Doch nicht so wunderbar sorglos

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Warme Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster drangen, kitzelten mich an der Nase. Von draußen hörte ich das vertraute Vogelgezwitscher und ein sanfter Geruch nach frisch gebackenen Brötchen hing in er Luft.

Ich öffnete sacht meine Augen und blinzelte in die Sonne, die mir mein blasses Gesicht wärmte. Ich streckte mich und beobachtete zwei Meisen, die im Apfelbaum gegenüber von mir den Frühling begrüßten. Ich seufzte. Alles war in bester Ordnung.

So schien es mir wenigstens, obwohl mein Unterbewusstsein das Gegenteil behauptete. Aber heute würde ich für einen Tag alle Sorgen und Ängste, die ich gestern noch meinem Tagebuch anvertraut hatte, weit von mir schieben.

Ich würde sie einfach in die Kiste unter meinem Bett verbannen, wo sich die alten Playmobilfiguren türmten, mit denen Linny und ich früher so oft gespielt hatten.

Ich würde jetzt in meinen Morgenmantel schlüpfen, flüchtig durch meine Haare bürsten und dann nach unten in den Garten laufen, um mich in die Hängematte zu legen, die hinter dem kleinen Gartenteich zwischen zwei alten Buchen gespannt war. Dort war mein absoluter Lieblingsplatz.

Das einzig Gute an diesem quaderförmigen Neubau, dass man tatsächlich Haus nannte, war der kleine Park, der das Grundstück umrandete. Wirklich Zuhause fühlte ich mich nur dort. Ich hatte ein kleines Gemüsebeet unter meinem Fenster angepflanzt und rechts von meiner Hängematte hatte ich letztes Jahr einen Blaubeerstrauch eingesetzt. Für die Blumen war meine Mum zuständig. Unzählige kleine und große Blumentöpfe schmückten die ausladende Terrasse, von der man hinunter in den Garten gelangte. Rosen, Narzissen, Dahlien, Sonnenblumen und Nelken reihten sich dort dicht aneinander und bildeten so eine undurchlässige Wand leuchtender Farben.

Ich war gerade mit dem einen Arm in den mit grauen Punkten bedruckten Morgenmantel geschlüpft, als jemand an meine Zimmertür klopfte.

„Was ist?", knurrte ich. Ich hatte heute Morgen wirklich keine Lust auf irgendwelche Überraschungen, Schock-Nachrichten, Befürchtungen meiner Mum, Streitgespräche oder Ähnliches.

„Kann ich herein kommen? Ich will dir nur dein Frühstück bringen." Einen Moment später stand meine Mum in ihrer Bürokluft vor mir. Ihre Haare hatte sie mit einer Klammer streng nach hinten gebunden. Sie hatte sogar schon ihre schwarzen Pumps an, die jetzt mit jedem ihrer Schritte auf den Holzdielen dumpf wiederhallten.

Sie stellte mir ein Tablett, auf dem sie ein Glas Orangensaft und ein Marmeladenbrötchen serviert hatte, auf meinen Nachttisch. Ihr anhaltendes Lächeln machte mich misstrauisch. Allein die Tatsache, dass sie Samstagmorgen vorhatte ins Büro zu gehen, war ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Sie stand jetzt direkt vor mir und wuschelte mir durch meine rabenschwarzen Haare. Ich entzog mich ihrer Hand und wich einen Schritt zurück.

„Mum, was ist los?", fragte ich sie streng. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und fuhr mit einer Hand in die Tasche ihres Overalls.

„Warum gehst du heute ins Büro? Du hast doch sonst nie Kunden am Wochenende?", bohrte ich weiter.

„Naja, du weißt doch wie ich bin." Sie hob entschuldigend die Hände. „Ich kann die Wünsche meiner Kunden einfach nicht abschlagen.", setzte sie erneut an. „Heute habe ich auf jeden Fall einen wichtigen Termin, bei dem es um wirklich viel Geld geht und dieser Kunde ist ein vielbeschäftigter Mann, der nur heute Zeit hatte sich mit mir zu treffen."

Sie ließ nun ihre Hände schlaff nach unten hängen, was mir zeigte, wie niedergeschlagen sie hinter der Fassade der so fröhlichen Mum war. Wahrscheinlich tat es ihr einfach nur leid, dass sie uns heute an diesem so wundervollen Frühlingstag allein ließ.

Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie mir irgendetwas verbarg. Ich sah es an ihren verengten Augen, die glanzlos und matt zu seien schienen. Plötzlich spürte ich die gleiche Ungewissheit wie heute Nacht. Das gleiche Unbehagen breitete sich in meinem Körper aus. Was war gestern passiert? Woran konnte ich mich nicht erinnern? Was war das für ein Klingeln, das ich gestern nur schwach wahrgenommen hatte? Ich spürte wie der eben noch da gewesene Moment der Entspannung aus mir floh und einem Gefühl der Kälte und düsteren Täubnis wich.

Die letzte Kammer seines Herzens#WATTBOOKS2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt