Kapitel 19

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Ich muss zu Yusuf!
Er wartet auf mich!

*
Züleyha

Sein Name war Yusuf. Er hörte sogar mein Herz weinen. Er hörte Worte, die ich nicht sprach. Taubheit... ist wirklich nur ein Zustand des Herzens. Nachdem er mir die Wahrheit erzählt hatte, wusste ich erst recht, dass ich ihn nie wieder lassen wollte.

Yusuf. Sein Name klang wie ein Seufzer nach einem tiefen Atemzug. Ein erleichtertes und ruhiges Gefühl. Es war Geborgenheit. Und zu wissen, dass er mir nun vollkommen vertraute, unterstrich dieses Empfinden.

Wir liefen dicht nebeneinander die Straße runter zur Bushaltestelle und warteten auf den Bus nach Çamlıca. Yusuf schien mit Gedanken nicht besonders anwesend zu sein, also beschloss ich nicht weiter nachzufragen. Vorerst müsste das reichen, obwohl ich wirklich mehr wissen wollte.

»Morgen Abend fliege ich nach Malatya« flüsterte Yusuf auf türkisch. Eine Frau vor uns schien seine Stimme gehört zu haben, denn sie drehte ihren Kopf schief um und versuchte zu erkennen, wer das gewesen ist. Seine Stimme klang nun mal ungewöhnlich, weil er nicht wusste, wie er die Worte aussprach, aber deshalb solche Blicke zu werfen, war unverschämt. In mir kochte es plötzlich vor Wut und ich wollte der Frau am liebsten eine Lektion erteilen, aber Yusuf ging es wirklich nicht gut.

»Zusammen mit deinem Bruder?« formte ich stumm mit meinen Lippen. Immerhin musste er es nicht hören. Und die nervige Frau auch nicht. Yusuf nickte kurz.

»Unsere Eltern wurden dort begraben... vor fünf Jahren« sprach er diesmal leiser. Die Frau an der Bushaltestelle schaute ständig in unsere Richtung und schien seine Stimme zu urteilen.

Yusuf bemerkte meine Unruhe und drehte seinen Kopf kurz um, sah die Frau und verstand sofort.

Wütend machte ich einen Schritt nach vorne und wollte der Frau gerade klar machen, dass sie diejenige war, die Probleme hatte, aber Yusuf stellte sich vor mich und lächelte schwach.

»Züleyha« hauchte er leise und schüttelte seinen Kopf. Ich blickte in seine müden Augen und wurde plötzlich ruhiger.

Ein kalter Wind zog durch meine noch feuchten Haare. Ich nickte verärgert, nahm seine Hand entgegen und unsere Finger griffen ineinander. Mein Herz schlug schneller. Zwei Monate hatten wir uns nicht gesehen. Wie würde ich ihn jetzt nur lassen können?

Im Bus in Richtung Çamlıca konnte ich mich nicht mehr halten und nahm mein Handy raus. In meine Notizen tippte ich Yusuf eine Frage.

Willst du mir erzählen, was wirklich passiert ist?

Unsicher gab ich ihm mein Handy und beobachtete sein ruhiges Gesicht, während er meine Nachricht las. Voller Aufregung hoffte ich, dass Yusuf verstand, was genau ich damit meinte. Wieso hatte sein Bruder diesen Unfall gebaut? Was genau war passiert? Und noch wichtiger... was hatte das alles mit Ünal zu tun?

Langsam begann Yusuf mit seinen Daumen zu tippen. Ich sah in seine braunen Augen und erkannte den Schmerz. Tief in seinem Blick und seinen ernsten Augenbrauen war die Spur der Vergangenheit deutlich zu spüren. Seine noch wilderen Haare fielen ihm über die Stirn, aber ich konnte seine bedenklichen Falten sehen. Aus der Nähe sah ich sogar seinen angespannten Kiefer und beobachtete geduldig, wie er kurz pausierte.

Sofort bereute ich meine Frage. Wieso musste ich auch jedes Mal Salz in seine Wunden streuen! Schnell legte ich meine Hand auf sein Handgelenk und ehe er zu mir blickte, formte ich mit meinen Lippen:

Sprechende HändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt