For Sebby

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Da war es. Das altbekannte Klicken als Sebastian seinen Schlüssel ins Schloss schob und die Eingangstür mit einem leisen Quitschen aufdrückte. Sofort stieg ihm die abgestandene Luft und der Geruch von alten Büchern in die Nase. Mit der großen Reisetasche stapfte der Sniper die Treppe zu ihrer alten Wohnung nach oben. Auf die fünfte Stufe verlagerte er extra zweimal sein Gewicht nur um das herrlich vertraute Knarren zu hören. Im Obergeschoss stand Sebastian nun also vor der schwarzen Wohnungstür, in die er irgendwann einmal ihre Namen geritzt hatte und an der bereits die Farbe blätterte.
Ein dünner Spalt Licht fiel in ihre Wohnung, sodass man den Staub tanzen sehen konnte.
Der Duft von Kaffee, der selbst nach Jahren noch nicht ganz verschwunden war und noch mehr Büchern betörte ihn. Bücher, die Jim über Jahre gesammelt hatte, bis sie in kniehohen Stapeln im ganzen Haus verteilt waren.
Sacht fuhr Sebastian mit seinen Fingern über die Einschusslöcher im Flur, die vergilbte Tapete an der sich noch Schatten von Möbeln und Bilderrahmen abzeichneten.
Wie ein Geist wandelte Sebastian durch die Stille, durch sein altes Leben und all die bittersüßen Erinnerungen. Er setzte sich im Schlafzimmer auf das Bett und musste grinsen als er tiefer als normal einsackte. Eine der mittleren Latten hatten sie einmal beim Sex zerbrochen. Für einen Moment spürte er Jim warmen Atem und seine kalte Hände an seinem Hals. Er schloss die Augen - glaubte wieder Jims Lippen zu spüren und es raubte ihn für einen schmerhaft schönen Augenblick den Atem. Als er die Augen fast schon panisch wieder aufriss und seine Lungen nach Sauerstoff verlangten, wirkte die Wohnung noch leerer und er sich noch einsamer.

Jim war selten Zuhause gewesen und Sebastian selten wirklich einsam. Jeder Schritt klang wie ein Echo in den leeren Zimmern. Diese Stille hätte Sebastian in diesem Haus niemals für möglich gehalten. Schon vor einigen Jahren war ihre Nachbarin verstorben, kurze Zeit nachdem beide in die neue Wohnung gezogen waren. Eine nette alte Frau, die Jim schon beim Einzug fast vergrault hatte. Warum musste er sie auch 'schrullige alte Schachtel' nennen? Sebastian hatte nie verstanden warum Jim sie nie gemocht hatte. Zwar roch sie nach Seife wie alle alten Menschen, aber wenigstens kochte sie für Beide, selbst wenn Sebastian mitten in der Nacht erst nach Hause kam umsorgte sie seine Wunden und es gab etwas Warmes. Mit ihr als Großmutter und Jim fand er die Familie die er nie hatte und eigentlich auch nie wollte. Nach gefragt hatte die ältere Dame nie Sebastian und Jim so trieben, wenn sie erst gegen morgen oder mit schweren Verletzungen wieder kamen. Eine kluge Alte, dachte der Sniper wäre er vorsichtig ihre Wohnung gegenüber aufdrückte. Sie war nicht abgeschlossen gewesen, aber dafür gab es auch keinen Grund. Die Wertgegenstände hatte die, wie Sebastian fand, undankbare Familie sich zu eigen gemacht und Möbel, Bilder und persönliche Sachen einfach dort gelassen. Er war es auch, der die Beerdigung geplant hatte und auch nur er und Jim standen damals am Grab. Die ältere Dame hatte sich immer beschwert, dass ihre Familie ja nur aufs Geld aus war. Sebastian hatte es immer für Übertreibung gehalten, doch nachdem Tod der Alten wurde ihm bewusst, dass es wohl besser war keine Familie zu haben. Mit Jim hatte er auch den letzten Teil seiner Familie verloren.
Ein paar blasse Fotos an den Wänden zeigten Jim und ihn beim Kaffee trinken oder zu Weihnachten. Es war eine schöne Zeit gewesen.

Eine kleine Motte flog durch das Zimmer. Sebastian folgte ihr mit seinen Blicken. Jeder Flügelschlag schien für das Menschliche Auge nicht sichtbar und doch anmutig zu sein. Er folgte ihr in die Küche bis das kleine graue Geschöpf am Fenster sitzen blieb. Der Himmel hatte sich mit dunklen Wolken gekleidet und die Sonne kam kaum durch die dichte Decke. Die Knorrigen Birken, welche ihre weißen Stämme in Richtung Himmel streckten wurden vom kalten Wind gepeitscht, der auch den Regen gegen die Scheiben schlagen ließ.
Irgendwo in dem Haus gab es ein Leck im Dach
und das stetige Ploppen eines Tropfens in einen metallenen Eimer hallte in der Stille.
Tief einatmen. Plopp. Tief ausatmen. Plopp. Aufstehen. Plopp. Schrank öffnen. Plopp.

Sebastians Blick wanderten über den Staub bis er die alte Flasche Whisky entdeckte. Innerlich dankte er der alten Dame das sie eigentlich immer gerne einen Trank. Als er den edlen Tropfen in ein Glas füllte floss er am Rand ölig nach Unten. Irgendwo in dem Gold versteckte sich der leichte Geschmack von Cherry. Eichenholz Fässern und einem modrigen Keller. Umso mehr Zeit vergang um so dunkler wurde es in der kleinen Küche und umso mehr trank Sebastian. Er versank in einer dunklen Melancholie. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu Jim und den Gerüchten über seinen angeblich vorgetäuschten Tod. Geflüster war in den engen Gassen zwischen Hauseingängen und Kneipen laut geworden, die Spinne hätte überlebt. Sebastian hielt das für unmöglich und hatte alle Anzeichen, alle Zeichen von Jim und alle Kontaktversuche ignoriert. In der Angst enttäuscht zu werden. Jim war und blieb auch tot.

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