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„Es ist schön, Sie zu sehen. Man hat mir berichtet, Ihr wärt von uns gegangen", sagt der König. Er trägt noch immer den roten Mantel und das seidene Hemd, wie bei der Ansprache vor einer Woche.
„Glücklicherweise haben mich die Préidoren bei sich aufgenommen und gesund gepflegt", erkläre ich vorsichtig.
„Dann kennt Ihr also ihren Stützpunkt?", fragt derKönig interessiert. Ich zögere.
„Nein, eure Majestät", schüttele ich schließlich den Kopf. „Sie haben es mir nicht gesagt und ich bin vermutlich auch nicht gerade durch die Wüste gelaufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich im Zickzack gelaufen bin, ist deutlich höher."
„Das ist zu schade", erwidert der König enttäuscht. „Nun, ich bin froh, dass Ihr zu uns zurückgekehrt seid. Aber berichtet, was habt ihr über die Préidoren erfahren?"
„Es tut mir Leid, Euch enttäuschen zu müssen, aber ich hatte nicht viel Kontakt zu ihnen. Aber ich weiß, dass sie keineswegs herzlos oder grausam sind. Sonst hätten sie mich in der Wüste zurückgelassen", sage ich ernst. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet. Ich lüge den König an. Das ist Hochverrat.
„Nun, dafür muss man ihnen wohl eine gewisse Art von Menschlichkeit zusprechen", gibt der König zu. Unruhig beiße ich mir auf die Innenseite meiner Lippe.
Was soll ich machen? Wie kann ich ihn zur Vernunft bringen?
„Und diese Wunde ...", fährt der König fort, „wurde euch von den Préidoren zugefügt?"
„Ja", erwidere ich langsam. Ich bin mir nicht sicher, ob das Gespräch eine gute Richtung einschlägt.
„Hauptmann, bereiten Sie alles für den nächsten Angriff vor. Wir wissen jetzt ihre ungefähre Richtung. Schickt Suchtrupps los. Ich will, dass ihr Stützpunkt gefunden wird!", befiehlt der König.
„A-aber ... bitte hört mir zu", versuche ich seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. „Ich glaube nicht, dass das die richtige Lösung ist!"
„Ihr geht nach Hause, Soldat. Offensichtlich seit ihr durch eure Kopfverletzung noch verwirrt und seid nicht in der Lage zu kämpfen", weist der König mich mit kalter Stimme ab.
Verzweifelt presse ich die Lippen zusammen.
Was soll ich nur machen?
„Sofort, eure Majestät", gehorcht der Hauptmann und führt mich am Ärmel nach draußen.
„Was machst du da?", fährt er mich an, sobald sich die Türen hinter uns schließen. „Bist du von Sinnen?!"
„Nein!", erwidere ich sauer. „Ich versuche nur das Richtige zu tun!"
„Indem du dich auf die Seite des Feindes schlägst?", fragt er ebenso wütend.
„Ich schlage mich nicht auf die Seite der Préidoren!", fauche ich mit verengten Augen. „Ich will ja nicht, dass wir uns ergeben! Ich will nur, dass sich beide Länder einigen! Krieg ist keine Lösung!"
„Was ist mit dir los? Seit wann sprichst du so?", will der Hauptmann ungläubig wissen.
„Schon immer, falls es dir nicht aufgefallen ist. Erinnerst du dich nicht mehr an unsere vielen Gespräche? Ich habe nur an Wissen hinzugewonnen, das ist alles."
„Beim Feind?!"
„Sie sind Menschen, wie wir!", meine Stimme wird immer lauter, während wir in Richtung Hof gehen. „Ich war in ihrer Stadt. Sie sind uns ähnlicher, als du denkst!"
„Sie sind der FEIND!", redet der Hauptmann auf mich ein. „Wie kannst du nur denken, dass wir uns einigen könnten?"
„Weil ich bei ihnen war. Sie leben dort mit ihrer Familie ... sie haben sogar KINDER in ihrem Stützpunkt! Und weißt du, was sie alle machen, wenn die Soldaten gerade nicht kämpfen? Sie LACHEN! Sie erfreuen sich der Zeit, die sie mit ihren Liebsten verbringen können! Nicht wie bei uns, wo sich alle bereits um den nächsten Kampf sorgen", schreie ich ihn an. „Und jetzt willst DU mir erzählen, dass sie keine Menschen sind?!"
„Natürlich sind sie Menschen", lenkt der Hauptmann seufzend ein. „Aber du musst dir vor Augen halten, dass wir uns im Krieg befinden und der Feind uns ebenso vernichten will, wie wir ihn."
„Du liegst falsch", widerspreche ich verärgert und verlasse den Hof durch das Tor in die Stadt. Der Hauptmann bleibt seufzend hinter den Mauern zurück.
Langsam laufe ich durch die Straßen, kicke ein paar Steine zur Seite.
Was soll ich tun? Was kann ich überhaupt tun?
„Rebecca?", die Stimme lässt mich überrascht herumfahren. Rechts von mir stehen Lily und Johann. Ich habe sie wegen meinem blinden Auge gar nicht gesehen.
„Was ist?", frage ich und zwinge mich zum Lächeln. „Was macht ihr hier?"
„Wir laufen durch die Stadt", sagt Johann und mustert mich. Sein Blick fällt auf meine Sorgenfalten und die hängenden Schultern. Er lässt sich durch mein Lächeln nicht täuschen. Dafür hat er Mama und Papa schon zu oft beobachtet.
„Na, dann macht ihr ja dasselbe wie ich", meine ich.
„Musst du nicht trainieren?", fragt Lily neugierig.
„Nein. Ich habe frei bekommen", erwidere ich und verziehe besorgt den Mund.
Zu dritt gehen wir auf den leeren Marktplatz und setzen uns auf den Brunnenrand.
„Was", frage ich zögernd, „haltet ihr von diesem Krieg?"
„Er ist blöd", sagt Lily sofort. „Du bist ständig weg und alle machen sich nur Sorgen. Niemand lacht."
Ich nicke langsam.
„Er macht die Menschen traurig", antwortet Johann schlicht.
Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich das höre.
„Was würdet ihr sagen, wenn der Krieg bald enden würde?", frage ich leise.
„Das wär' doch total gut!", sagt Lily mit leuchtenden Augen. Johann ist misstrauischer.
„Für welchen Preis?", entgegnet er und sieht mich an. Seine blauen Augen scheinen direkt in mich hinein zu sehen. Er ist zu schlau für sein Alter...
„Ich hoffe, für gar keinen", murmele ich. „Weder für uns, noch für sie."
Johann nickt zufrieden: „Dann wäre es total gut."
Lächelnd umarme ich die Beiden.
„Danke", flüstere ich und drücke ihnen einen Kuss auf die Wange. „Ihr seid die Besten!"
Lily kichert nur.
„Du wirst es jetzt in die Tat umsetzen, oder?", fragt Johann. Er hat schon wieder diesen schlauen Blick in den Augen. Ich nicke und stehe auf.
„Sieht so aus, als würde ich doch noch nicht nach Hause gehen", sage ich und streiche beiden zum Abschied über den Kopf.
„Komm nur bald wieder", sagt Lily und winkt mir hinterher.

Das Herz der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt