Erwischt

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Die Fahrt über herrschte ein einvernehmliches Schweigen und ich starrte geistesabwesend aus der getönten Fensterscheibe den vorbeiziehenden Häusern und Bäumen nach.

Als Mum  in die Einfahrt zu unserem Haus fuhr, hätte ich durch den aufgewirbelten Staub der Kieselsteine fast den froschgrünen Bentley meines Daddys  übersehen, der schief vor der weißen Garage geparkt war. Möglichst unauffällig schielte ich zu Mum vor und versuchte so ihren Gesichtsausdruck zu lesen mit dem sie jetzt mitten in der Einfahrt den Wagen abstellte, ausstieg und wie motorgesteuert die Einkaufstüten aus dem Kofferraum holte.

Dieser verschleierte Blick genügte um zu wissen, dass Mum genauso überrascht war wie ich Dads Wagen mitten am Tag vor der Haustür stehen zu sehen. Ich nahm die letzte Tüte und zwei Flaschen Orangensaft aus den Kofferraum und beeilte mich ins Haus zu kommen. Als ich alles die weißen Marmorstufen nach oben hievte, bemerkte ich, dass die Haustür offen stand. Fragend drehte ich mich zu Mum um, die hinter mir die Treppe nach oben gekommen war. Sie zuckte nur mit den Schultern, woraufhin ich kurz entschlossen den langen Flur entlang sprintete, so gut wie das mit einer Tüte und zwei Flaschen unterm Arm möglich war.

Als ich keuchend in der Küche angelangt war, stellte ich die Einkäufe auf der Kochinsel ab und begab mich mit einer leisen Vorahnung auf die Terrasse. Wenn Dad so  ungewöhnlich früh von der Arbeit kam, konnte das nichts Guts bedeuten, und wenn er in Schwierigkeiten steckte, dann brauchte er ein Ventil. Und irgendwie wurde ich den Gedanken nicht los, dass sich sein Druckventil geändert hatte.

Wenn es vor einem Jahr noch Ausmisten uralter Sakkos war, dann war es jetzt mit ziemlicher Sicherheit das Rauchen. Ich schob also die Terrassentür auf, lief die drei Treppenstufen zum Garten hinunter und eilte dann zielstrebig zu der alten Trauerweide, deren  lange und dürre Zweige bis ins Wasser ragten. Da stand er. Leicht an den Baum gelehnt, sich mit dem Ellenbogen abstützend. Den Blick starr auf den See gerichtet, der im Gegensatz zu dem protzigen Haus im Hintergrund fast lächerlich klein und trüb aussah. Die Zigarette zwischen den Lippen, die er fest zusammen presste, so als ob  er Angst hätte jemand könnte sie ihm jeden Moment entreißen und ihn somit in die Wirklichkeit zurück hohlen.

Genauso war es doch: Dieses ganze Suchtzeugs, wie Alkohol, Zigaretten und Drogen, das war doch nichts anderes als der Weg in eine verzerrte Wirklichkeit, in eine Scheinwelt, die erst glimmernd und glitzernd beginnt, verführt, bis man den Weg in die wahre Welt nicht mehr findet. So wie Tante Merry immer zu pflegen sagte: „Nichts ist umsonst in dieser Welt, mein Kind. Alles hat seinen Haken." Und dann hat sie mir zugezwinkert, so als wüsste ich genau was sie damit meinte und hat leise hinzugefügt: „Warts nur ab bis die Welt sich vor dir auftut mit ihren schillernen Verführungen, du hast immer Wahl für welche Tür du dich entscheidest. Vergiss das nie." Ich hatte nichts von dem verstanden. Ich hatte auch nichts von Türen und Entscheidungen wissen wollen. Ich hatte den Moment leben wollen, diese Sekunde im Hier und Jetzt und es bei der Zukunft bei einem fernen blassen Traum belassen wollen. Offensichtlich bemerkte er mich nicht.

Er schien in seine eigene Wirklichkeit vertieft und es kostete mich immense Überwindung in da raus zu hohlen.

„Dad?". Er drehte sich in meine Richtung. Erschrocken. Gehetzt wie ein verfolgtes Tier. Seine Augen sahen trüb aus, genau wie der See, der verzerrt sein Spiegelbild wiedergab.

Ertappt nahm er die Zigarette mit der rechten Hand aus dem Mund und versuchte sie hinter seinem Rücken zu verstecken, als könnte er so dass eben Geschehene ungeschehen machen. Als könnte sein Wunschgedanke die Realität ablösen. Dann kniff er die Lippen zusammen, so als ob er Angst hätte, unüberlegte Worte könnten sie ungewollt verlassen.

„Dad, was treibst du hier? Was ist los? Sag was!" Seine Augen fixierten jetzt seine glatt polierten schwarzen Lederschuhe. Wie ein Schuljunge, der bei einer  Untat erwischt wurde, schoss es mir durch den Kopf. Im Grunde wurden Männer doch nie ganz erwachen. Inzwischen hatte er die Zigarette auf dem vom Gärtner frisch gemähten Rasen ausgetreten. Er hatte den Blick gehoben und schaute mich jetzt unverwandt an, offensichtlich entschlossen sich nicht in die Rolle des erwischten Schuljungen drängen zu lassen.

„Ich war gestresst, verstehst du?".  Nein, ich verstand überhaupt nicht, aber egal. Wenn er sich gelassen geben konnte, dann war ich das schon längst. Herausfordernd reckte ich das Kinn nach vorn.

„Okaaay. Und wieso wenn ich fragen darf?".  Er fuhr sich resigniert durch sein schon an den Schläfen ergrautes Haar.

„Ach Schätzchen, das kommt halt mal vor, wenn man Leiter einer so großen Firma ist, wie ich es bin." Aha. Also jetzt die Mitleids- und die „du-verstehst-davon-doch-eh-nichts"-Masche.

Man kennt ja seine Pappenheimer, würde Tante Merry jetzt sagen und dabei wissend vor sich hin nicken. Wie ich sie vermisste. Über ein Jahr hatte ich sie jetzt schon nicht gesehen. Über ein Jahr, in dem mir ihre schwedischen Weisheiten versagt blieben. Ich seufzte innerlich auf und machte mich auf eine Diskussion bereit, als ich von hinten meinen Namen hörte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 30, 2017 ⏰

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Die letzte Kammer seines Herzens#WATTBOOKS2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt