Sarani erzählt

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"Sarani, komm wieder rein! Es wird gleich dunkel.", ertönte die sanfte Stimme meiner Cousine Radscha, die gerade mit zwei anderen Frauen Wäsche vor hinter unserem Haus aufhing. Ich wandte mich noch ein Mal an Mahmud, meinen besten Freund, und umarmte ihn schnell: "Na dann. Wir sehen uns morgen!" Mahmud nickte eifrig und umarmte mich fest zurück. "Ja, bis dann.", murmelte er in meine Schulter und ließ wieder los. "Sarani!!", kam es dieses Mal energischer . "Ich komme!!", rief Ich entnervt und lief geradeaus in das  Haus meiner verstorbenen Eltern. Sie starben, als Ich noch ein kleines Baby war. Das selbe galt auch für meine beiden Geschwister.... Ich schüttelte schnell den Kopf, um nicht mehr daran denken zu müssen und trat mit meinen ausgezogenen Schuhen in der Hand in den Garten, wo mich auch schon Radscha ungeduldig erwartete. "Da bist du ja!", seufzte sie in einer vorwurfsvollen Stimme, "Ich dachte schon, du würdest bei diesem Moslem bleiben. Mir wäre ja viel lieber, du würdest dir jemand anderes in deinem Alter finden" "Ich bin wohl alt genug, um selbst zu entscheiden, wer meine Freunde sind!", schnaubte Ich und blickte meine Cousine mit zusammengekniffenen Augen an. Die wiederum hob ihre Hände zur Verteidigung und zuckte gelassen mit den Schultern: "Schon gut, schon gut. War nicht böse gemeint oder so." Dann beugte sie sich zu mir und hielt meine Hand, in der sich meine Schuhe befanden. "Du sollst nur vorsichtig sein, das ist alles. An dem einen Tag sind sie deine Freunde, am anderen deine Todesfeinde." Ich zog meine Hand aufgebracht von ihrer weg und drehte mich demonstrativ um: "Das könnten die auch über uns sagen!!! Immerhin kannst du nicht behaupten, dass der Islam der Sündenbock für alles ist...!" Erst, nachdem Ich diese Worte ausgesprochen hatte, bemerkte Ich, dass Radscha's Helferinnen mir neugierig lauschten. Eine von ihnen war eine Muslime. 'Mist....' Ich war kurz davor, mir eine reinzuwürgen. Danach suchte Ich Radscha's Gesicht nach irgendeinem Anzeichen von Wut ab, fand aber nichts. Doch, wenn man angestrengt hinsah, konnte man erkennen, dass sich ihre Nasenflügel leicht anhoben. Selbst diese klitzekleine Bewegung war ein Zeichen dafür, dass Radscha gleich in die Luft gehen würde. Doch zu meinem eigenen Erstaunen blieb sie ganz ruhig. Dann, nach einer Weile erwiederte sie: "Selbstverständlich ist nicht jeder Moslem böse", als ob sie wusste, dass ihr ihre Helferinnen zuhörten. Sie nickte ihnen zu, als Zeichen dafür, dass sie nun gehen konnten. Ich sah, wie sich die Muslime am schnellsten verzog. Offenbar war es ihr furchtbar unangenehm. Als die beiden verschwunden waren, fügte Radscha mit einem spitzen Unterton hinzu: "Du bist aber wirklich naiv, zu glauben, es gäbe nur gute Moslems auf dieser Erde." "Willst du damit sagen, dass jeder Buddhist, der dir auf der Straße begegnet, gut ist und jede sonstige Religion schlecht?" "Ich meine doch nur-" "Bisher hast du nie ein schlechtes Wort über unsere Religion verloren. Immer sind die anderen schuld. Dabei könnten sie genauso über uns urteilen!" Radscha schnappte entsetzt nach Luft. "Stellst du dich gerade gegen deine eigene Religion?!", rief sie entgeistert aus. Ich schüttelte hastig den Kopf und versuchte mich, aus diesem ganzen Schlamassel irgendwie heraus zu stammeln: "N-nein! Ich meine...Ich finde bloß...Äh...also....Ähm... Es ist einfach nur...gemein, wie du über andere urteilst, ohne sie zu kennen-" "Schweig, Sarani Bashindra Ghoulia Jamana Tamni!!" Mist. Bei meinen vollen Namen nannte Radscha mich nur, wenn sie wirklich sauer war. Und ich meine wirklich sauer. "Du wirst schon sehen, was du davon hast, dass du bei jedem Menschen so gutgläubig bist!", fuhr sie mit erhobenem Kinn fort und stolzierte dann mit ihrem Wäschekorb zurück zur Küche. Mist. Bei uns in Indien war es so. Wir wurden in sogenannte 'Kaste' aufgeteilt:
Ganz oben waren die Reichen und die Geistlichen

Dann kamen wir, die stinknormalen Bürger aus Mumbai

Dann kamen noch 4 weitere Kasten, die jetzt aber nicht so wichtig sind

Und zum Schluss kamen die andersgläubigen, wie Mahmud und seine Familie

Wenn auch nur einer aus z.B. einem angesehen Geschlecht aus der Reihe tanzte und sich mit der Minderheit abgab, galten zwei Maßnahmen: Entweder du vermiedest das Mindervolk von nun an oder du machtest deiner Familie Schande bis auf alle Ewigkeit und musstest mit den Conzequenzen leben. Und bei Muslimen galt das doppelt so stark wie bei anderen Religionen, da sie die Erzfeinde für manche Buddhisten waren... Und Ich hatte wohl auch nur eine Wahl, wenn Ich meine noch verbliebene Familie stolz machen wollte: Ich musste den Kontakt zu Mahmud entgültig abbrechen. Und das tat ich dann auch am nächsten Tag. Ich ging nicht mehr aus dem Haus, reagierte auf keine von Mahmud's SMS und behandelte ihn auch sonst wie Luft. Natürlich bereue ich das heutzutage extrem, aber dafür habe ich mich dann mit meiner Cousine und dem Rest der Familie vertragen, habe dann, mit 17 mein Ehegelübte abgegeben (was Ich eigentlich vorhatte, an Mahmud abzugeben) und lebe jetzt mit 5 Kinder in einem Painthouse in Santa Monica. Was wäre wohl passiert, hätte ich mich schließlich für Mahmud entschieden? Und ich hatte ja die Möglichkeit: Familie oder erste Liebe und beste Freundschaft? Ich habe mich für das Erste entschieden und das ist so okay für mich. Immerhin ist Blut dicker als Wasser.......oder?

Blumensee

P.S.: Nur so zur Information, ich bin Muslime und alle Personen in dieser Geschichte sind rein fiktiv und haben keinerlei Ähnlichkeit mit lebenden Personen

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