3 1/2

22 4 0
                                        

„Luzifer, das ist...", versucht Raphael mich vorzustellen und stockt. „Wie heißt du eigentlich?"
„Rebecca", antworte ich und betrachte Luzifer genauer. Er hat kurzgeschnittenes hellbraunes Haar und helle, blaue Augen.
„Schreiend hat sie mir besser gefallen", meint der nur kalt und verschränkt die Arme.
Verwirrt runzele ich die Stirn. Dann erkenne ich seine Augen. Ich habe ihn angefleht, die Schmerzen zu beenden.
Ich kann ihm seine Einstellung nicht einmal übel nehmen. Ich bin der Feind.
„Kriege ich wenigstens ein Halsband für sie?", will er voll Abneigung wissen.
„Wofür solltest du das brauchen?", erwidert Raphael überrascht.
„Ich darf nicht in den Kampf, weil ich verletzt bin, aber ich muss auf einen Soldaten aufpassen?", faucht Luzifer ihn an und deutet fuchtelnd auf seine Seite.
„Sie ist nur ein Mädchen. Sie ist sogar jünger als du", wirft Raphael ein.
Wenn du denkst, dass sie/ich dich deswegen nicht umbringen kann, dann hast du dich aber gewaltig geirrt!", fauchen wir ihn beide an.
„Na, wenigstens seit ihr einer Meinung", versucht er uns zu beruhigen.
„Gibt es Probleme?", fragt der gegnerische Hauptmann, der gerade um die Ecke kommt.
„JA!", ruft Luzifer sauer. „Was ist, wenn sie ABHAUT?"
„Sie braucht alle paar Stunden Schmerzmittel. Sie schafft es also nicht bis zur Hauptstadt und wenn sie Ärger macht, kannst du sie wieder anketten", gibt der Hauptmann nach und wirft ihm einen Schlüssel zu. Luzifer wirft mir einen Blick zu, der mir gar nicht gefällt. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich warten wird, bis ich Ärger mache ...

Die Soldaten verabschieden sich von ihren Frauen und Kindern und verlassen die Ruinen. Sofort ist die Stimmung wie ausgewechselt. Sie ist der in der Hauptstadt jetzt viel ähnlicher.
Keiner lacht, alle machen sich Sorgen, hoffen auf die Rückkehr ihrer Geliebten. Es ist beinahe gruselig, wie schnell sich das geändert hat. Als wären die Soldaten das einzige, was ein Lachen in diese Ruinen zaubern kann.
Auch die Kinder sitzen lustlos am Boden, die Holzsoldaten noch fester im Griff als zuvor.
Ob wohl jede Holzpuppe ihren Vater repräsentiert?
Mit einem Schlag hat sich eine düstere Stimmung über Skoton gelegt.
„Geh zurück in deine Nische", befiehlt Luzifer. Ich zögere kurz, lasse meinen Blick über die besorgten Gesichter der Menschen schweifen, ehe ich gehorche und langsam hinter den Vorhang trete. Luzifer folgt mir nicht, steht wahrscheinlich draußen Wache. Ich lege mich aufs Bett und denke nach.

Wie lange ist es her, seit zum letzten mal ein Lachen durch die Hauptstadt hallte? Es kommt mir vor, als wäre es bereits vor meiner Geburt verstummt...

Seit Anfang des Krieges vermutlich. Die Familien machen sich Sorgen und können nicht einmal Lachen, wenn ihre Liebsten wieder daheim sind, weil sie wissen, dass sie wieder in den Kampf ziehen werden. Die Einzigen, die wahrscheinlich mit frohen Gesichtern heimkehren und zu Lachen bereit sind, sind die Soldaten selbst.

Warum ist es hier anders? Sind die Menschen hier stärker? Aber sie sehen genauso aus, wie wir, wenn ihre Liebsten weg sind ...

Warum können sie lachen? WIE können sie lachen?

Ich richte mich auf.
„Oh, du bist also doch wach. Ich dachte schon, ich müsste dich wecken. Es ist Zeit für die Schmerzmittel", sagt der alte Mann direkt neben meinem Bett und reicht mir die Kräuter. Überrascht blinzele ich. Ich habe ihn nicht kommen gehört.
Schweigend nehme ich die Medizin entgegen, kaue und schlucke sie. Erneut läuft mir ein Schauer über den Rücken. Der Geschmack ist einfach nur ekelhaft.
„Ist es hier immer so, sobald die Soldaten weg sind?", frage ich zögernd.
„Oh ja", antwortet der Arzt mit einem Blick zum Vorhang. „Sie machen sich einfach Sorgen."
„Aber wie können sie wieder lachen, sobald die Soldaten zurück sind?", frage ich weiter. Ich verstehe es nicht. Wieso sind unsere Städte so unterschiedlich?
„Ich nehme mal an, weil sie so erleichtert sind", meint der Arzt.
„Erleichtert?", hacke ich nach. Ich erinnere mich an die fröhlichen Gesichter der Soldaten, als sie durch die Straßen nach Hause gegangen sind. War das auch Erleichterung?
„Sie sind erleichtert, dass ihre Männer und Väter wieder hier sind. Und sie sind glücklich, dass sie Zeit mit ihnen verbringen können", erklärt er.
„Aha", murmele ich nur.
Das ist es also. Das machen wir falsch. Wir sind nicht glücklich über die Zeit, die wir haben, sondern sorgen uns, dass sie beim nächsten mal sterben können. Wie dumm das doch ist.
„Warum fragst du?", will der Arzt wissen. Die grauen Augen sehen mich durch die zerkratzten Brillengläser nachdenklich an.
„Nur so", erwidere ich schnell. Wieso bringt er mich dazu, es ihm erzählen zu wollen? Bin ich schon so schwach geworden?
„Ich bin mir sicher, dass diese Antwort keine großen Auswirkungen auf den Krieg haben wird", sagt er sanft und wissend.
„Ihr seid anders als wir", meine ich mit einem Blick zum Vorhang. „Ihr könnt lachen, wenn die Soldaten heimkehren. Es scheint, als hat unsere Hauptstadt diese Fähigkeit schon lange verloren. Die Einzigen, die noch lachen, wenn die Soldaten lebend in die Stadt zurückkehren, sind die Soldaten selbst."
„Das klingt traurig", erwidert der Arzt mitfühlend.
„Schon irgendwie", stimme ich ihm zu.
„Aber auch wenn sie lachen, nimmt es alle ziemlich mit. Es ist nicht leicht, sich ständig Sorgen machen zu müssen", gibt der alte Mann zu bedenken. „Nicht zu wissen, ob Mann und Vater mit einem Lachen heimkommen werden, oder als nur noch der Körper mitgezerrt wird. Und wir können sie nicht einmal anständig begraben,weil es hier nichts als Wüste gibt."
„Wo verstaut ihr die Leichen?", frage ich neugierig.
„Das solltest du besser den Hauptmann fragen. Es ist seine Sache, wie viel wir dir sagen", weist mich der Arzt freundlich ab. Ich nicke nachdenklich.
Mit einem letzten Nicken verlässt der alte Mann die Nische und der Vorhang fällt wieder zurück. Verdeckt das traurige Abbild der sonst so fröhlichen Stadt.

Das Herz der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt