Kapitel 2~ Crazy Girl

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Mein gebrochenes Herz hatte mich verrückt gemacht, anders war es nicht zu erklären.

»Ella, ich habe etwas ganz Dummes getan«, beichtete ich meiner Schwester mit zittriger Stimme.

Mittlerweile war es weit nach der akzeptablen Störungszeit. Jeden normalen Menschen, der noch zu dieser späten Stunde anrief, würde man vermutlich anschreien und die Nummer anschließend löschen.

»Oh, nein! Ich wusste, ich kann dich nicht allein lassen«, rief meine Schwester entsetzt aus und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie die Hände vor ihrem Gesicht zusammenschlug. Vermutlich nur eine Hand, mit der anderen hielt sie schließlich das Telefon.

»Was genau?«, fragte sie zaghaft nach. Offenbar versuchte sie sich nicht das Schlimmste auszumalen.

»Ichhabemichbeirichloveangemeldet«, ratterte ich ohne Punkt und Komma herunter und wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Die letzten Stunden hatte ich damit zugebracht, Fotos meines Traummannes anzusehen und eine Bewerbung zu tippen. Mit dem Klicken auf den Button »Senden« hatte ich mein Schicksal besiegelt. Und erst danach hatte ich das volle Ausmaß meiner Tat begriffen.

Wie gelähmt saß ich auf der Couch, die ich seit meinem letzten Telefonat mit Ella nicht mehr verlassen hatte. Obwohl mich niemand außer mein Kater Tommy sehen konnte, standen meine Wangen in Flammen und ich versteckte mich mit zusammengekniffenen Augen unter der flauschigen Wolldecke. Auch wenn das nicht wirklich helfen würde, fühlte ich mich zumindest ein wenig besser.

»Häh?«, fragte Ella und obwohl ich mir gerade wie der verzweifelteste Mensch auf der Welt vorkam, wäre mir beinahe ihr Standardsatz »Das heißt Wie bitte, Kinder« herausgerutscht. Doch Situationen wie diese setzten wohl sogar so sprachbewusste Menschen wie meine Schwester vorübergehend außer Gefecht.

»Ich habe mich bei Rich Love angemeldet.« Ich bemühte mich langsam und deutlich zu sprechen – dennoch war es nur ein heiseres Flüstern. Ella schien es trotzdem verstanden zu haben.

»Du hast was!?«, kreischte sie auf. »Hast du jetzt komplett den Verstand verloren? Mama wird der Schlag treffen.« Natürlich wusste Ella sofort, wovon ich sprach. Rich Love war seit der letzten Staffel so bekannt wie Germany's Next Topmodel oder Der Bachelor.

»Ich weiß, dass es bescheuert war«, sagte ich und wieder verschleierten Tränen meinen Blick. Ein Schluchzer bahnte sich meine Kehle hinauf. Ich hörte, wie meine Schwester am anderen Ende der Leitung tief ein und ausatmete, um sich zu beruhigen.

»Aber warum hast du es dann getan?«, fragte sie und ich merkte ihr deutlich an, wie sehr sie sich zu beherrschen versuchte.

»Weil ich meinen Traumprinzen gefunden habe«, antwortete ich schlicht und zum ersten Mal seit Stunden stahl sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Zum Glück konnte Ella das nicht sehen, andernfalls hätte sie mir wohl spätestens jetzt eine Kopfnuss verpasst. Mich bei einer Castingshow anzumelden, zählte wirklich nicht zu meinen Glanzleistungen.

»Außerdem hast du mir gesagt, ich müsse viele Frösche küssen«, fügte ich kleinlaut hinzu.

»Fanny! Wie oft soll ich es dir noch sagen: Es gibt keine Traumprinzen«, beteuerte sie.

Vielleicht hätte ich besser eine Nacht darüber schlafen sollen, um der Tatsache, wie bescheuert mein Vorhaben war, erst morgen in die Augen sehen zu müssen. Ella redete sich zunehmend in Rage, wobei ihre flüsternde Stimme kratzig klang. Vermutlich versuchte sie Thomas nicht zu wecken, sollte dieser bei ihrem vorherigen Aufschrei nicht bereits vor Schreck aus dem Bett gefallen sein.

»Glaubst du, Thomas ist mein Traumprinz?« Hoffentlich war der Gute neben ihr im Bett wirklich nicht gerade wach. »Nein und das ist auch gut so, denn das Leben ist kein Märchen«, beantwortete sie ihre Frage selbst.

Sie verstand mich nicht und ich mich im Moment auch nicht. Aber was hätte ich denn tun sollen? Zusehen, wie mein Traumprinz auf seinem weißen Pferd auf und davon reitet?

»Eine Fernsehshow, Fanny? Ist das dein Ernst? Möchtest du ernsthaft bei so etwas mitmachen?«

So wie sie es sagte, hörte es sich nach irgendetwas absolut Anstößigem an. Als würde ich mich in einem Puff nach einem potenziellen Ehemann umsehen, nicht in einer seriösen Fernsehshow. Na gut, die Bezeichnung seriös war wohl wirklich ein bisschen übertrieben.

»Hör mir zu«, sagte Ella nun etwas ruhiger. Ihre nächste Frage war da schon um einiges zynischer. »Was glaubst du denn, was das für ein Mensch ist, wenn er sich im Fernsehen anmelden muss, um an eine Frau zu kommen?«

Klar hatte sie, ganz rational gesehen, mit dieser Aussage vollkommen recht. Einsehen wollte ich das jedoch in jenem Moment absolut nicht.

»Also, am Aussehen kann es auf jeden Fall nicht liegen«, schoss es aus mir heraus. Erst im Nachhinein begriff ich, wie dumm und oberflächlich ich mich dabei angehört hatte.

»Aussehen ist nicht alles«, antwortete meine Schwester knapp. Schweigen umhüllte uns und von Sekunde zu Sekunde kam ich mir blöder vor. Ich war kein Showgirl für eine TV-Sendung und es war absolut naiv und unvernünftig, mich aufgrund eines Werbespots in einen Mann zu vergucken, ohne ihn zu kennen. Die Erkenntnis versetzte mich regelrecht in eine Schockstarre. Wo hatte ich mich da nur hineingeritten?

»Vielleicht kann man die Anmeldung ja noch rückgängig machen«, sagte ich irgendwann hoffnungsvoll. Ob ich mir wünschte, der Peinlichkeit mit einer Abmeldung zu entgehen, oder ich den Hoffnungsschimmer hegte, die Anmeldung wäre unwiderruflich und ich würde meinem Traumprinzen tatsächlich begegnen, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen.

»Lass uns noch nicht den Teufel an die Wand malen«, antwortete Ella – was auch immer sie damit meinte. »Ich habe morgen bis Mittag an der Rezeption zu tun. Am besten treffen wir uns um eins zu meiner Mittagspause auf einen Kaffee in Fredericks Backstube. Bis dahin habe ich genügend darüber recherchiert.«

Darüber – damit meinte sie die deutsche Kuppelshow Rich Love, in der vier vermögende Junggesellen auf der Suche nach einer Frau fürs Leben einen wilden Sommer mit gut vierzig Kandidatinnen erlebten und dabei von Millionen Zuschauern über die Fernseher beobachtet wurden.

»Danke. Du bist die Beste«, seufzte ich und vor Erleichterung schossen mir wieder Tränen in die Augen. Auf Ella konnte ich mich verlassen. Egal in welch katastrophale Situation ich mich hineinritt, meine große Schwester berief einen Krisenstab ein und brachte das Chaos unter Kontrolle.

»Schlaf eine Nacht drüber. Morgen ist ein neuer Tag.«

Was war nur mit meiner Schwester passiert? Hatte sie mein ständiges Drama nun zu einem Spruchkalender mutieren lassen?

»Bis morgen«, sagte ich noch, dann hatte sie schon aufgelegt.

Unschlüssig was ich nun mit mir anfangen sollte, tapste ich mit nackten Fußsohlen in die Küche, um mir Wasser zu holen. Als mein Blick jedoch zurück ins Wohnzimmer glitt und Bilder von Mark und Bianca vor meinem geistigen Auge Gestalt annahmen, wurde aus dem Glas Wasser ein Glas Wodka.

Catching Prince CharmingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt