Kapitel 43

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"Ich denke, es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst."

"Über was?"

"Über Christian, über Mike, über meine Mom, über Weihnachten, über alles."

"Weshalb der Sinneswandel?"

"Ich hatte diesen schlauen Gedankengang, dass du, wenn ich alles aufdecke, endlich gehst und nie mehr wieder kommst."

"Das sehen wir dann. Wie fangen wir an?"

"Mit einem Brief."

"Von wann?"

"Einer der letzten. Ich weiß nicht genau, von wann er ist. Mike hat vergessen das Datum drauf zu schreiben."

"Also gut. Dann erzähl."

"Monica, 12.11.15

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es geht alles so schnell. Das Leben. Es zieht an mir vorbei, wie ein einziger verschwommener Schwall. Ich bekomme nichts mehr mit. Alle leben, alle funktionieren, alle sehen, doch alles was meine Instinkte wahrnehmen, ist diese grauenvolle Leere. Meine Gefühle. Es ist als wären sie alle verschwunden. Natürlich nicht die für dich. Aber der Rest. Noch nicht mal die Kleine kann mich zum Lachen bringen. Ich bin eine einzige graue Masse. Zum sterben bereit.

Aber ich will doch gar nicht sterben. Ich habe doch noch mein ganzes Leben vor mir. Möge es auch noch so hoffnungslos sein, ich möchte mich durch diese Welt kämpfen, möchte das Glück erleben, genauso wie den Schmerz. Nur den Tod, der soll weg bleiben. Mich holen, wenn ich alt und schrumplig bin. Aber doch nicht jetzt.

Ich atme. Aber ich bekomme keine Luft. Der Sauerstoff weigert sich durch meine zerlöcherten Lungen zu ziehen. Ich bin mir nicht einmal mehr Sicher, ob ich überhaupt noch eine Lunge habe. Ob ich einen Körper habe. So taub wie der ist. Ich will das nicht. Ich möchte nicht schwach oder kränklich wirken, aber ich will nicht mehr. Die Sinnlosigkeit des Lebens. Sie hat mich eingeholt. Zeigt mir, dass es keinen Wert mehr hat. Und ohne Wert, keine Schätzung. Was bedeutet Glück, wenn es vergänglich ist? Was ist schon Liebe, wenn sie nicht unendlich ist? Dabei ist es alles ganz leicht. Zu leben meine ich. So unerträglich Leicht. Es geschieht, ohne das man etwas machen muss. Es sind nur deine Ansprüche, die das Leben, dein Leben, hart und kompliziert machen. Denn es ist ganz leicht. Das Sein. Eine Leichtigkeit.

Ich fange an, mich vor mir selbst zu ekeln. Ich fange an mich vor allem zu ekeln. Da ist dieses Café. Ein Studentencafé unten an der Ecke. Ich habe es geliebt dort hin zu gehen. Stundenlang saß ich an einem der Plätze am Fenster. Beobachtete die Menschen, wie sie hektisch und gestresst auf der Straße entlang liefen. Alle verfolgten sie ihr Ziel. Hatten Träume, die sie überall mit sich herum trugen. Und jetzt. Ich sehe nichts als grauen Schleim. Alles so hässlich und kühl. Eine Wolke, die mich umhüllt und alles in meiner Nähe in Verderben verwandelt. Meine Augen sehen nur noch die Hässlichkeit der Welt. Den Schmerz und die Trauer.

Es geschieht alles so plötzlich. Als hätte jemand die Zeit angekurbelt, um uns alle zum Sterben zu bringen. Wie kann ich dir versichern, dass das hier nicht mein letzer Brief sein wird? Wie weiß ich, dass ich in den nächsten Minuten nicht einfach dahin laufe? Meine leere Seele sich auf dem Boden ergießt und du diesen Brief nie erhalten wirst? Wie kann ich dir das nur antun? Dich verlassen, wenn du doch schon so viel ertragen musstest? Ich war ein Idiot zu glauben, dass alles wieder gut werden wird. Ein Idiot, von einer Zukunft zu träumen, die es nie geben wird. Ich wollte mit dir sein. Dich an meiner Seite zu haben, war mein Sauerstoff in einem unendlichen Vakuum. Doch diesen Sauerstoff gibt es nicht und gab es auch nie, denn du bist nicht hier. Du liebst Christian. Trotzdem bin ich in das Vakuum gestiegen und schlussendlich erstickt. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich wollte dich für mich und habe dabei alles aus den Augen verloren.

Ich liebe dich. Ich möchte, dass du das weißt. Ohne dich, wäre ich schon vor Wochen abgekratzt. Du bist ein zauberhafter Mensch. Wundervoll und so besonders. Ich wünschte, wir hätten noch ein bisschen mehr Zeit zusammen gehabt. Aber ich kann es spüren. Der Tod. Er steht hinter mir. In diesem Moment. Sieht mir über die Schulter und dann auf seine Uhr. Wie lange er noch Lust hat, das unvermeidliche Ende herauszuzögern. Ich spüre seinen kalten Atem in meinem Nacken und fühle mich wie das vergänglichste Etwas dieser Welt.

Bitte vergiss mich nicht,

In Liebe,

Mike."

"Wow."

The pain wears white #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt