Die letzte Kammer seines Herzens#WATTBOOKS2017

ER

„Also, es ist jetzt genau 13:31 Uhr. Um 14 Uhr muss Dad jedoch wieder in der Praxis sein, was heißt, dass er sich spätestens in vier Minuten auf den Weg machen muss, wenn er wie gewohnt noch davor einen Kaffee trinken gehen will.", erklärte Linny, wobei sie das Display ihres Handys nicht aus den Augen ließ.

Wir standen an der Ecke des italienischen Lokals und warteten.

„Da! Sie verlassen das Lokal.", flüsterte Linny und machte sich schon auf, den beiden zu folgen. Mit fünf Metern Sicherheitsabstand folgten wir ihnen.

Wir konnten nur Gesprächsfetzten wahrnehmen, weil der Wind und das Hupen der Autos alles verzerrte.

„Achtung! Sie bleiben stehen.", warnte mich Linny.

Wir stellten uns gerade noch rechtzeitig in den Hauseingang eines Wohnungsblocks, ehe sie anhielten. Ich bewegte meinen Kopf ein kleines bisschen nach vorne, um die beiden im Blick zu behalten.

Ich traute meinen Augen nicht. Die Befürchtungen von Mum. So schmerzlich. Und doch so wahr.

Ich sah wie Tristan in seiner Jackentasche kramte und dann eine Schachtel Zigaretten herauszog, meinem Vater eine anbot und sich anschließend selber eine zwischen die Lippen schob. Keine Frage, ob mein Vater dieses verlockende Angebot annahm. Klar tat er es.

Den Rest wollte ich nicht sehen. Ich wollte nicht sehen, wie mein Vater lässig wie eh und je den Rauch ausblies und dann wieder an seiner Zigarette zog.

„Was siehst du?". Meine Schwester tippte mir von hinten auf die Schulter.

„Dad ist rückfällig geworden.", stieß ich heiser hervor.

„Er ist durch IHN rückfällig geworden." Linny schob mich wortlos beiseite und blickte selbst über den Mauervorsprung.

Dann drehte sie sich abrupt zu mir um und nahm ihre Sonnenbrille ab. Wir starrten uns eine Weile lang einfach nur an. Fassungslos. Entrüstet. Wütend. Wütend auf meinen Dad, dass er sich so leicht beeinflussen hat lassen. Aber noch viel mehr: Wütend auf Tristan, der ihn verdammt noch mal zu diesem Dreckszeug verführt hatte. ER hatte sie ihm angeboten.

Wir wussten jetzt, dass sich eine von Mums Befürchtungen bewahrheitet hatte.