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Ungelogen: zur nächsten Bahnstation brauchte der Bus eine halbe Stunde. Und wir saßen die gesamte Zeit schweigend da, hörten nur dem Straßenverkehr zu.

Währenddessen dachte ich über früher nach. Wie ich Thaddeus kennenlernte, wie ich Angst vor ihm hatte. Ja, auch darüber, wie er damals seine Liste Stück für Stück abarbeitete, bis hin zu dem Mann, -James-, den ich umbrachte. Den ich umbrachte, da er uns mit einer Waffe bedrohte.

Dem ich das Leben nahm. Und wie ich es rückgängig machen wollte. Wie ich es wieder gut machen wollte und Thaddeus mir sagte, dass ich das nicht wieder gut machen könnte.
Er hatte recht, ich konnte nichts davon wieder gut machen. Es brachte mich alles, was ab dem Augenblick passierte, als ich ihn kennenlernte, ins Gefängnis.

Ich erinnerte mich daran, wie er mich zuletzt bedrohte. Wie er mir ein Messer an den Hals hielt und es verwendete, um alles realistisch wirken zu lassen. Wie er immer sagte, er würde mich niemals verletzen, und es dann doch tat, um alles wieder gut zu machen. Er sagte immer, er würde alles wieder gut machen. Und er wollte, dass ich mich als eine Geisel hinstelle und lüge, damit ich frei sein kann und er ins Gefängnis geht, denn er wäre sowieso ins Gefängnis gegangen.

Ich will mir nicht mal im Traum ausmalen, was passieren wird, wenn wir wieder erwischt werden sollten. Wenn die Polizei uns entdeckt.

Ich erinnerte mich daran, wie ich mit ihm Wahrheit oder Pflicht auf der Couch in meiner damaligen Wohnung spielte, und ich seine Pflicht annehmen musste, dass er von nun an in meinem Bett schlafen dürfte. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich will mir kein Bett ohne ihn drinnen vorstellen. Ich kann mir nicht einmal mehr vorstellen, wie es ist, allein zu schlafen.

Ich erinnerte mich auch daran, wie er einfach zu mir unter die Dusche stieg und es für ihn absolut kein Problem zu sein schien.

Erinnerte mich daran, wie er und ich in diesem Haus von eines seiner Opfer waren, -ich war bereits zu sehr an ihn gekettet, um davon zu rennen und überhaupt über so was nachzudenken-, und ich ihn das erste Mal sah, wie er jemanden tötete. Ich sah ihn das erste Mal mit einem blutigen Messer. Mit Blut eines anderen Menschen an seinem Körper. Und ich warnte ihn vor der Polizei, die unten vor dem Haus vorfuhr, anstatt ihn genau in dem Augenblick zu verlassen. Ich flüchtete mit ihm in diesen einen Kleiderschrank, in dem er mich gegen die Hinterseite drängte und sich beschützend vor meinen kleinen Körper stellte. Ich hatte Angst. Er hatte Angst. Und man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich dachte, dass das das Aus wäre. Und dass genau Gary in den Kleiderschrank sah, in dem wir uns befanden, uns aber nicht entdeckte, machte die Situation noch riskanter. Ich dachte, mein Herz würde jeden Augenblick stehen bleiben.

Er sagte damals oft, dass er niemals Kinder oder eine Frau haben könnte, mit dem Bewusstsein, dass er ein Mörder ist. Und dass er nicht normal sei, dass er das alles haben wollen würde, wäre er ein normaler Bürger. Er sagte immer, er wolle nicht, dass seine Frau und Kinder mal von dem Familienvater sagen müssen, er sei ein Mörder.

Nun, das Blatt hat sich gewendet. Viele Jahre später, und ich bin seine Frau. Wir haben Kinder. Und wir leben noch, anstatt im Gefängnis von der Außenwelt vergessen zu werden. Uns zu vergessen, obwohl ich glaube, dass das nicht möglich ist. Ich könnte ihn niemals vergessen.

Wir stehen an einer Bahnstation, von der uns die nächste Bahn direkt zur Londoner Innenstadt bringen wird.
Mir ist mulmig im Bauch, meine Beine zittern irgendwie und mein Herz pocht schnell. Ich weiß nicht, ob es an meiner Nervosität liegt, oder daran, dass ich eine Weile nur über die Vergangenheit nachgedacht hab.

Apropos Vergangenheit, ich frage mich auch oft, was meine Eltern wohl gerade machen. Ob sie irgendwie und von irgendwo von mir wissen. Ob sie bereits geschieden sind. Ob sie beide noch leben...Gott, ich hoffe es.

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