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Keuchend laufe ich über den Sand. Langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt in Richtung Hauptstadt laufe.Was ist, wenn ich auf der falschen Seite der Stadt losgelaufen bin?
Ich habe zwar eine ungefähre Karte der umliegenden Städte im Kopf, aber nicht, welche Seite zur Hauptstadt zeigt.
Hätte Maximilian mir gesagt, wenn ich in die falsche Richtung laufe? Ich bin immer noch der Feind, oder? Wütend über mich selbst stöhne ich auf.
„Ich mache mir einfach nur zu viele Gedanken. Ich werde schon sehen, ob ich ankomme, oder nicht", sage ich mir unruhig. Und wenn nicht, dann versinke ich eben für immer im Sand. Einen großen Unterschied macht das auch nicht.
Warum hat er mich überhaupt gehen lassen? Ich habe in den letzten Tagen relativ viel über sie erfahren.
Obwohl ... habe ich das überhaupt? Ich weiß nicht, wann sie angreifen, ich weiß nicht, welche Strategien sie nutzen. Ich weiß nur ihren Aufenthaltsort. Das ist alles.
Kopfschüttelnd stöhne ich erneut auf. Ich bin auch schön blöd.

Nach mehreren Stunden kommt die Hauptstadt schließlich doch in Sicht. Schlussendlich bin ich also doch in die richtige Richtung gelaufen. Ich atme tief ein und laufe wieder schneller, obwohl meine Beine vor Anstrengung zittern. Ich will endlich wieder festen Boden unter meinen Füßen spüren.
„Rebecca!", ich erkenne seine Stimme sofort.
„Hauptmann?!", erwidere ich und sehe mich um. Er kommt auf mich zugeritten, mit zwei Wachen als Begleitung.
„Du bist also doch noch am Leben!", seufzt er erleichtert und hält mir die Hand hin. Seine Augen weiten sich überrascht, als er meine Brandwunde und das weiße Auge sieht.
„Was ist denn mit dir passiert?", stammelt er erschrocken.
„Ich habe den Strahl einer Lichtkanone abbekommen",erkläre ich und lasse mir aufs Pferd helfen. „Warum seid ihr überhaupt hier draußen?"
„Wir haben nach dir gesucht", mischt sich einer der Soldaten ein, ein erleichtertes Lächeln auf dem Gesicht. „Wir haben zwar nicht damit gerechnet, dich lebend zu finden, aber wir wollten dich zumindest anständig begraben können und deiner Familie einen Abschied geben."
„Ist gut so. Sonst hätte ich noch den restlichen Weg bis zum Schloss laufen müssen", erwidere ich und bewege meine Füße ein wenig.
„Wie hast du den Schuss einer Lichtkanone überlebt?", will der Hauptmann wissen, während er sein Pferd wendet und wir langsam zurück zur Hauptstadt traben.
„Sie hat mich nicht genau getroffen, nur gestreift",sage ich und deute auf meine Brandwunde. „Und die Préidoren haben mich aufgenommen und verarztet."
„Sie haben was?", fragt der Hauptmann entgeistert nach und hält sein Pferd an.
„Sie haben mich aus der Wüste mit zu ihrem Stützpunkt genommen und meine Wunde verarztet. Nur deswegen bin ich noch am Leben", wiederhole ich langsam.
Hoffentlich versteht er das richtig.
„Aber sie waren es auch, die dich verletzt haben?", will er wissen und setzt sein Pferd langsam wieder in Bewegung.
„Klar, wir haben immerhin gekämpft. Ich wollte den Abschuss verhindern und ... was ist mit der Mauer?", frage ich hastig, als es mir wieder einfällt.
„Wir haben sie notdürftig reparieren können. Kein Feind ist eingedrungen", berichtet der zweite Soldat.
„Gut", meine ich erleichtert.
„Der König wird dich sehen wollen", sagt der Hauptmann. „Aber ich nehme mal stark an, du willst vorher zu deiner Familie, nicht wahr?"
Ich nicke heftig. Ich muss sie sehen. Vor allem Johann und Lily!
Wir passieren das große Eichentor und wenden uns nach rechts, um gleich in die Stadt zu kommen. Unbemerkt passieren wir die zweiten, weitaus kleineren Tore. Man sieht den Unterschied sofort. Dreck liegt auf den Kopfsteinpflastern, die Häuser sind leichtheruntergekommen, aber immer noch intakt. Die Kleidung hängt zum Trocknen draußen auf der Wäscheleine. Die Läden sehen auch nicht gerade einladend aus, aber wenn man hier aufwächst, weiß man, dass der Eindruck nichts über die Qualität aussagt.
Wir reiten langsam die Straßen hinunter.
Ich vermisse bereits jetzt das freie Lachen der kleinen Kinder in den Ruinen. Hier ist es einfach nur düster und still.
„Sind sie gerade alle zuhause?", frage ich.
„Ja, deine Mutter hat von ihrer Chefin frei bekommenund dein Vater hat seine Schmiede fürs erste geschlossen", erwidert der Hauptmann. „Sie trauern."
Ich schlucke schuldbewusst. Sie dachten für eine ganze Woche, dass ich tot bin. Das hier wird nicht wie meine sonstigen Besuche werden ...
Als wir vor meinem Haus ankommen, gleite ich vom Pferd und trete langsam vor die Tür.
„Rebecca", hält mich der Hauptmann noch kurz auf. „Ist mit deiner Wunde wirklich alles in Ordnung?"
„Ja, mir geht es gut", beruhige ich ihn lächelnd.
„Soll ich mit reinkommen?", bietet er besorgt an, meine unsichere Miene musternd.
„Nein, danke. Ich komme schon klar", lehne ich ab und drehe mich wieder zur Tür. Langsam hebe ich die Hand und klopfe.
Es ist ein zögerliches, langsames Klopfen.
Es dauert eine ganze Weile, bis von innen schließlich Schritte ertönen. Sie sind langsam und schlurfen über den Boden. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich bin kurz davor einen Rückzieher zu machen.
Aber bevor ich es mir anders überlegen kann, öffnet sich die Holztür und ich blicke in das von Trauer zerfurchte Gesicht meiner Mutter. Ihr Blick fällt auf mein aschblondes Haar, die Brandwunde auf meiner rechten Kopfseite. Dann auf das weise und hinterher auf das blaugrüne Auge.
„Mama?", frage ich unsicher, weil sie noch immer nichts sagt. Auf einmal füllen sich ihre Augen mit Tränen und sie fällt mir um den Hals.
„Du bist es wirklich", schluchzt sie. „Du bist wieder da! Du bist wieder da!"
Sie wiederholt das ein paar mal, bis auch der Rest der Familie zur Tür kommt. Alle starren mich fassungslos, ungläubig an.
Schließlich fängt Lilys Gesicht an zu strahlen und sie rennt auf mich zu. Ihr Kuscheltier lässt sie einfach auf den Boden fallen. Johann folgt ihr, beide haben Tränen in den Augen, die ihnen die Wangen hinunterlaufen, bevor sie bei mir ankommen und mich ebenfalls umarmen.
Nur mein Vater steht noch im Flur ohne ein Wort zu sagen. Wie meine Mutter mustert er mich genau, auch wenn Mama das meiste verdeckt.
Dann rollen auch ihm die ersten Tränen über die Wangen, als sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht breit macht.
„Ich habe so gehofft, dass du noch einmal durch diese Tür kommst", flüstert er glücklich, kommt auf uns zu und schließt uns alle in seine großen, starken Arme.

Das Herz der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt