Prolog

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Die anbrechende Dunkelheit fraß sich langsam durch das orangerot der letzten Sonnenstrahlen dieses Herbsttages. Anmutig tanzten bunt befärbte Blätter ihren letzten Tanz und fanden, durch das Windspiel, gemeinsam den Weg zum Boden.
Stumm betrachtete eine hochgewachsene Gestalt dieses Schauspiel, als plötzlich ein einsames Blatt den Weg auf seine Schulter fand und sich mit einem kaum wahrnehmbaren Hauch niederließ.
Weißes Schulterfell umfloss spielerisch den Stiel des rostbraunen Blattes, als stünde es inmitten eines silbrig glänzenden Feuers, das sanft seinen leblosen Körper umschloss.
Goldene Augen fixierten das Blatt. Es war ein relativ kleines Laubblatt, dessen feine Äderchen sich deutlich von dessen bräunlichen Grundton abhebten. Einige Sekunden lang verharrte es an dieser Stelle, dann flog es fort.
Wortlos schlossen sich die Augen.
Die offensichtlich männliche Person stand in mitten einer ovalförmigen Lichtungen, in dessen Mitte ein riesiger Magnolienbaum stand, und starrte beharrlich auf dessen massiven Stamm.
Die starken Wurzeln des Baumes reichten tief in die Erde und erstreckten sich deutlich weiter als die der anderen Bäume, die die Lichtung wie ein Ring aus Kronen umschlossen.
Der Wind frischte plötzlich auf und wirbelte das silberfarbene Haar des Mannes auf, das sein markantes Gesicht dezent umrahmte, während neue Blätter fielen.
Er war eine lange Reise angetreten um diesen einen bestimmten Baum aufzusuchen.
Tief sog er den modrigen Duft bereits leicht verwitterter Humusschicht in seine Lungen und genoss in stiller Einsamkeit die Ruhe dieses Augenblicks.
Kaum einen Wimpernschlag später drangen feinste Geräusche an die sensiblen, spitz zulaufenden Ohren des Silberhaarigen.
Wird auch Zeit.
Der breite Stamm der Magnolie zerfloss an einer Stelle wie Wasser, deren Wellen sich durch einen Steinwurf gleichmäßig ausbreiteten.
Dann schälte sich ein altes faltiges Gesicht aus dem Stamm des Baumes, dessen spitz zulaufende Nase sich dem Besucher neugierig entgegenstreckte.
"Sieh an sieh an, Lord des Westens, was verschafft mir die Ehre Eurer Anwesenheit?" fragte das Gesicht müde, als sei es aus einem tiefen Schlaf gerissen worden, aus dem es nicht so recht erwachen wollte.
"Bokuseno." erwiederte der Yokai einsilbig, zog es jedoch vor weiterhin zu schweigen.
Die Falten des Baumgesichtes wurden eine Spur tiefer, während seine Äste verstimmt knarksten.
"Meine Güte, so wortgewandt wie eh und jeh! Was würde Euer Vater nur sagen, wenn er Euch jetzt sehen könnte?"
Stirnrunzelnd öffnete der Mann nun die Augen und betrachtete kühl die uralte Magnolie.
"Ich bin nicht hier um mit dir über meinen verehrten Herrn Vater zu Reden, sondern um ein Schwert, geschmiedet aus seinem Fangzahn."
Fast schon gelangweilt verzog sich das Gesicht vor ihm zu einer Grimasse.
"Tessaiga kann nicht von Euch geführt werden, soviel ist doch klar. Und es gibt auch kein Mittel um es gefügig zu machen. Der Wandel muss in den Tiefen eures Herzen seinen Ursprung finden!" sprach es, als wiederhole es diese Sätze zum x-ten Male.
Wann würde der Welpe des Inu no Taishou das denn endlich verstehen?
Der jedoch überging geflissentlich diese für ihn überflüssigen Worte.
"Das Schwert interessiert mich nicht länger, es ist nutzlos wenn ich es sich nicht führen lässt." brummte er.
"Vielmehr will ich wissen, wie ich Tensaiga zu einer richtigen Waffe mache. Wie kann ich die Kraft des Erbstücks meines Vaters voll nutzen?"
Amüsiertes Rauschen ertönte, als Bokuseno seine armstarken Äste schwungvoll bewegte.
"Ich verstehe. Lasst mich Euch vorher noch etwas erklären :
Tessaiga ist ein zerstörerischer Fangzahn, der Leben nimmt.
Tensaiga jedoch ist der Fangzahn des Lebens und des Himmels, und somit in der Lage Leben zu retten.
Weshalb glaubt Ihr, hat Euer Vater ausgerechnet Euch Tensaiga vererbt, Lord des Westens?" fragte er.
Warum? dachte sich der Daiyokai spöttisch, bevor er seinen Gedankengang weiterführte und unweigerlich auf die Lösung stieß.
Der ehemalige Lord des Westens wollte durch den Fangzahn des Lebens ein Mitgefühl bei ihm erzeugen, sodass er Leben schenkte anstatt sie zu nehmen. Ein Mitgefühl, dass er für seine Feinde nie überhaben wird.
Elegant hob er eine fein definierte Augenbraue.
"Was seine Beweggründe angeht: Sie sind nichtig. Er war wirr seit dem Tag an dem er diesem Menschenweib seine Liebe schenkte!"knurrte er in gefallenem Ton und entblößte für einen Moment seine Reißzähne.
Die alte Magnolie schüttelte missmutig das Gesicht, in sofern das möglich war. Seine kräftigen Blätter schwankten verärgert im Wind und erzeugten ein unangenehm pfeiffendes Geräusch.
"Der Träger Tensaigas muss Mitgefühl und Liebe besitzen! Ohne dieses Mitgefühl ist Tensaiga tatsächlich nur ein gewöhnliches Schwert, und das wisst Ihr ganz genau."
Langsam entspannten sich die Gesichtszüge des Alten und sein pfeiffendes Blätterdach beruhigte sich.
So ein sturer Hund!
Vom Herr des Westens jedoch, kam keinerlei Einsicht.
"Mitgefühl. Eine schwache Eigenschaft."
sagte der Daiyokai kalt.
Ein heftiger Windstoß folgte, der Einen Duft herantrug, der dem großen Hundedämon nur zu vertraut war. Regnisierend lenkte er seinen Blick nach rechts, auf eine etwas abseits stehende Baumgruppe.
So findet unser Gespräch also ein Ende.
dachte er still und wartete auf die Ankunft seiner Begleitung.
Östlich von ihnen, zwischen zwei Birken, brach eine kleine Gestalt aus dem Dunkel des Waldes und sah sich suchend um. Ihr dicker brauner Kimono wehte wie die Äste der umliegenden Bäume, als die Person hüpfend einem weiß- gelben Zitronenfalter hinterhersprang und rief : "Wo willst du denn hin? Ich will doch nur spielen!"
Doch dem Schmetterling war wohl nicht zum Spielen zumute. Schnell entfernte er sich unter fast schon überstürzten Flügelschlägen in Richtung der Magnolie.
Der alte Dämonenbaum sah dem Treiben eine Weile zu ehe er erneut zum reden ansetzte:
"Eine großherzige Eigenschaft, die Ihr schon verwendet habt. Wie ich sehe ist Euer Welpe genau wie Ihr nachtaktiv, Sesshomaru-sama." rauschte es amüsiert über die Lichtung.
Nun entdeckte auch das kleine Mädchen den InuDaiyokai, der mit wehendem Haar vor einem großen Baum stand und wortlos zu ihr Blickte. Sein weißer, mit roten Ornamenten verzierter Kimono wirkte unter dem stetig wehenden Wind beinahe lebendig, genau wie das reinweiße Fell, das ihm über der rechten Schulter lag und sanft tanzte.
Der kleine Mund verzog sich freudig und ließ ein glockenhelles Lachen erklingen, dass über die gesamte Lichtung hallte.
Beschwingt rannte sie auf ihn zu.
"Sesshomaru-sama!"
Mit großen braunen Augen sah sie zu ihm hoch.
"Sesshomaru-sama! Ich bin so glücklich Euch tu sehen! Jaken-sama wollte Feuerholz sammeln, weil es so dunkel wurde aber dann war Ah-Uhn plötzlich weg und Jaken-sama ist ihm schnell hinterhergelaufen."
Stirnrunzelnd legte die Kleine einen Finger auf ihre Unterlippe.
"Ich wollte an der Stelle auf Euch warten, aber ich wollte nicht alleine sein. U-und dann-"
"Rin." sagte der Daiyokai einsilbig und unterbrach den Redeschwall der 6-Jährigen. Er hatte sie selten so aufgeregt gesehen, ihr Herzschlag war noch immer leicht beschleunigt.
Er erinnerte sich an den Tag, an dem er ihr mit Tensaiga das Leben schenkte. Rin war die erste Person, die er mithilfe Tensaigas zurück ins Leben rief.
Das Mädchen wurde von einem, ihm bekannten Wolfsrudel getötet, so wie der Rest der Dorfbewohner auch.
Seit dem hatte Rin panische Angst vor Wolfsyokai.
Kurz davor war sie von den Bewohnern des Dorfes verprügelt und verstoßen wurden, weil sie ihm, Sesshomaru, Essen und Trinken angeboten hatte.
Trotz Blessuren, Blutergüssen und einem fehlenden Zahn kam sie immer wieder zu dem Baum, unter dem er Ruhe gesucht hatte um seine regenerativen Fähigkeiten voll auskosten zu können.
Wenige Tage später holte er ihren leblosen Körper zurück ins Diesseits.
Und nun verströmte ihr Körper erneut diesen seltsamen, leicht beißenden Geruch.
Sie hatte Angst zurückgelassen zu werden. schoss es dem großen Hundelord durch den Kopf.
Erneut schloss er regnisierend die Augen.
Er würde den kleinen Kröterich dafür bestrafen, das kleine Mädchen schutzlos in der Dunkelheit des Waldes zurückgelassen zu haben.
"Oh Sesshomaru-sama! Er scheint Euch zu mögen!" rief die kleine begeistert und klatschte sich freudig in die Hände.
Der Zitronenfalter hatte sich derweil beinahe schutzsuchend auf seinem linken Ärmel niedergelassen.
Leise schaubend fixierte er den schönen Falter und durchbohrte ihn mit seinen Blicken als ob er an dem Versagen seines Dieners Schuld tragen würde.
Schüchtern hoben sich die Fühler des Winzlings, während seine staubbedeckten Flügel zitternd einer aufkommenden Brise trotzten.
Er spielte mit dem Gedanken den Falter mit einem Bruchteil seines Yokis zu pulverisieren, als er erneut in seinen Gedankengängen unterbrochen wurde.
"Wie schön!" bewundernd streckte das Mädchen mit strahlenden Augen die Hand nach dem Schmetterling aus.
Doch schneller als sie gucken konnte, floh der Falter beflügelt in Richtung Himmel.
Seine Flügel hinterließen eine feine Staubschicht auf Sesshomarus Ärmel, die er stumm betrachtete, ehe er sein Augenmerk wieder auf die Person vor ihm richtete.
Enttäuscht sah sie dem fliehenden Schmetterling hinterher.
Warum war er denn nicht geblieben? Sie hatte ihn doch nur kurz streicheln wollen.
"Rin."sagte Sesshomaru an das Mädchen gewandt. "Gehen wir."
Und schon drehte er sich auf dem Absatz um und steuerte den Rand der Lichtung an.
Fragend sah die Kleine zu ihm auf, ehe sie beherzt lächelte und ihm mit einem "Ja!" folgte.
Selig summend lief die 6-Jährige hinter dem großen Yokai Lord her.
Bokuseno hatte die Unterhaltung in stummer Verwunderung mitverfolgt.
Wie kam es, dass der Daiyokai so geduldig mit einem Menschen umging und ihn gar in seiner Nähe duldete? Jeder andere hätte längst seinen Kopf verloren!
Allein die Tatsache, dass er dieses Mädchen mit Tensaiga das Leben geschenkt hat, zeigt, dass er bereits eine Bindung zu ihr und dem Schwert aufgebaut hatte.
"Sesshomaru-sama!"
Ohne Erwiederung blieb der InuDaiyokai stehen und wartete darauf, dass Bokuseno weitersprach.
"Um Tensaigas wahre Macht erlangen zu können, müsst Ihr Totosai aufsuchen! Er wird wissen was zu tun ist."
Mit diesen letzten Worten zerfloss das Gesicht, dass sich nicht jedem zeigte erneut und nach einigen Sekunden könnte man meinen, es hat nie existiert.
Totosai also...
Totosai war derjenige, der aus den Fangzähnen seines Vaters die Klingen Tessaiga und Tensaiga schmiedete.
Der Schmied würde also wissen was zu tun ist, nun gut.
Ohne einen Blick zurück zu werfen setzte er in stiller Entschlossenheit seinen Weg fort.

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