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Als der Wecker klingelt, bin ich ein einzelnes nervliches Wrack. Der Abend an Shades Grabstein war verwirrend gewesen - wie immer hatte ich über einiges nachgedacht ... unter anderem über Zoey. Ich kann selbst jetzt noch, wenn ich die Augen öffne, kaum einen klaren Gedanken fassen.

Und ich habe Kopfschmerzen. Dieser bescheuerte schrillende Wecker macht es auch nicht gerade besser.

Ich angle über den Bettrand hinweg nach dem blöden Teil und schaffe es schlussendlich, ihn mit der Fingerspitze abzustellen. Dann lasse ich mich mit einem leisen Stöhnen - Gesicht voraus - zurück in die Kissen fallen. Wie kann man nur so viel in nur einem einzigen Moment denken, ohne dass einem der Kopf in zehntausend Einzelteile zerspringt? Wie kann ein Gott - falls es denn einen gibt - überhaupt erlauben, dass man so viel auf einmal denkt?

Und wieso zum Teufel fängt die Schule so früh an?!

"Schatz?" Mums Stimme dringt durch das Treppenhaus und nach oben in mein Schlafzimmer. "Willst du nicht allmählich mal aufstehen? Du musst in zwanzig Minuten los, sonst kommst du zu spät!"

"Ich weiß ..."

Seufzend stütze ich mich hoch und sehe mich in dem kleinen Zimmer um, das ich in dem neuen, kleinen Haus für uns beansprucht habe. Zugegeben, es ist ziemlich klein und mein Bett besteht aus zwei am Boden liegenden Matrazen, aber ansonsten habe ich mich schon ziemlich gut eingerichtet.

Eine kleine Lampe steht neben meinem Bett, zusammen mit etwa zwei Dutzend Büchern, die sich scheinbar ungeordnet neben meinem Bett an der Wand stapeln. Die Regale an der gegenüberliegenden Wand sind ebenfalls schon aufgebaut und voller Bücher. An der Wand neben der Tür steht eine Kommode, in der ich - zugegebenermaßen ziemlich ungeordnet - meine Klamotten aufbewahre. Ich habe das Zimmer in dunklem Violett gestrichen und das große Fensterbrett ist voller Kissen. Der einzige Gegenstand von wirklichem Wert in diesem Zimmer ist das Foto von Shade und mir in unserem damaligen Garten. Es steht auf der Kommode.

"Alexia!"

Seufzend rappele ich mich auf und schlüpfe in Jeans und Sweatshirt. Dann ziehe ich meine Turnschuhe an, werfe mir die Schultasche über die Schulter und trappele die schmalen, hölzernen Stufen hinunter. Sie knacken bei jedem Schritt. Als ich in die Küche gehe und Marmelade auf ein Toast schmiere, habe ich nur einen Wunsch.

Wieder ins Bett zu gehen, einzuschlafen und alles zu vergessen, worüber ich gerade nachdenke. Meine Träume sind die einzigen Orte, an denen wirklich alles noch in Ordnung ist. Die einzigen Orte, an denen Shade wieder da ist. Die einzigen Momente, in denen ich mich wieder ganz fühle.

"Alexia; ich sage es nur ungern noch einmal.", mahnt Mum in einem ungeduldigen Tonfall. "Aber wenn du jetzt nicht in die Schule gehst, hast du bald ein mächtiges Problem - und das nicht nur mit mir. Du hast dieses Jahr schon viel zu häufig gefehlt."

"Es tut mir leid.", murmele ich und gehe auf die Tür zu. "Manchmal fühle ich mich einfach nicht sonderlich gut."

"Ich weiß." Mum drückt mir noch einen Kuss auf den blonden Haarschopf. "Aber du hältst das durch. Wir halten das beide durch und irgendwann wirst du auch wieder ein normales Leben führen können, okay? Irgendwann lässt der Schmerz nach."

"Woher willst du das denn wissen?", frage ich mit erstickter Stimme und beiße mir auf die zitternde Unterlippe. Ich wollte nicht weinen - ich hasste es, in der Gegenwart von anderen Menschen zu weinen.

"Ich weiß es einfach, Schätzchen."

Kopfschüttelnd mache ich die Tür auf, schwinge mich auf mein Rad, das an der verwitterten Hauswand gelehnt hat, und mache mich auf den Weg in die Schule.

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"Und? Wie war deine Party gestern?"

Zoey liegt auf ihrem Bett, stützt ihr Kinn auf ihre Handflächen und sieht mich neugierig an. Die bunt gefärbten Haare fallen über ihre schmalen Schultern und ein paar Strähnen umrahmen ihr Gesicht, was die helle Hautfarbe umwerfend gut zur Geltung bringt.

Ich schlucke und starre zu Boden. In letzter Zeit ertappe ich mich dauernd dabei, wie ich Zoey beobachte und sie insgeheim bewundere. Wie schafft sie es nur, so vollkommen selbstbewusst und natürlich schön zu sein?

"Ganz okay." Ich baumele mit den Beinen und betrachte meine nackten Füße. Mein großer Zeh ist auf einmal sehr interessant.

Ich hocke in Zoeys Zimmer auf der breiten Fensterbank und lasse mir die Sonne auf den Rücken scheinen, spüre, wie mich die Wärme durchdringt. Nach der Schule bin ich mit zu Zoey gegangen und zu meiner insgeheimen Freude hat sie sturmfrei.

"Eigentlich war sie sogar ganz okay ... sobald man sich an die seltsamen Snacks und die nervigen, langweiligen Leute gewöhnt hatte ..."

Zoey nickt nachdenklich, dann dreht sie sich auf einmal auf den Rücken und lässt ihre bunten Haare über den Bettrand fallen, während ihre blauen Augen auf mir ruhen. Ohne dass ich es kontrollieren kann, läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken. Aber wie auch nicht?! Sie sieht umwerfend aus!

Na toll. Da sind sie wieder. Meine Gedanken.

"Also ... was hast du heute Abend noch vor? Es ist Wochenende! Und du musst dringend mal diesen grüblerischen Ausdruck loswerden ... auch wenn das wirklich süß aussieht."

Mir stockt beinahe der Atem. Süß?! Hat sie mich gerade süß genannt?!

"Hey, Alex! Alles okay?"

"Ja klar." Ich schüttle mich rasch, um die Gedanken los zu werden, die mich so sehr verwirren. Ich rede mir zu viel auf alles ein. Dad hatte auch immer gesagt, dass ich zu naiv bin.

Ja, aber Dad war ein Arsch.

Ich räuspere mich leicht. "Nein ... Naja, Partys sind nicht so mein Ding. Du weißt schon ... viele Leute ..." Ich atme tief durch. Ich muss meine Stimme unter Kontrolle kriegen. "Aber wenn du auf eine Party willst, lass dich von mir nicht aufhalten. Hab einfach Spaß."

"Ach Süße ..."

Zoey schwingt sich elegant vom Bett, kommt auf mich zu und bleibt dann vor mir stehen. Dann nimmt sie eine meiner blonden Haarsträhnen und wickelt sie sich um den Finger. Ohne dass ich es verhindern kann, beschleunigt sich mein Herzschlag. Hoffentlich bekomme ich keinen Infarkt, das wäre jetzt wirklich unpraktisch.

Zoey sieht auf und ein Lächeln spielt um ihre Lippen. Sie sieht süß aus, wenn sie lächelt.
"Niemand hat was von einer Party gesagt."

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Na, was hat Zoey vor? Denkt ihr, aus den Beiden wird noch was? Generell - wie fandet ihr das Kapitel so?
Ich freue mich auf Kekse und Kritik :)
Luna

Bevor ich sterbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt