Kapitel 20

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»Züleyha, ich liebe dich« zeigte ich ihr zitternd und schluckte fest »Wenn es morgen nicht klappt und du nicht zum Flughafen kommst, wird es vielleicht später klappen. Eines Tages werden wir zusammen kommen. Aber dafür, muss ich mich erst ändern. Ich muss hören. Bitte, warte auf mich, wenn du kannst.«

*

»Wo ist er?« fragte ich Doktor Yılmaz atemlos.
»...Sie wissen es nicht, oder?«

*
eine Stunde vorher

Nun sind es schon vier Wochen, drei Tage und ein Frühstück her, dass ich etwas von Yusuf gehört hatte. Er war nicht am Flughafen gewesen und kam auch nicht zurück in den Töpferladen in Südstadt.

Hätte ich gewusst, dass Yusuf mit diesen Gebärden Abschied nimmt, wäre ich niemals gegangen. Jeden Tag plagte ich mich damit, an die Gebärden zurückzudenken, die er gezeigt hatte. Doch es blieb mir weder vor Augen, noch im Sinn, was er gesagt haben könnte.

Alles was zurückgeblieben war, war ein neues, tiefes Gefühl. Vergleichbar mit dem Beenden eines Buches, das Hinauszögern der letzten Zeilen, um das Ende zu leugnen. Wie nach dem Zuschlagen des Romans, schwirrt die Geschichte als Ganzes im Kopf herum und genau so erwärmt die Erinnerung zu Yusuf mein Herz, wie geküsst von der Sonne.

Ich zwang mich sein Gesicht nicht zu vergessen. Jede Sekunde an seine Züge und Merkmale zu denken. Ich hielt mich fest an das Gefühl, welches er mir gegeben hatte, wenn er auch nur neben mir stand. Wie eine magnetische Anziehungskraft schien sich eine stärkere Macht zwischen uns breit gemacht zu haben, die nun spürbar fehlte. Seine bewussten Bewegungen und tiefen Atemzüge bevor er seinen Mund öffnete, um Worte zu sprechen, mir zu Liebe; Alles verfolgte mich.

Ob ich auch nach dieser plötzlichen Trennung zwei Monate durchhalten könnte, war fraglich. Letztendlich brauchte ich eine Beschäftigung und ließ mich auf ein neues Projekt ein, gemeinsam mit einer bekannten Freundin aus der Uni, im Auftrag von SHFB, eine gemeinnützige Organisation. Nzinga war eine sehr motivierte Fotografin und ihre Energie zog mich mit auf kurze Reisen durch die Stadt. Hin und wieder vergaß ich die innige Bedrückung, sprang ein in die harten Schicksale der Menschen, die wir interviewten, jedoch traf die Kälte mich danach noch stärker, umhüllte meinen Körper wie eine zweite Schicht, wie ein Eismantel, den ich mühevoll mit mir trug.

Roland sprach nicht mehr mit mir. Ich besuchte ihn trotzdem täglich, weil er das Einzige war, was mir von Yusuf zurückblieb. Ich brachte ihm regelmäßig Eier, Milch und Brot aus dem türkischen Supermarkt. Er bedankte sich nicht, war kalt zu mir und hoffte wahrscheinlich, dass ich einfach nachlassen würde, aber das tat ich nicht. Hin und wieder töpferte ich auch Kleinigkeiten, oder räumte sein Studio auf. Er ließ es einfach zu und duldete mich.

Heute sollten wir zusammen mit Nzinga zum Töpferladen, weil sie diesmal ein neues Thema hatte, dessen Konzept zu Rolands Töpferkunst passte. Inzwischen hatte ich die Gebärdensprache fast drauf und konnte mit Leichtigkeit die Grundlagen verwenden.

Unterwegs erzählte ich ihr, dass sie alle Werke fotografieren darf, aber die Urnen auf dem obersten Regal ignorieren muss. Als ich aus dem Fenster blickte, bemerkte ich, dass wir schon in Südstadt am Vapiano waren.
»Wir müssen noch ein Video bearbeiten« erinnerte Nzinga und hielt an der Kreuzung an »Die Absolventen-Feier ist schon bald.«

Ich starrte auf den Platz am Fenster, an dem wir mit Ünal gegessen hatten und war mit den Gedanken längst nicht mehr bei der Sache.
»Vielleicht sollten wir mal anfangen unsere ersten Fotos zu sortieren« meinte Nzinga »Zum Glück habe ich alle mitgebracht!« lachte sie. Ich konnte ihr kaum mehr folgen und starrte einfach aus dem fahrenden Auto.

Sprechende HändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt