Immernoch schnarchend saß die alte Frau an ihrer Feuerstelle. Es war jetzt knappe fünf Tage her das sie Kagome fand. Müde blickte sie ins Feuer als ein dünner Zweig brach und die feuerrote Glut knisternd aufstob.
Langsam aber sicher machte sie sich Sorgen um die Schlafende. Es machte ihr nichts aus sie bei sich zu haben, keine Frage. Doch es wäre besser für Kagomes Zustand zu erwachen und sich zu stärken. Als sie vor Anbruch des Tages in das bescheidene Zimmer sah, erinnerte ihre schlafende Gestalt die alte Greisin an eine einst mächtige Miko. Viele verglichen Kagome mit ihrer Schwester Kikyou, doch Kaede sah in der jungen Frau Jemand anderen. Ein hartes Glitzern trat in ihre haselnussbraunen Augen. Ihre Schwester war eine erstklassige Miko zu Lebzeiten doch es gab eine Person, die sie übertraf, sowohl im Leben als auch im Tod. Die wohl mächtigste Miko Japans.
Midoriko.
Niemand übertraf ihre Eleganz, ihre Schönheit oder gar ihre Geschicklichkeit mit Pfeil und Bogen. Nicht einmal die stärksten Dämonen dieser Zeit konnten sich mit ihrer Macht und der Zerstörungskraft ihres Schwertes messen. Jahrzehntelang versuchen ihre Schwestern in Musashi auch nur annähernd an diese herausragende Leistungen anzuknüpfen, doch vergeblich.~
Sanftes Mondlicht schien durch die dünne, östlich gelegene Fensterfront der bescheidenen Behausung und beschienen das Gesicht einer jungen Frau. Ihre Nase zuckte und ihre Augen wanderten unruhig, ruckartig umher, ehe sie schließlich leicht ihre Seelenspiegel entblößte.
Ein leises Murren perlte über die Lippen der Schwarzhaarigen, ehe sie sich rasch umsah. Oh Kami, hatte sie Alpträume gehabt.
Als sich ihre Augen nach wenigen Momenten an die Dunkelheit im Zimmer gewohnten erkannte sie die gewohnte Umgebung. Kagome fand sich in einem Abteil der Hütte ihrer alten Freundin wieder.
Stirnrunzelnd betrachtete sie den Mondzyclus. Alles erschien ihr gewohnt, der Sichelmond, der mit Pflanzen gespickte Raum, die raue Wolldecke unter ihren Fingerspitzen.
Die alte Kaede musste sie in der Nähe gefunden haben, wie weit sie gekommen war wusste sie nicht mehr.
Es war mehr, als sie sich erhofft hatte.
Mit einem Ruck riss sie die Decke von ihrem Körper und stellte zufrieden fest, dass eine Mikotracht neben ihren Füßen lag.
Es wurde Zeit, alte Bekannte zu begrüßen.~
Noch einige Zeit sinnierte Kaede über die Geschichten der sagenumwobenen Legende nach. Auch wenn viele Menschenkinder sie für einen Mythos hielten, wusste jede fähige Miko, dass die Legende noch immer lebte, eingesperrt im Shikon no Tama um den ewig währenden Kampf gegen die Dämonen und das Böse zu bestreiten.
Um ihrer Ehre willen wurde einst die Ausbildung von Mönchen und Mikos in Zentraljapan gegründet, ein Ort der Ruhe und Konzentration.
In Erinnerungen schwelgend hörte sie erst verspätet das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Als sich zwei mit Tabisocken bekleidete Füße in ihr Sichtfeld schoben, erkannte sie den Neuankömmling.~
"Die Mikotracht steht dir gut mein Kind."
Kagome nickte Kaede zu und ließ sich ihr gegenüber elegant zu Boden gleiten.
Sie konnte die besorgten Blicke ihrer Freundin auf ihrer Haut spüren und hob den Kopf an.
Ein sanfter Zug umspielte ihre Mundwinkel als sie erwiederte: "Das kann ich nur zurückgeben meine Liebe."
Die gute Kaede hatte wie eh und je den altbekannten Ausdruck, eine Mischung aus Vorsicht und Weisheit, in ihren altersschwachen Augen. Einige Sekunden des Schweigens folgten, bis die Besitzerin der Hütte schließlich aufstand und ihr eine Schale dampfende Suppe in eine Holzschale goss.
Dankend nahm sie die Schale und einen Holzlöffel entgegen und widmete sich ihrer ersten Mahlzeit seit knappen sechs Tagen.
Erst als die Löffelspitze ihre trockenen Lippen berührte machte sich ein durchdringendes Hungergefühl bemerkbar, dass das Grummeln in ihrer Magengegend bekräftigte.
Bedächtig leerte sie erst eine, dann zwei und letztendlich die vierte Schale.
Dankbar stellte sie das provisorische Geschirr vor sich ab und sah Kaede abwartend an, bewusst nun einige Fragen antworten zu müssen.~
Eine helle Kugel aus Licht, einer Sternschnuppe ähnelnd, flog vom höchsten und zentralsten Punkt des Fuji mit unvergleichlicher Geschwindigkeit in Richtung Erdboden. Für Normalsterbliche kaum wahrnehmbar schoss sie hinab, um wenige Centimeter über dem Boden eine hochgewachsene männliche Gestalt entblößen, die von selbigem Licht umgeben elegant und lautlos mit den Füßen zuerst auf dem Gras aufsetzte.
Rückblickend hätte der Schmied wenigstens eine kleine Bestrafung verdient, denn Niemand beleidigt Ihn, den Lord des Westens, ohne ungestraft davon zu kommen. In Bedacht dessen, ihn wenigstens eingeschüchtert zu haben, setzte Sesshomaru einen Fuß vor den anderen. Abwertend zuckte seine empfindliche Nase. Natürlich hätte er auch den Fuji innerhalb kürzester Zeit hinab laufen können, doch er hatte den Geruch von Verbranntem noch nie preferiert.
Ohne ein Geräusch zu machen überquerte er das weitläufige Tal, das sich nackt und ungeschützt vor ihm erstreckte und an einen tiefen alten Wald grenzte. Dieser war der Nördlichste Punkt seiner Ländereien und Teil seiner Vergangenheit. Er hatte den Wald wachsen sehen, er hatte gesehen wie die mickrigen Menschen versucht hatten unbemerkt Teile von ihm zu roden um sie anschließend für den Krieg oder ihre Behausungen zu nutzen. Der Hauch eines Knurren fand den Weg tief aus seinem Inneren über seinen Brustkorb nach außen.
Lächerlich, er war ja nicht blind.
Sesshomaru schritt mit raubtierhafter Eleganz an den Waldrand, lauschte einen Moment den Klängen der Natur, ehe der Wald ihn verschluckte.
Er würde nicht den direkten Weg zum Schloss nehmen, denn er hatte Zeit.
Er würde diesem Schmied einen Monat Zeit geben um sein Werk zu vollenden, denn er erwartete von ihm nur eins: Perfektion.
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Silberfrost
RandomDu wirst des Schicksals steilen Pfad beschreiten müssen, ob du willst oder nicht. Japan, Sengoku-Jidai.