4. Tödliche Liebe

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Sobald der Motor verstummte, stieg Hannibal aus und öffnete die Tür des Beifahrersitzes. Er schnallte Will ab und hob ihn auf seine Arme. Sobald er über die Türschwelle trat, versuchte Will seine Augen zu öffnen.

»W... Wo sind... wir...?«

»In einem Versteck, wo wir vorerst in Sicherheit sein sollten.«, antwortete Hannibal kurz.

Langsam legte er Will auf ein im Wohnzimmer stehendes Sofa. Sofort versuchte Will sich aufzurichten, doch Hannibal drückte ihn runter.

»Sie müssen noch liegen bleiben, Will. Ich werde ihnen etwas geben, sodass sie erstmal schlafen.«

»N... Nein... Ich will... Das nicht.«

Zu spät. Schon fiel es Will schwer, seine Augen offen zu halten und kurze Zeit später war er eingeschlafen.
Hannibal machte sich unterdessen daran, alle Türen und Fenster zu verriegeln. Es durfte sie keiner finden, weshalb sie so schnell wie möglich über die Landesgrenze fliehen sollten. Doch es würde schwer sein, Will davon zu überzeugen.

Nach einigen Stunden schaffte Will es endlich seine Augen zu öffnen. Er schaffte es sogar sich aufzurichten. Sein Blick war zwar noch verschwommen, jedoch sah er, dass Hannibal auf der Couch gegenüber von ihm lag, er schlief.
Will kam sofort ein Gedanke. Das ist meine Chance. Das ist der richtige Zeitpunkt einen Fluchtversuch zu starten.
Langsam stand Will auf und ging in Richtung Ausgang. So langsam und leise ist Will noch nie gewesen.
Als er jedoch die Tür öffnen wollte, wurde sein Vorhaben jäh unterbrochen.

»Wohin des Weges, Will?«

Will drehte sich um und sah Hannibal dort stehen. Innerlich verfluchte er sich selbst, dass er überhaupt versucht hatte zu fliehen, wo er doch wusste, dass Hannibal kein einfältiger Mensch war. Seufzend ging er von der Tür weg und ging ein paar Schritte auf Hannibal zu, bewahrte aber noch einen, seiner Meinung nach, angemessenen Abstand zwischen ihnen.
Doch so leicht wollte Will sich nicht geschlagen geben. Er hatte es satt mit Hannibal umher zu reisen, denn schließlich war er einer der meistgesuchten Verbrecher.
Und Will wusste, dass er und Hannibal körperlich etwa gleich stark waren, also rechnete er sich, sollte es zu einem Kampf kommen, durchaus Siegeschancen aus.

»Ich wollte gerade gehen, Hannibal. Und sie können sagen, oder tun, was immer Sie wollen, niemand wird mich davon abhalten, von Ihnen endlich loszukommen!«

In Hannibals Augen spiegelten sich Überraschung, aber auch etwas Wut wieder, doch Will kümmerte das nicht. Ohne ein weiteres Wort ging er erneut zur Tür, doch bevor er sie öffnen konnte, stemmte sich eine Hand dagegen, während die andere Hand unbemerkt die Tür abschloss. Sofort drehte Will sich um und sah nur noch, wie Hannibal den Schlüssel in eine seiner Taschen wandern ließ.

»Glauben Sie ernsthaft ich könnte diese Tür nicht auch einfach mit Gewalt öffnen?«

Auf Hannibals Lippen zeichnete sich ein teuflisches Grinsen ab.

»Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei, Will. Dies ist eine spezial angefertigte Tür. Keine bloße Manneskraft kann diese so einfach öffnen.«

Will verstand, Hannibal hatte gut mitgedacht, wenn es um Verstecke ging, doch das würde Will nicht daran hindern sich den Schlüssel zu holen.
Mit einem gekonnten Griff zu Hannibals Sakko wollte Will gerade zugreifen, ehe er einen festen Griff um sein Handgelenk spürte.

»Na na, Sie gehen ja ziemlich auf Tuchfühlung, Will.«

Doch davon ließ sich Will nicht beeindrucken. Immer wieder versucht er in irgendeiner Weise dem Schlüssel näher zu kommen, doch Hannibal war immer schneller. Also beschloss Will seine Konzentration auf eine andere Körperregion zu setzten und prompt hatte er Hannibal ein Bein gestellt, was nun selbst diesen überraschte.
Mit schnellen Griffen fixierte Will seine Arme und seine Beine, sodass er freien Zugang zum Schlüssel hatte.

»Oh, gut gemacht! Jetzt liege ich bewegungsunfähig unter Ihnen, Will. Und was gedenken Sie jetzt zu tun? Werden Sie mich jetzt einfach nehmen?«

Wills Magen verkrampfte sich bei dieser Aussage und ein Würgreiz stieg in ihm auf. Diesen Moment der Unachtsamkeit nutze Hannibal geschickt aus und drehte nun den Spieß um.
Plötzlich fand sich Will unter Hannibal wieder und bekam es etwas mit der Angst zu tun.

»So, nun befinden wir uns in einer ziemlich misslichen Lage. Sie wollen den Schlüssel, doch selbst der dümmste Mensch wüsste, dass ich ihn Ihnen unter keinen Umständen überlassen würde. Also, was machen wir da nur?«

Will schloss seine Augen. Er war sich sicher, dass sich Hannibal nun endlich seiner entledigen würde und seine Flucht fortsetzte. Wenigstens könnte Will dann seine Frau und seine beiden Kinder wiedersehen.
Doch, es passierte nichts. Langsam öffnete Will die Augen und sah, dass Hannibal immernoch über ihn gebeugt war und sich nicht rührte.

»Worauf warten Sie noch? Jetzt töten Sie mich endlich! Das ist es doch, was Sie wollen, oder nicht?«

Hannibal war überrascht. Mit dieser Aussage hatte er nicht gerechnet.

»Sie töten? Wo gedenken Sie hin, mein Freund? Oh, nein, ich brauche Sie noch. Außerdem, ist der Tod ein Privileg. Sie müssen mich darum anflehen. Jedes meiner vergangenen Opfer hat mich früher oder später darum angefleht. Der Gesichtsausdruck, diese Verzweiflung und Angst in ihren Augen, das war wie ein Geschenk für mich. Und als sie mich dann schlussendlich um Erlösung baten, habe ich sie ihnen auch geschenkt.«

Nun konnte Will sich nicht länger beherrschen. Damit hatte Hannibal über das Ziel hinausgeschossen.

»Erstens, bin ich nicht Ihr Freund und zweitens, Sie sind wirklich krank! Krank und widerlich! Der Tod ist ein Privileg? Nun in meinem Fall wäre er es tatsächlich, dann müsste ich zumindest nicht mehr in Ihr Gesicht sehen und an Sie denken! Die ganzen Menschen, die Sie töteten haben Sie lediglich aus dem gleichen Grund angefleht. Sie waren angewidert von Ihnen!«

Plötzlich spürte Will, wie sich Hannibals Griffe um seine Unterarme verstärkten. Als Will ihm in die Augen sah, loderten sie förmlich und anhand des Bebens seiner Nasenflügel wusste Will, dass Hannibal ein Pulverfass war, welches kurz vor der Explosion stand.

»Angewidert... Angewidert... Sie glauben, dass sie mich aus Ekel heraus angefleht haben?! Oh, nein, das haben sie nicht! Sie haben mich aus Liebe angefleht! Jedesmal, wenn sie vom Blut getränkt waren und da lagen, mit noch wachem Verstand, haben sie mich aus Liebe angefleht! Ich liebte sie und sie liebten mich! Ich habe sie so sehr geliebt, dass ich einen Teil von ihnen in mir aufnahm und meine "Opfer", wie Sie sie nennen, wussten das!«

Will konnte nicht mehr. Wie konnte man nur so einen verdrehten Verstand haben, dass man das glauben könnte?

»Und Sie... Sie liebe ich auch, Will... Aber auf eine andere Art und Weise. Ich werde es Ihnen schon beweisen.«

Und mit einem Mal wurde es um Will herum schwarz und er spürte nur noch einen glühenden Schmerz am Hinterkopf.

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