11. Eintrag
Erst war ich zu perplex, um zu reagieren. Es kam so plötzlich. Erst nach einigen Sekunden, in denen ich ihn stumm angestarrt hatte, kam Leben in mich. Zögerlich schritt ich wieder auf den Tisch zu und liess mich auf den freien Stuhl plumpsen, direkt gegenüber von ihm.
"Es ist keine Geschichte", sagte er dann und lehnte sich zurück, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Verwirrt runzelte ich die Stirn. "Bitte?", hakte ich nach und der Ältere verdrehte seufzend die Augen. Automatisch kam ich mir dumm vor. Er hatte einfach eine Aura, eine Ausstrahlung, die mich einschüchterte.
Er wirkte so erwachsen, obwohl er nicht mal viel älter als ich war. "Das hier", erklärte er, deutete dabei auf sein schwarz eingebundenes Notizbuch, "Du hast mich gefragt, ob es eine Geschichte ist. Es ist keine."
"Oh", war alles, was ich darauf erwiderte und hätte mich selbst für meine Einfallslosigkeit geschlagen. "Was ist es dann?", fügte ich deswegen hastig hinzu und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. "Texte", antwortete er, "Gedichte, Fragen und Antworten, kleine Ausschnitte, die zu einer Geschichte gehören könnten, sowas halt."
"Klingt interessant", lächelte ich glücklich darüber, dass er endlich etwas erzählte, "Da kann ich nicht mithalten! Meine Fantasie ist nicht gerade die lebendigste..."
Er schmunzelte kaum sichtbar und schnalzte dann mit der Zunge. "Willst du es denn nicht lesen?", fragte er und nickte in Richtung des Buches, welches zwischen uns auf der Tischplatte ruhte. Zugegeben, es juckte mich in den Fingern, das Ding zu schnappen und meine Nase hineinzustecken. Ich wollte wissen, was in seinem Kopf vorging, einen exklusiven und einzigartigen Blick erhalten, doch ich hielt mich zurück.
Es stand mir schlicht und einfach nicht zu, diesen Einblick zu erhalten.
"Nein", antwortete ich einfach und er zog überrascht eine Augenbraue hoch, weshalb ich hinzufügte: "Also, eigentlich ja schon..."
"Was hält dich davon ab?", fragte er mich, "Wieso fragst du nicht ob du es sehen darfst? Wieso nimmst du es dir nicht einfach?" Er leckte sich wieder über die Lippen und fixierte mich mit einem stechenden, wachsamen Blick.
Er war dazu bereit, jederzeit vorzustürzen, das Buch an sich zu reissen und sicher zu verstauen, wenn ich auch nur auf den Gedanken käme, es vom Tisch zu nehmen, das merkte ich gut. "Es gehört mir nicht. Das ist dein Buch, es sind deine Worte, die darin niedergeschrieben sind. Ausserdem scheinst du es nicht zu mögen, wenn man es liest", erklärte ich ihm leise.
Seine Mundwinkel zuckten, er unterdrückte anscheinend ein Grinsen.
"Du hast eine gute Beobachtungsgabe, Jungkook", stellte er fest und ich lächelte verlegen, nicht wissend ob das nun ein Kompliment war oder nicht.
In meinem Inneren herrschte Durcheinander. Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau. Er war wie ein Buch mit sieben Siegeln. Keines wollte aufgehen, ohne einen Schlüssel würde ich nicht eines dieser Schösser knacken können, mit denen er sich vor mir versteckte und verbarg. Seine Maske war gut.
Aber wie sah er hinter dieser kalten Fassade aus?
War er ein Mensch, der gerne lachte? Weinte er viel? War er wütend? Vielleicht depressiv?
Ich wusste nicht, was er von mir hielt. Er schien bis anhin einfach nur genervt von mir, doch nun hatte er mich um meine Anwesenheit gebeten. Wie musste ich das deuten? Durfte ich nun öfters mit ihm zusammensitzen und reden? Oder war es eine einmalige Sache?
"Worüber denkst du nach?", fragte Taehyung in diesem Moment. Ich hob den Kopf, schaute in seine faszinierenden, dunklen Augen und schluckte leer.
"Nichts wichtiges", winkte ich ab, "Was ist mit dir? Worüber denkst du nach?"
Er begann zu lächeln, doch glücklich schien es nicht zu sein. Eher eine Mischung aus Schmerz und Verbitterung. "Das willst du gar nicht wissen", erwiderte er ruhig und stand nun auf.
"Mein Kopf ist eine lebendige Hölle, vollgestopft mit Dämonen."
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Mute [Vkook]
FanfictionWenn der Schmerz jenseits aller Vorstellungskraft ist und das Herz bricht. Wenn du verloren hast, was dir am meisten bedeutet hat. Wofür lohnt es sich dann noch, zu kämpfen? "Er liebte es, mir zuzuhören. Oft hat er mich gebeten, einfach zu reden ode...