf meiner Haut und musste mich bei jedem seiner Atemzüge zusammenreißen, nicht gleich wie wild loszuschreien.

Das Adrenalin rauschte nur so durch meine Adern. Wie erstarrt schaute ich diesem schwarzen Etwas in diese bemerkenswerten Augen und merkte nicht, dass ich wie eine Leiche nicht atmete. Mein Gehirn setzte aus. Alles setzte aus. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht schreien und auch nicht den Blick von dem Tier abwenden, das mich verfolgt hatte und nun an einen kalten Felsen drängte.

Ich konnte gar nicht urteilen, nicht sagen, was das für ein Etwas war, das da vor mir stand, aber als die geisterhafte Gestalt – obwohl sie so real wirkte – einen Schritt zurücktrat, sagte mir eine innere Stimme: Wolf. Wolf? Müsste ein Wolf mir nicht bis zur Hüfte reichen und nicht über meinen Kopf hinausragen? Müsste ein normaler Wolf nicht vor mir zurückschrecken, anstatt mich zu bedrohen? Und dann machte es Klick: Werwolf!

Ich schnappte nach Luft und meine schon geweiteten Augen wurden so rund wie der Vollmond, der in dieser eisigen Nacht am Himmel stand und einen schimmernden Schein auf die Welt hinabließ. Meine Hände ertasteten das kalte Gestein des Felsens und gaben mir ein Stück Sicherheit. Aber diese verflog gleich wieder, als das Tier − der Werwolf − seinen Kopf schief legte und sich mit der Zunge über die Schnauze leckte. Mein Puls begann zu rasen, mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich nahm den Blick von seinen fesselnd gelben Augen und blickte knapp an ihm vorbei. Ich reckte das Kinn, aber dabei fiel mir auf, dass ich so meinen Hals freigab. Ihn freigab, damit dieses Etwas mich dort ... Aber anscheinend hatte mein inneres Ich das so entschieden. Vielleicht gab es für mich gar kein später, dann oder nachher mehr. Vielleicht war das mein Todesurteil, mein Ende.

Das Tier schnaufte und setzte sich auf die Hinterbeine, hielt den Blick immer noch starr auf mich gerichtet, als könnte ich jeden Augenblick fliehen.

Plötzlich brummte es in meinem Kopf. Es war unangenehmen, seltsam und total unpassend. Ich verzog das Gesicht, obwohl das Tier mich noch ansah, als hätte es eine Weile nichts zu Fressen bekommen. Als aber plötzlich ein Knurren in meinem Kopf zu hören war, ohne dass meine Ohren etwas aufgeschnappt hatten, arbeitete mein Gehirn wieder: Ein leiser, hilfloser Schrei entwich mir, der sich aber sofort in der Weite des dunklen Waldes verlor.

Das Tier legte den Kopf wieder schief und schob den Kopf nach vorne.

Ich versuchte immer noch seinem Blick aus dem Weg zu gehen, ihn nicht meine Angst wittern zu lassen − was unmöglich war, denn ich zitterte wie wild − und zu hoffen, dass er und dieses komische Gefühl in meinem Kopf, das anscheinend mit ihm gekommen war, endlich verschwinden würden.

Ich wusste, dass du mich hören kannst. Ich wusste, dass du eine von uns bist.

Ich erschrak so dermaßen, dass das Tier aufsprang und zurückwich. In meinen Ohren dröhnte es und der Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Ich drückte die Hände gegen meine Ohren, aber das komische Gefühl in mir war immer noch da. Ich schluchzte und wollte mich auf den Boden fallen lassen, als mir wieder einfiel, dass dieser Wolf immer noch vor mir stand. Und dieses Tier hatte mit mir gesprochen. Nicht wie es Menschen taten, nein, es hatte mit mir im Gedanken gesprochen.

Mit weit geöffnetem Mund drückte ich mich näher an den eiskalten Stein und betrachte das Tier, das durch das Mondlicht einen geheimnisvollen Schein angenommen hatte. Mein Atem ging stockend und ich schaffte es nicht, tiefe Atemzüge zu nehmen. Mit den Händen an den Ohren und einer verschreckten Miene blickte ich diesem Tier in diese mysteriösen Augen.

Es knurrte kaum merklich, senkte kurz den Kopf und verschwand dann mit einigen Sprüngen in der Dunkelheit des Waldes.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als das Tier und damit auch das Gefühl in mir fort war, aber als ich aus meiner Starre verfiel, war der Mond schon ein Stück weiter gerückt. Mein Atem hatte sich wieder gebessert, aber mein Gehirn wollte nicht verarbeiten, was ich da gesehen hatte. Es war kein Wolf, nein, es war ein Werwolf. Ich hatte es immer für eine Legende, eine ausgedachte, lächerliche Lüge gehalten, dass es Menschen gab, die sich in riesige Tiere verwandeln konnten, die einen über die Schultern ragten.

Meine Hand lag auf dem kalten Felsen, während ich die Augen schloss, und versuchte alle Emotionen und Gedanken hinunterzuschlucken. Doch ein Wort blieb: Werwolf.

WolfstriologieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt