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Zoeys pov.

,,Bringst du das Salz, Zoey?" Mums Stimme dringt durch das Esszimmer und in die Küche, wo ich stehe und nachdenklich aus dem Fenster in die Dunkelheit starre.

Alex hatte mich nach dem Essen anrufen wollen. Vielleicht waren sie auch noch am Essen, aber das dauert ziemlich lange. Und ich weiß nicht wieso, aber ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache.

"Zoey!"

Ich reiße mich zusammen, schüttle mich, nehme das Salz und die Pfanne mit dem Rührei und betrete das Esszimmer, in dem Mum schon den Tisch gedeckt hat. Sie lächelt mich an und ich lächle flüchtig zurück, doch mir ist elend zumute. In meinem Magen rumort es.

"Wie war dein Tag?", fragt Mum mich, als wir uns setzen. Ich nehme mir eine Serviette.

"Erfolgreich.", sage ich und denke an Alex und ihren Halbbruder, Milo, der sich alle zwei Wochen halb zu Tode prügeln lässt. Wenn dieses Abendessen funktioniert hat, wird Milo nie wieder unglücklich sein.

Mum zieht bei meiner Antwort die Augenbrauen hoch - wahrscheinlich denkt sie daran, dass Ferien sind und Teenager nie etwas Vernünftiges in den Ferien machen -, sagt aber nichts. Ich bin irgendwie dankbar dafür. Ich habe keine Lust, alles zu erklären ... außerdem ist das Alex' Geheimnis und Alex' Leben und ich habe ihr versprochen, ihr Leben nicht zu zerstören. In dieser ganz besonderen Nacht ...

Ich muss lächeln, als ich daran denken muss, dass so ein Buch heißt, das in Alex' Regal steht.

Obwohl ich mich etwas besser fühle, lässt die Sorge nicht nach und ich spüre, wie es mir auf den Magen schlägt. Lustlos stochere ich in meinem Essen herum und kaue auf meiner Unterlippe, während meine Gedanken immer wieder zu Alex wandern. Irgendetwas stimmt nicht ... irgendwas ist schief gelaufen ... ich weiß es ganz genau ... nur ...

Und dann, urplötzlich, wird mir kalt.

Es ist wie ein Eisklotz, der sich gleichzeitig um Magen, Herz und Hirn schließt. Ich kann nicht denken. Nicht schlucken. Nicht atmen. Meine Hände sind klamm und mir fällt die Gabel aus der Hand, während ich wie betäubt auf den Teller starre.

Etwas ist passiert.

Etwas Schlechtes.

Wie weit entfernt höre ich Mums Stimme.

"Zoey?" Ich antworte nicht. Ich kann nicht. "Schatz, ist alles in Ordnung?"

Ich stehe langsam auf und stütze mich am Tisch ab. Alles dreht sich vor meinen Augen.

"Mum ...", beginne ich leise und meine Stimme klingt hohl und leer. "Mum, ich ... darf ich aufstehen? Ich muss telefonieren."

Mum gibt mir einen langen Mutter-Blick, den ich so gut kenne, dann seufzt sie und winkt ab.

"Na geh schon.", sagt sie und ihre Stimme klingt nicht unfreundlich. Unwillkürlich durchflutet mich Dankbarkeit und ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange.

"Danke.", bringe ich hervor, drehe auf dem Absatz um und sprinte nach oben in mein Zimmer.

Mein Herz rast mir bis zum Hals, als ich mein Handy vom Nachttisch schnappe und ohne zu zögern Alex' Nummer wähle. Der Puls in meinen Ohren ist so laut, dass er fast das Tuten übertönt. Und dann kommt das, wovor ich mich so gefürchtet habe: Der Anrufbeantworter.

Jaja, ich weiß. Passiert doch mal.

Aber so ist das nicht. Alex hatte versprochen, dass sie annehmen würde, wenn ich heute Abend anrufe - egal wie unpraktisch es gerade sei. Ich hatte ihr das ebenfalls versprochen.

Etwas stimmt nicht, zu Hundert Prozent.

Mit zitternden Finger lege ich wieder auf und wähle beinahe panisch die Nummer ihrer Mutter. Ich weiß nicht, wieso ich sie mir gemerkt habe. Aber meine Mum hat sich mit Alex' Mum unterhalten und als sie ihre Handynummern ausgetauscht haben, habe ich sie aus Reflex mitgeschrieben. Als wüsste ich, dass ich sie brauchen würde.

Es klingelt zwei Mal, dann nimmt jemand ab.

"Hallo?" Ihre Stimme klingt zittrig und weinerlich und so unendlich traurig, dass ich mich darauf konzentrieren muss, weiter zu atmen.

"Hallo.", sage ich leise. "Hier ist ... Hier ist Zoey, Alex' Freundin."

Kurz Schweigen. "Ich verstehe." Ihre Stimme klingt nicht mehr so kalt und abweisend wie Alex sie mir beschrieben hat. Eher einfach nur ... hilflos. Als hätte sie etwas akzeptiert, von dem sie weiß, dass sie es sowieso nicht ändern kann.

"Ich ... mache mir Sorgen. Ich kann Alex nicht erreichen und sie hat versprochen, mich anzurufen." Ich verschweige, dass ich von dem gesamten Plan mit Milo wusste. "Wissen Sie vielleicht, was los ist?"

Wieder kurz Schweigen. "Vielleicht solltest du hier her kommen.", sagt Alex' Mutter dann. "Wir sind im Krankenhaus."

Dann legt sie auf und die Stille dröhnt mehr als alles in dieser Welt.

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,,Ich verstehe das einfach nicht.", murmele ich und starre wie betäubt auf Alex' blasses Gesicht vor mir. Das leise Tröpfeln der Medikamente, die sie ihr einflößen, und der unabänderliche Geruch von Desinfektionsmittel scheint mich schon die ganze zeit zu begleiten, doch ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. "Ich dachte, es ging ihr gut. Sie meinte, sie sei nur ein bisschen im Stress ... mehr nicht."

Alex' Mum verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre Augen sind verweint und rot und ihr Gesicht ist blass, wenn auch nicht so blass wie das von Alex. Ihr Gesicht ist wachsbleich. Meine Alex.

"Die Ärzte wollen noch nichts genaues sagen; sie meinen, für eine Diagnose ist es zu früh.", erklärt sie mit dünner Stimme. "Aber wenn sie aufwacht, wollen sie ein MRT machen."

"Einen Hirncheck?", hake ich nach.

Alex' Mum schüttelt den Kopf. "Einen Check von allem. Sie wollen die Ursache für die plötzliche Bewusstlosigkeit finden."

"Sie hatte Halluzinationen.", sage ich plötzlich. "Und Kopfschmerzen und ..." Ich zögere, als ich ihren verletzten Gesichtsausdruck sehe. "Und Nasenbluten.", beende ich meinen Satz.

Alex' Mum schließt die Augen und eine Träne rinnt über ihre Wangen. Sie schnieft.

"Danke.", sagt sie dann mit erstaunlich gefasster Stimme. "Ich sage den Ärzten Bescheid."

Sie verschwindet und ich bin allein mit Alex. Tränen steigen in mir hoch und ein Kloß steckt in meiner Kehle. Ich nehme ihre blasse, dünne Hand in meine und zucke bei der Kälte zusammen.

"Alex ...", flüstere ich. "Was soll ich nur tun?"

Sie bewegt sich leicht im Schlaf und ich schließe niedergeschlagen die Augen. Was, wenn es etwas Schlimmes ist? Was, wenn sie stirbt?
Sie ist alles, was ich habe. Die einzige Person, die ich mehr liebe als alles auf dieser Welt. Sie ist meine Luft zum Atmen, mein Licht in der Dunkelheit, mein Feuer in der Kälte.

Ohne sie weiß ich nicht, was ich tun soll.

"Zoey ...", flüstert eine Stimme vor mir. Ich schlage erschrocken die Augen auf. Alex' große, blaue sanfte Augen sehen mich traurig an.

"Hey!", bringe ich erleichtert hervor. "Hey! Wie geht es dir?"

"Mies.", murmelt Alex und drückt meine Hand. Ihre Stimme ist heiser.

"Zoey ... es tut mir leid.", flüstert sie und Tränen quellen aus ihren blauen Augen. Sie wendet den Blick an die Decke, als könne sie meinen traurigen Blick nicht ertragen. "Es tut mir leid."

_

Hey! Das war mal n Kapitel aus Zoeys Sicht. Aber das war auch das einzige. Arme Alex, arme Zoey :(
Bye ♥

Eure Luna

Bevor ich sterbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt