2. Kapitel

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 Adeline

Die Kälte umschloss mich wie ein unantastbarer Schleier. Es fühlte sich gut an, die Anspannung und die Kopfschmerzen endlich abschütteln zu können. Kalter Wind strich mir durch meine Haare, während ich meinen Atem sah, der in die Luft aufstieg. Binnen eines Augenblicks hatte er sich mit der kalten Luft vermischt und war verschwunden. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die farbigen Wolken, die sich von den letzten Strahlen der Sonne färbten. Sie wirken so sorglos, so zufrieden, dass ich mich für das hasste, was mein Titel aussagte. Ich konnte mir gleich ein Schild umhängen auf dem stehen würde: Heiratskundige Prinzen immer hergekommen!

»Ich hasse das alles«, fluchte ich und starrte auf den Boden. Sofort erinnerte ich mich an die Nacht, in der ich einem Wesen begegnet war, von dem ich nicht wusste, ob ich an dieses Geschöpf glauben sollte oder ob das nur Hirngespinst gewesen war.

Ich schüttelte den Kopf und fluchte wieder. Letztens war ich diesem Wesen im Wald begegnet. Es würde sich nicht auf den königlichen Hof wagen. Oder? War ich überhaupt noch sicher? All das machte mich so fertig, dass ich einfach nur normal sein wollte. Keine Prinzessin, kein Mensch, der eine Begegnung mit einem gruseligen Riesenwolf überlebt hatte. Gar nichts wollte ich mehr sein.

Seufzend setzte ich mich in Bewegung und umschlang die Decke fester, die mir wärmend um die Schulter lag. Ich blickte immer noch auf den Boden, der sich vor mir ergab. Ich wollte nicht in den Wald spähen, der das Grundstück umgab. Ich wollte nicht, aber dennoch war der Drang dort hinzusehen, größer als die allzu gute und bewehrte Vernunft.

Mein Atem ging stockend, als ich nichts weiter als einige Bäume in diesem Stück Natur sah. Vereinzelte Fackeln an der Palastmauer gaben ein wenig Licht in dieses Waldstück ab, aber da war nichts. Jetzt wirst du auch schon paranoid, warf ich mir vor und schimpfte mit mir selbst.

Abrupt blieb ich stehen, als ich eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. Mein Herzschlag beschleunigte sich und in der Stille hörte ich das ungebändigte Pochen meines Herzens. In meinen Ohren dröhnte es und ich versuchte, den Anflug von Angst einfach hinunterzuschlucken. Langsam richtete sich mein von Angst und Verzweiflung geprägter Blick auf einen klein geratenen Baum, ganz in der Nähe der Palastmauern.

Ich schluckte stark, bevor ich etwas Gelbes aufblitzen sah. Ich schrak zurück und wollte schon wie ein verängstigtes Reh wegrennen, als jemand rief: »Adeline.«

Mit aufgerissenen Augen wirbelte ich herum und starrte in den Wald. Dann sah ich eine Hand, einen menschlichen Körper, ein Gesicht.

»Ich bin es«, sagte Ethan, als ich ihn erkannt hatte.

Erleichtert nahmen meine Lungen den wertvollen Sauerstoff wieder auf, ehe ich näher an die Mauern trat. »Was machst du hier?«, fragte ich und versuche meine Stimme leise zu halten. Ich wollte keine Wache auf mich aufmerksam machen.

Ethan räusperte sich und fragte: »Was war das vorhin? Das mit deinem Vater?«

Meine Laune nahm so langsam ihren Tiefpunkt an und mein Gesicht zeigte pures Bedauern. »Es ging darum, wen ich heirate, Ethan. Ich musste mit meinem Vater und Charles die gesamten Prinzen des südlichen Reiches durchgehen. Es ... es tut mir leid, Ethan.«

Seine Miene hatte sich schnell geändert und er sah wahnsinnig niedergeschlagen aus. Traurig, aufgelöst.

Mir tat sein Gesichtsausdruck, die Weise, wie die Hoffnung aus ihm wich, unendlich leid. Ich wollte zu ihm, ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass alles gut werden würde. Aber wir beide waren so schlau, um zu wissen, dass nichts gut werden würde.

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