Müde blinzle ich in das Licht der untergehenden Sonne und gähne etwas. Mir ist kalt, der gesamte Raum ist kalt.
Der schwarze Hoodie Taehyungs ist unter meinen Kopf geschoben und wenn ich tief einatme, kann ich immer noch die Spuren seines Weichspülers riechen. Ich rolle mich zu einer kleinen Kugel zusammen und versuche irgendwie etwas Wärme zu speichern.
Doch es funktioniert nicht. Ich trage bereits einen Pullover, doch dennoch überzieht eine Gänsehaut meinen Körper. Wimmernd vergrabe ich mein Gesicht in meiner Armbeuge und hole zitternd Luft.
Wenn er hier wäre, würde er mich jetzt fest in den Arm nehmen und mir durch die Haare fahren. Vermutlich würde er belustigt schmunzeln und mich immer wieder küssen. So wie er es immer gemacht hat.
Aber er ist nicht hier.
Einerseits tut es gut, in diesem Buch alles aufzuschreiben. Andererseits ist es eine Qual. Es lässt mich jeden Moment, jede Sekunde von damals wieder erleben, wie ein Film, der wieder abgespielt wird in meinem Kopf. Und zu wissen, wie wunderschön es war, das wieder zu spüren, damit ich dann realisieren kann, dass es so nie wieder sein wird, das ist die reinste Folter.
Eine Weile verharre ich still und frierend in meiner Position auf dem Bett, bis es zaghaft gegen meine Tür klopft. "Jungkook?", erklingt Yoongis leise Stimme. Er, genau wie Namjoon, melden sich am wenigsten. Sie scheinen zu verstehen, dass ich nicht gewillt bin, zu reden oder mich zu zeigen, sie lassen mich in Ruhe.
Ich antworte nicht, wie immer. "Jungkook, deine Mum hat angerufen", informiert er mich ruhig, "Sie sagte, du sollst ihr immerhin ein Lebenszeichen senden, sie macht sich Sorgen."
Ohne auf eine Reaktion meinerseits zu warten, die ohnehin nicht kommt, höre ich, wie seine Schritte erklingen und sich von meiner Zimmertür entfernen. Erst bleibe ich einige Minuten lang weiter auf dem Bett liegen.
Doch anschliessend richte ich mich schwerfällig auf und lehne mich zum Nachttisch. Dort ziehe ich die Schublade heraus und greife nach meinem seit Monaten unberührten Handy. Ich habe es ausgeschaltet, seit über einem halben Jahr nicht mehr benutzt und sehe auch keinen Grund, dies nun zu ändern.
Ich habe nur vor, meiner Mutter die Nachricht zu schreiben, dass ich weiterhin am Leben bin... na ja, dass ich atme. Am Leben sein, ist wohl etwas anderes, als tagtäglich in diesem Zimmer zu sitzen und Tränen zu vergiessen, für eine Person, die schon lange verschwunden ist.
Vielleicht brauche ich ja einen Psychologen?
Aber ich denke, nicht mal der würde mich verstehen. Keiner tut das. Man hält mich für durchgedreht, dessen bin ich mir sicher. Welche Person stürzt so ab, wenn sie verlassen wird? Welche Person kommt damit nicht mehr zurecht, welche Person leidet so und das auch so lange?
Keine, bloss ich.
Ich schalte mein IPhone an, gebe den PIN ein und warte erst einmal, bis die gefühlt Tausend Nachrichten endlich versiegt sind. Diese ignorierend tippe ich auf das SMS Symbol und gebe die Nummer von Mum ein. Anschliessend schreibe ich ein einfaches Ich bin's, Jungkook.
Danach schliesse ich die App wieder und beginne die Nachrichten zu löschen. Jede Nachricht von meinen Schulkameraden, Benachrichtigungen von Instagram oder sonstigen Dingen, Youtube, alles lösche ich. Es interessiert mich einfach nicht mehr. Ich will es nicht mehr sehen.
Dasselbe ist wie mit der Musik. Kurz nachdem er gegangen ist, habe ich versucht, mich mit Musik abzulenken, aber kaum sind die ersten Töne erklungen, wurde es nur noch schlimmer. Ich dachte, der Schmerz in meiner Brust tötet mich, weswegen ich daraufhin sämtliche CDs zerbrochen und weggeschmissen habe.
Der Schmerz ist immer noch da. Er ist da, er tut weh, er ist stets präsent, egal was ich tue. Ich kann alles probieren, doch er geht nicht weg. Am einfachsten ist es, ihn zu akzeptieren, ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. Dann wird mein Körper irgendwann immer taub dagegen und meistens schlafe ich dann ein.
Das tue ich am liebsten. Schlafen. Ich kann flüchten, vor dieser grausamen Realität, träumen, hoffen. Ich habe keine Sorgen, keine Ängste, Schmerz existiert nicht. Diese paar Stunden, in denen mein Geist die Kontrolle abgibt, sind für mich die schönsten, in meinem jetzigen Dasein.
Ich fühle mich dem Tod näher als dem Leben, obwohl ich gesund bin, obwohl ich nicht so schnell sterben werde.
Ich lösche gerade die letzten Nachrichten, als eine neue aufblinkt. Genervt will ich sie mit einem geschickten Wischen über den Screen beseitigen, als ich stutze.
Als ich einen genaueren Blick auf die geschrieben Worte werfe, beschleunigt sich mein Herz rasant. Meine Augen weiten sich und ich schnappe nach Luft.
My Love hat eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.
Ich habe nur eine Person als 'My Love' eingespeichert und das ist Taehyung. Ich kann nicht glauben, was da steht. Das ist unmöglich.
Mit zitterndem Finger klicke ich darauf und halte mir mein IPhone ans Ohr. Erst erklingt die nervige, weibliche Stimme, die mir das Datum und die Uhrzeit der hinterlassenen Nachricht sagt, bevor diese endlich losgeht. Mein Herz klopft so stark, es tut weh. Als ob es jemand mit einen Messer abstechen würde, immer und immer wieder. Das kann nur bedeuten, dass er nicht tot ist. Er ist am Leben, er ist nicht gestorben.
"Jungkook?"
Ich keuche überrascht auf und schliesse die Augen. Vor meinen Augen erscheint sein Bild, sein Gesicht. Die dunklen Augen funkeln geheimnisvoll und mustern mich eingehend. Seine Miene ist ohne jegliche Emotionen, vollkommen blank.
"Jungkook, es tut mir leid." Er schluchzt. Wieso schluchzt er?! Ich spüre, wie mein Herz stärker schmerzt, ein Druck baut sich auf meiner Brust auf und schmerzt zusätzlich zu meinem Herzen. Das Atmen fällt mir schwer, als ob mir jemand die Kehle zudrücken würde und meine Augen brennen, als die Tränen langsam aufsteigen.
Kurz hört man lediglich die Stille am anderen Ende, gemischt mit seinem hörbar verzweifelten Schluchzen, begleitet von einem stetigen, leisen Rauschen.
Ich kralle meine Finger der freien Hand in das Bettlaken und wimmere unterdrückt.
"Ich liebe dich", haucht er mit erstickter Stimme, dann ist die Nachricht zu Ende.
Das ist zu viel. Das bringt das Fass zum Überlaufen.
Ich heule auf, spüre, wie die Tränen über meine Wangen rollen. Mein Handy rutscht mir fassungslos aus der Hand und landet weich auf dem Bett, während ich mich mit beiden Händen darauf abstütze und heulend Luft hole.
Schreie erklingen, laut, verzweifelt, gequält, sie dröhnen in meinen Ohren, sie hören sich an, als stirbt diese Person.
Erst als Jin mit dem sonst nicht benutzten Zweitschlüssel mein Zimmer öffnet und es schnell betritt, realisiere ich, dass ich die schreiende Person bin. Das ich derjenige bin, der stirbt.
Mein Herz stirbt. Mein Verstand, mein Leben, alles in mir.
Vor lauter Schluchzern kriege ich keine Luft, weshalb ich pfeifend Luft in meine Lungen zu pumpen versuche, während ich gleichzeitig würge, weil mir kotzübel wird.
Jin stürzt zu mir, legt mir die Hand auf die Schulter. "Jungkook, was ist los?!", fragt er alarmiert.
Ich antworte ihm nicht.
Ich antworte Taehyung.
Zum ersten Mal, seit über einem Jahr, spreche ich mit einer Person, selbst wenn sie nicht bei mir ist und es hört.
"Ich liebe dich", heule ich zitternd und festige den Griff in das Bettlaken, "Ich liebe dich."
Wie ein Mantra wiederhole ich die Worte.
"Komm zu mir zurück."
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Mute [Vkook]
ФанфикWenn der Schmerz jenseits aller Vorstellungskraft ist und das Herz bricht. Wenn du verloren hast, was dir am meisten bedeutet hat. Wofür lohnt es sich dann noch, zu kämpfen? "Er liebte es, mir zuzuhören. Oft hat er mich gebeten, einfach zu reden ode...