Kapitel 6

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Toprak. Er stand da und wartete auf mich.
*

»Du hast keine Ahnung« flüsterte ich Banu zu und schüttelte meinen Kopf. Eine weitere Träne strich mir die Wange runter, obwohl meine Augen doch trocken waren. »Bitte, komm jetzt mit.«
»Nein, Abla« widersprach sie mir selbstbewusst und griff nach meiner Hand »Du kannst im Moment nicht klar denken, aber so kannst du nicht daheim aufkreuzen.«

Banu war noch nie so naiv gewesen. Ich kannte sie nie als leichtgläubig oder träumend, wie sie sich jetzt verhielt. Sie schwebte regelrecht und wie es aussieht, hatte sie eine rosarote Brille aufgesetzt, denn ich konnte sie nicht überzeugen, dass diese zwei Brüder gefährlicher waren, als wir dachten.

Von mir aus, dachte ich innerlich und atmete tief ein, um für den nächsten Schritt Mut zu sammeln. Ich musste das ohne Banu tun. Offensichtlich wusste sie besser, als ihre große Schwester. Kann sie haben.

Abrupt riss ich meine Hand aus ihrer frei und horchte kurz zum Auto, um sicher zu gehen, dass der Motor noch lief. Gut. In der nächsten Sekunde sprintete ich zu Mahmuds Wagen und sprang in den Fahrersitz. Mit einem Schwung knallte ich die Tür zu und verriegelte das Auto. Ich hörte Banu nach mir rufen und Mahmud, wie er im Hintergrund etwas sagte, aber es war mir egal. Ich musste hier weg.

Aber wie?

Meinen Führerschein hatte ich noch nicht und Fahrpraxis hatte ich wegen der Uni vernachlässigt. Außerdem war dieser Wagen Automatik und da standen nur Buchstaben. Park, Drive... Was heißt denn N? Neuanfänger? Die Nervosität stieg noch weiter an, als ich Ünal zum Auto rennen sah. Ich wollte losfahren, wusste aber nicht wie.

Mein Herz pochte in meinem Hals und meine Hände zitterten. Plötzlich klopfte es gegen die Fensterscheibe. Ünal blickte mir flehend ins Gesicht und ich hörte seine abgedämpfte Stimme, wie er meinen Namen sagte. Seine Haare waren vom Schweiß total nass und wie wilde Stacheln in seinem Blick.

»Steig aus, Schatz« sagte er und versuchte die Tür zu öffnen »Du kannst nicht fahren. Bitte. Sonst passiert noch was.«

Ich krallte meine Nägel in das Lenkrad und sah weg. Kein weiteres Mal, könnte ich in diese Augen sehen. Entweder hatte das Feuer in seinem Blick nicht nachgelassen, oder ich würde Ünal nie anders sehen können. Seine Wut wäre nichts Einmaliges, wenn ich mit ihm einen Weg einschlagen würde. Wenn aus uns etwas Ernstes werden würde, dann wäre diese Nacht, die ich gerade erlebte, vielleicht Alltag.

»Abla, mach die Tür auf!« befahl mir Banu von der anderen Seite, aber ich drehte nicht einmal meinen Kopf in ihre Richtung. Das Einzige, was für mich zählte, war mein Zuhause. Sofort.

»Hör zu« rief Mahmud, der sich vor das Auto gestellt hatte »Ich fahre dich und Banu ohne Umwege nach Hause. Okay? Ohne Ünal.«

Es geschah schneller als gedacht und ich gab auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Unfall bauen würde, war sehr hoch. Langsam öffnete ich die Tür und stieg aus dem Auto. Ünal stand nun direkt vor mir. Mit einem verzweifelten Gesichsausdruck sah er mir in die Augen und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, aber ich wandte mich ab und gab ihm keine Gelegenheit.

»Mahmud, fahr mich sofort nach Hause« befahl ich direkt und öffnete die hintere Tür des Autos.

*

Zuhause angekommen öffnete meine Mutter verschlafen die Tür und zog mich hastig in die Wohnung.

»Züleyha-Elif, was bildest du dir ein?« wollte sie wütend wissen »Es ist zwei Uhr nachts!«

Banu trat hinter mir auch hinein und schloss die Tür. »Mama, nicht so laut« flüsterte sie, aber meine Mutter ignorierte sie und fuhr fort.

»Erklär mir, was das soll« forderte sie mich auf und wartete. Wo soll ich anfangen? Was soll ich sagen?

Sprechende HändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt