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29. Oktober 1998

»Ich finde, dass das eine blöde Idee ist. Eine ganz blöde Idee«, murmelte Jessica und erntete dafür böse Blicke von Dan, Adam und Melina.

»Sei nicht so 'ne Pussy«, brummte Dan und legte das Ouijaboard in die Mitte des Sitzkreises.

»Lasst sie in Ruhe«, mischte sich nun auch Franziska ein, so wie sie es immer tat, wenn jemand ihre beste Freundin anging, gerade wenn dieser jemand ihr Bruder war. »Wenn sie bei der Sache hier Bedenken hat, dann darf sie diese auch äußern.« Schnell strich sie sich eine wellige braune Haarsträhne hinter das Ohr, welche ihr ins Gesicht gefallen war. »Und ich bin ebenfalls der Meinung, dass es eine dumme Idee ist. Die Tatsache, dass wir auf einem alten Friedhof spielen, auf dem wir überhaupt nicht sein sollten, macht die Sache auch nicht besser. Hier ist es wirklich gruselig.«

»Der Meinung bin ich auch«, sagte Mia zickig wie immer und zog ihre dünne Jacke fester um ihre schmalen Schultern. »Nicht mal die Laternen funktionieren hier richtig. Können wir nicht etwas anderes machen? Hier draußen wird es langsam echt kalt.«

»Also sind drei dafür und drei dagegen«, stellte Dan genervt fest und blickte durch die Runde. »Dann liegt es wohl an dir, Jay. Willst du mit uns spielen«, er richtete seinen Blick auf Jayden und breitete seine Arme einladend aus, seine strahlend weißen Zähne blitzten, »oder kneifst du den Schwanz ein?«

Mia tauschte ein überlegenes Lächeln mit Dan aus und erhob sich langsam von ihrem Platz. Sie schien sich ihres Sieges sicher und machte sich bereit, von dem alten Friedhof zu verschwinden - und das war auch kein Wunder, Jayden war an der Highschool für seine Feigheit bekannt.

»Was soll schon groß passieren. Es ist ja nur ein Spiel«, murmelte er schließlich, auch wenn sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Dieses Brett auszuprobieren war nun wirklich das Letzte, was er wollte. Überhaupt wollte er gar nicht an diesem Ort sein, er hatte sich gesträubt, auch nur einen Fuß auf diesen Friedhof zu setzen - doch er hatte keine Wahl gehabt. Adam hatte ihn gezwungen, sich heute Abend mit der Gruppe auf dem alten Friedhof am Stadtrand zu treffen, wohl in der Hoffnung, sich mal wieder richtig über Jayden lustig machen zu können. Ihm war auch bewusst, dass es für ihn Konsequenzen haben würde, wenn er nun nicht mitspielte, um zumindest den Mädchen den Eindruck zu vermitteln, aus freien Stücken bei der Geisterbeschwörung mitzumachen.

»Guter Mann!«, rief Dan lachend, beugte sich ein Stück vor und klopfte Jayden auf die Schulter, woraufhin dieser kurz zusammenzuckte. Franziska sah ihn verwundert an. Ihr Blick kreuzte für einen Moment den seinen, ihre dunklen Augen versprühten Neugier und Wärme. Wahrscheinlich versuchte sie herauszufinden, ob Jayden mal wieder von ihrem Bruder oder seinem Kumpel Adam gepiesackt wurde. Jayden sah schnell beiseite, nicht dazu in der Lage, ihrem Blick stand zu halten.

»Wie bescheuert.« Mia ließ sich mit einem genervten Stöhnen wieder zu Boden sinken.

Dan griff ohne weiteres Zögern in den Rucksack, den er dabei hatte, und zog drei Kerzen heraus, die er um sie herum aufstellte. Er entzündete sie nacheinander und sorgte damit für ein wenig Licht auf dem sonst nur spärlich erhellten Friedhof. Danach setzte er sich wieder, beugte sich vornüber und legte seinen Zeigefinger auf die Planchette, die bereits auf dem Brett lag. Zögernd folgten die anderen seinem Beispiel, bis sieben Zeigefinger auf dem hölzernen Dreieck ihren Platz gefunden hatten.

»Und jetzt?«, fragte Jessica leise. Ihre Stimme zitterte ein wenig.

Dan zuckte zögernd mit den Schultern.

»Meine Cousine dreht die Planchette pro Spieler immer einmal im Kreis«, bemerkte Melina in der selben Lautstärke wie Jessica, doch mit etwas festerer Stimme. Ihr Blick ruhte auf Dans halb erhelltem Gesicht - dass sie ihn von dort abwandte war eine Seltenheit. »Müssen wir das nicht auch machen?«

DAS AUGE SIEHT DICHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt