3.Kapitel

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Unzufrieden sah Paul an sich hinunter. Er trug das beste Hemd und die beste Hose, die er besaß, aber er sah seiner Meinung nach trotzdem noch aus wie ein Bauernjunge, der er ja auch war.

 In einer Stunde würden die "Vorstellungsgespräche" im Schloss anfangen und Paul wollte möglichst früh da sein. Da er mindestens eine Stunde zu Fuß vom Hof zur Stadtmitte brauchen würde, kontrollierte er sich noch einmal kurz im Spiegel und verließ das Haus. Seine Eltern waren schon um 5 Uhr morgens zu den Feldern gefahren, um dort zu arbeiten und deshalb musste er laufen, die Familie Jacobs besaß nur einen einzigen Pferdewagen.

 Der Weg war lang und so hatte Paul genug Zeit zu überlegen, für welche Art von Arbeit der Palast Leute benötigte, das hatte nämlich nicht in der Anzeige gestanden. Vermutlich wurden entweder in der Schlossküche oder im Stall Personal gesucht, vermutete Paul und fragte sich, ob er überhaupt den richtigen Eingang finden würde, wenn er erstmal angekommen war. 

Dies stellte sich allerdings als kein Problem heraus, denn als Paul das Schloss erreichte, sah er eine lange Schlange vor einem der Hintereingänge warten. Es standen c.a 30 Leute vor dem Eingang, in dem alle 5 Minuten einer von ihnen verschwand. Paul zählte 11 Frauen, 10 Männer, 5 Jungen, die in etwa so alt waren wie Paul und 4 Jungen, denen man ansah, dass sie sicher noch nicht 15 waren sondern höchstens 12. Aber die Zeiten waren hart, wer arbeiten gehen konnte, der tat es. 1 1/2 Stunden vergingen, in denen Paul sich damit beschäftigte die Fenster zu zählen, die er sah (20), die Türen (5), die Tauben (50) und den Menschen die vor ihm standen potentielle Namen zu geben. Als er schon so gelangweilt war, dass er begann im Kopf die Sekunden zu zählen, die es dauerte bis jemand wieder aus der Tür herauskam, ging auch der letzte junge Mann vor ihm in den Palast hinein. 5 Minuten später kehrte er zurück und eine Frau winkte Paul ihr zu folgen.

 Paul, der sich das Königsschloss immer sehr prächtig und atemberaubend vorgestellt hatte, wurde ziemlich enttäuscht, während er hinter der Frau herhastete, die in einer solchen Geschwindigkeit den Gang hinunter lief, dass Paul ihr fast nicht folgen konnte. Die Gänge waren dunkel und unverziert und obwohl die Wände mit dunklem Holz vertäfelt waren, herrschte in dem Teil des Palastes, in dem Paul sich befand, eine Eiseskälte, als wären sie aus blankem Stein. Plötzlich bog die Frau vor ihm ruckartig um die Ecke, stieg eine Treppe hinauf und öffnete die Tür zu einem Raum, der schon ein bisschen mehr Pauls Vorstellungen entsprach. Er war heller und wärmer, vor den großen Fenstern hingen bodenlange Vorhänge  und ein paar Stühle standen ordentlich um einen Tisch. Paul und seine Leiterin durchquerten diesen Raum  zu Pauls Erleichterung in einem deutlich langsameren Tempo als die Gänge vorher. 

Nachdem sie durch drei weitere Räume gegangen waren, erreichten sie endlich ein Zimmer, in dem eine große, dünne Frau mit strengem Gesicht saß. Neben ihr saß ein Mann, auch er machte keinen besonders freundlichen Eindruck. Die Frau, die Paul hergeführt hatte, nickte den beiden zu und verließ den Raum.

"Name?", wollte die Frau an dem Tisch wissen.

"Paul Southernwind!"

"Southernwind? Das ist doch kein Name!", knurrte der Mann neben ihr.

"Doch, ich bin ein Findelkind. Mein Pflegevater hat mich so genannt.", entgegnete Paul scharf, denn er war sehr stolz auf seinen außergewöhnlichen Namen.

"Ah ja, und wie heißen deine richtigen Eltern?"

Allmählich fragte sich Paul, ob diese Person überhaupt den Begriff eines Findelkindes kannte. Wenn er gefunden worden war, war es doch naheliegend, dass er nicht wusste wer seine echten Eltern waren.

"Das weiß ich nicht, Sir! Aber meine Pflegeeltern heißen Jacobs."

"Kannst du lesen?", übernahm jetzt wieder die Frau, die Pauls Antwort komplett überhört hatte.

Paul schüttelte den Kopf.

"Und schreiben?" 

Logischerweise auch nicht, Paul war ja nie zur Schule gegangen. 

"Nein!" 

Die Frau seufzte resigniert auf.

"Kannst du überhaupt etwas?" Aber sobald Paul ansetzte aufzuzählen was er konnte, unterbrach sie ihn:

"Geburtstag?" 

"23.November 1730, ich bin gestern 15 geworden."

Die Frau lächelte schmallippig und spöttisch.

"Na dann, herzlich Wilkommen in der Welt der Erwachsenen, Paul. Du darfst jetzt gehen!"

Draußen angekommen blinzelte Paul in die Sonne und schrieb einen Job im Palast bereits gedanklich ab. Und mit einem Blick auf die Menschenmenge, vor der Tür, die sich inzwischen verdreifacht hatte, wusste er wie gering seine Chancen waren.


1 Woche später:

Familie Jacobs aß gerade zu Mittag, als der Bote kam. 

"Paul Southernwind?", fragte er und sah sich suchend um.

"Ja, ich!", meldete sich Paul und wunderte sich, als der Bote ihn geschockt ansah.

"Oh, ich wusste nicht, dass du so jung bist.", sagte dieser leise.

"Jaja, die Kinder müssen schon früh arbeiten, aber so ist es nunmal, das ist unsere Zeit.", ließ sich Mary Jacobs vernehmen.

"Das stimmt." Der Bote lächelte kurz auf. "Ich habe gute Nachrichten für dich Paul. Du hast die Arbeitsstelle im Palast bekommen. Morgen um 7 Uhr fängst du an."

Paul starrte ihn ungläubig an. Er war genommen worden? Wieso das denn? Seine Antworten waren doch immer falsch gewesen, er konnte weder lesen noch schreiben und hatte keinen richtigen Nachnamen. Aber er hatte keine Zeit sich zu wundern, denn seine Eltern überhäuften ihn dermaßen mit Glückwünschen, dass er kein Wort herausbringen konnte.

Sie werden es schon wissen, warum sie mich genommen haben. Im Königsschloss macht man keine Fehler! , dachte er bei sich. 

Aber ein leises Unbehagen setzte sich trotzdem in seine Brust, weil er tief im Inneren wusste, dass es eigentlich nicht sein konnte.

Der SpionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt