Als ich die Augen wieder aufschlagen kann, ist um mich herum alles weiß. Der Boden ist für einen Boden erstaunlich weich und zu meiner Überraschung sehe ich nichts, was ich hier als Wände oder eine Decke identifizieren könnte. Es ist einfach alles weiß. Ein weißes Nichts.
Aber es ist ein strahlendes Weiß, so weiß, dass es schon fast in den Augen wehtut. Ich bewege mich nicht, liege einfach da und genieße den schmerzfreien, ruhigen Moment.
Es stimmt. Zum ersten Mal seit zwei Monaten bin ich vollkommen schmerzfrej. Keine Kopfschmerzen, kein Pochen hinter meinen Augen, kein grelles Blitzen in meinem Sichtfeld. Ich habe Angst, wenn ich mich bewege, fangen die Schmerzen wieder an, also bleibe ich liegen und lasse die Erinnerungen auf mich einströmen, dich ich noch habe.
Zoey. Das Essen.
Milo. Ich glaube, beim Essen ging es um Milo.
Mehr fällt mir nicht ein, und ich bemühe mich auch nicht darum. Hier ist es angenehm und leicht und ich genieße es. Allerdings frage ich mich zum ersten Mal, ob ich tot bin, und das hier der Himmel ist.
"Ich habe mich schon gefragt, wann du hier auftauchst.", sagt eine muntere Stimme und ich richte mich abrupt auf. "Es musste ja früher oder später dazu kommen, oder nicht?"
Ich sitze halb, die Arme auf dem weißen Untergrund abgestützt, und sehe mich nach dem Sprecher um, dessen Stimme mir so vertraut ist, wie nichts anderes.
"Hey kleine Schwester.", fügt Shade hinzu. "Wie geht es dir?"
Er hockt auf dem Boden rechts neben mir, locker auf den Ballen balancierend, die Arme auf den Knien, die Hände locker herunter hängend. Sein weißes T-Shirt reflektiert das weiße Licht um uns herum und scheint zu strahlen. Die schwarze, lange Jeans ist frisch gewaschen; genau wie seine schwarzen Locken, die ihm in die Stirn fallen. Er ist barfuß.
"Shade.", flüstere ich und schlinge meine Arme um seinen Hals. Doch ich muss nicht weinen. Irgendwie bin ich glücklich hier. "Ich habe dich vermisst."
Shade lacht leise, während ich mich von ihm löse und seine bernsteinfarbenen Augen blitzen auf.
"Ich weiß. Ich dich auch." Er setzt sich neben mich und schaut nach oben, als würde er etwas sehen, das ich mir nicht einmal erträumen kann. "Schönes Wetter heute."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. "Hier ist nicht einmal ein Himmel."
Wieder lacht er. "Doch, natürlich. Und eine Natur, die man sich nicht einmal ausmalen kann. Und Lebewesen, die ich noch nie gesehen habe." Er strahlt. "Es ist unglaublich hier. Du kannst es nur nicht sehen."
"Heißt das, ich bin im Himmel?", frage ich vorsichtig.
Shade nimmt meine Hand und drückt sie leicht. "Ja. Aber das hier ist nur der Warteraum für dich. Es geht bald weiter."
"Und wohin?"
Wieder dieses besondere Lächeln, das nur Shade lächeln kann. "Das liegt an dir."
Eine Weile schweigen wir, und ich verarbeite alles, was ich bisher gehört habe. Ich bin im Himmel. Shade ist bei mir. Ich warte. Worauf? Dass es weitergeht. Aha.
"Ich habe es auch, oder?", frage ich. Ich bin nicht einmal unglücklich darüber; es ist einfach eine Art hilflose Resignation.
Shade hingegen sieht traurig aus. "Ja."
"Dasselbe wie du?"
"Nein. Du hast eine Chance.", sagt Shade. "Ich hatte nie eine, ich war zu schwach, aber du kommst nach Dad. Du hast mehr Stärke in dir."
"Also könnte ich es schaffen."
Wieder drückt er meine Hand. "Vielleicht. Das hängt von dir ab."
"Was meinst du damit?"
"Dass es von die abhängt. Ob du leben willst. Lebenswille ist eine besondere Stärke, die ich nicht mehr hatte. Ich hatte niemanden, nur dich. Ich habe zu früh aufgegeben. Du hast viel mehr, wofür es sich zu leben lohnt. Zoey, Milo." Er senkt den Blick. "Sag ihm, ich hätte ihn gemocht. Ich mag ihn."
"Was meinst du, wie lange es dauern wird, bis ich wieder gesund bin?", frage ich leise.
Shade zuckt mit den Schultern, doch sein Blick ist ernst. "Jahre."
Mein Herz macht einen Sprung. "So lang?"
"Ja."
"Was soll ich nur machen?", murmele ich und vergrabe das Gesicht in den Knien. "Zoey kann nicht ununterbrochen bei mir bleiben."
"Was willst du denn machen?", will Shade wissen.
Ich zucke mit den Schultern. "Ich will alles richtig machen. Ich will, dass sie alle glücklich werden. Ich will, dass sie ein Leben haben. Ich will, dass Milo bei uns Zuhause glücklich wird; dass Mum nicht mehr weinen muss, wenn sie an dich denkt; dass Zoey Meeresbiologin wird und ein glückliches Leben hat."
"Dann erinner dich an die Regel.", sagt Shade sanft. "Dein letzter Wunsch wird dir gewährt. Wenn du es richtig anstellst, kannst du alles machen."
"Wie?", flüstere ich verzweifelt.
"Ich weiß es nicht. Es ist ein Wunder."
Und dann geschieht etwas. Zusammen mit meinem plötzlichen, unbändigen Wunsch, Zoey wieder in meinen Armen zu halten und das alles richtig zu machen, blitzt um uns herum alles leuchtend blau auf und ich zucke zusammen. Shade bleibt ruhig.
"Gute Entscheidung.", sagt er. "Ich wünsche dir noch ein glückliches Leben, kleine Schwester."
"Warte." Ich klammere mich an seinem Handgelenk fest. "Ist das hier ein Traum? Träume ich? Oder ist das real?"
"Oh, du träumst durchaus.", sagt Shade. "Aber das bedeutet nicht, dass es nicht real sein kann, nicht wahr?" Er nimmt mich in den Arm und drückt mir einen Kuss aufs Haar. "Du schaffst das schon."
Und dann wird alles um mich herum schwarz und ich werde in einen tiefen, traumlosen Schlaf gerissen.
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Dieses Kapitel widme ich IsiBam0
Hier ist was, wo sie Shade im Himmel trifft. Das War ne gute Idee und n toller Übergang. Danke ♥Eure Luna
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Bevor ich sterbe
RomanceAlexia, genannt Alex, hat ein kompliziertes Leben. Nachdem ihr großer Bruder Shade mit fünfzehn gestorben ist, ist für sie eine Welt zusammengebrochen und sie war nie wieder die selbe. Doch das Leben zwang sie weiter und als sie mit ihrer Mutter in...