3. Kapitel

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Adeline

Die drückende Stille wurde einzig und allein von dem Klappern des silbernen Bestecks und dem Hin- und Herlaufen der Diener unterbrochen. Mein Vater saß an der Stirnseite der langen Tafel und schaute auf den Platz, der ihm genau gegenüber lag. Dort hatte Mutter früher immer gesessen und Freude und Besinnlichkeit in diesem ungemütlichen Raum verbreitet. Zumindest war der Raum für mich ungemütlich und überhaupt nicht vertraut, so als würde ich jeden Morgen in einen anderen Speisesaal marschieren, der mir völlig fremd wäre.

Charles, der mir gegenüber und zur Rechten meines Vaters saß, räusperte sich und schlürfte von seiner Morgensuppe. Aber anscheinend wollte er nichts sagen, denn er blieb ruhig und konzentrierte sich auf seine lauwarme Gemüsesuppe.

Ich funkelte ihn böse an, obwohl ich wusste, dass er es nicht sehen konnte, und spielte mit den Trauben auf meinem Teller. Ich stützte das Kinn in eine Handfläche und sah an meinem Bruder vorbei aus den riesigen, bis zum Boden reichenden Fenstern. Draußen brach die Sonne sehnlich durch die dicken Wolkenschichten und warf in weiter Entfernung einige warme Sonnenstrahlen auf die Stadt. Vaters Stadt.

Ich seufzte, legte das Besteck beiseite und stand auf. Der Stuhl schabte über den blank polierten Boden und holte meinen Vater, den König, der seinem Reich, seinen Leuten gegenüber treu ergeben war, aus seiner Trance.

»Was tust du, Adeline?«, fragte er und sah zu mir auf. Seine Miene zeigte ein Stück Besorgnis und nach meiner Meinung war das auch berechtigt. Immerhin musste ich irgendeinen verkorksten, jämmerlichen Prinzen aus dem Süden heiraten. Ja, ich glaubte, da gab es allen Grund, wütend zu sein.

»Aufstehen, Vater.« Ich warf die Serviette neben meinen Teller. »Und mich dann in mein Gemach begeben.« Ich biss die Zähne aufeinander und sah meinen Vater, den König, eindringlich an.

Dann nickte er zögerlich und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf seinen ersten Gang, den er kaum angerührt hatte. Ich sah ihn noch einen Moment ohne jegliche Regung an, bevor ich mich mit großen und wütenden Schritten aus dem Saal begab. Meine Füße trugen mich durch von der Sonne erleuchtete Flure, in denen mich Bedienstete höflich grüßten, bis hin zu der einen großen und ausgeschmückten Wendeltreppe, die zu den Gemächern führte. Die Stufen waren vertraut und so war ich binnen einiger Sekunden oben angekommen und marschierte ohne einen Rückblick in mein Zimmer. Nachdem die verzierte Tür zugeknallt war, blieb ich regungslos stehen, ballte die Hände zu Fäusten und versuchte meinen Atem zu regulieren. Nach einigen Momenten öffnete ich meine Augen wieder und musterte mein Zimmer. Alles so wie immer, sagte eine Stimme und ich seufzte. Meine Muskeln entspannten sich, bevor ich auf die Fensterbank zuging und mich dort fallen ließ. Ich strich den feinen Stoff meines Kleides glatt und lehnte meinen Kopf an die kühle Steinmauer. Mein Blick fiel auf den Wald hinter dem Fenster und beugte ich mich ein Stück vor, so konnte ich Teile der Stadt sehen.

Trauernd nahm ich den Blick von dem hellen Grün und blickte auf meinen Arm. Ich schob den Ärmel des Kleides bis zum Ellenbogen hoch und nahm mit der anderen Hand das Armband auf, das mir Ethan geschenkt hatte. Ich seufzte und musste schwer schlucken. Ich wollte keinen Prinzen heiraten. Ich wollte Ethan heiraten. Den Mann, der für mich da war, der mich wirklich liebte. Und nicht irgendeinen Trottel, der noch nicht einmal wusste, was eine Gabel war.

»Verflucht«, stieß ich hervor und drängte die Tränen zurück, die versuchten ihre Wege über meine Wangen zu finden. Ich sollte nicht weinen, denn ich war eine Prinzessin. Aber war es für uns verboten, Gefühle zu hegen? War es falsch?

Ich nahm den Blick abrupt von dem Armband und schob wütend den Stoff des Kleides zurück. Innerlich zerriss mich das alles und ich wollte nichts als raus aus meiner Haut, die mir jeden Moment drohte, mich zu ersticken. Meine Hände ballten sich wieder zu Fäusten, während ich versuchte an gar nichts zu denken. Ich, Adeline, Prinzessin, versuchte einfach alles auszublenden. Ich dachte nur an eine blühende Blume. Klein und zaghaft, so als könnte ihr jeden Moment etwas Schreckliches widerfahren. Ich dachte daran, wie sie im Wind wiegen und eifrig die Sonnenstrahlen aufsaugen würde. Wie sie wachsen und wachsen würde und sich irgendwann in ihrer vollen Blüte präsentieren könnte. Wie sie ...

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