Noch ziemlich verschlafen lag ich in meinem Bett und starrte nach oben aus dem Dachfenster. Die beiden Monde, Hathor und Bes, waren klar ersichtlich inmitten der vielen Sterne des Nachthimmels. Wir nannten sie immer die ewig Liebenden, da sie immer als Paar im Himmel stehen. Nie war einer der beiden alleine. Gerne würde ich mir vorstellen, eines Tages auch so unzertrennt zu leben. Mir gefiel die Vorstellung, nie alleine sein zu müssen.
Ich blieb noch eine ganze Weile so liegen bevor ich aufstand, da ich den mir doch ungewohnten Anblick genießen wollte. Die Nächte hielten bereits drei Stunden an, was bedeutete, dass wir bald in den Süden ziehen müssten. Es wurden bereits erste Vorkehrungen getroffen. Soweit ich wusste, ist die Transit schon zwei Mal in dieser Woche mit ersten Mais- und Kartoffelpflanzen sowie einigen Erntehelfern abgefahren, damit diese sich wieder an den Nährboden und die Arbeit am südlichen Pol gewöhnen konnten. Ebenso schlossen schon einige Läden, die ihre Waren bereits zur Überfahrt mit der Magnetschwebebahn versandtfertig machten. Und wenn wir erst einmal angekommen waren, gab es wieder für ein halbes Jahr reinsten Sonnenschein. Wärmenden Sonnenschein. Lebensspendenden Sonnenschein. Auch wenn ich die dunklen Nächte so gerne beobachtete, so konnte ich - sowie jeder andere der Stadt - nicht hier bleiben. Man merkte bereits in der gesamten Nordkuppel, wie die Temperatur um einige Grad sank, und das bloß von dieser dreistündigen Nacht. Meine Mutter pflegte immer zu sagen, dass von uns nur noch ein Eiszapfen übrig bleiben würde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was sie mir damit sagen wollte.
Als die Sonne meine Wohnung wieder in Licht hüllte, rappelte ich mich schließlich auf und warf einen verschlafenen Blick in den Spiegel. Meine braunen Augen sahen in der reflektierenden Morgensonne etwas heller aus als sonst, ein ungewohnter Anblick, wie ich fand. Gähnend griff ich nach dem Eyeliner und zog mir vorsichtig einen goldenen Lidstrich unter mein Auge, stets in der Hoffnung, dass er mir in meinem derzeitigen Zustand gelingen würde. Natürlich verwackelte ich die Linie etwas. Ich hoffte einfach darauf, dass niemand darauf achten wird und warf mir ein schneeweißes Spitzenkleid über. Es war das beste Stück, was ich besaß. Mit eleganter Spitze im Dekoltee und einem offenen Rücken. Leider unterschied es sich nur wenig von den meisten Stücken, die man in der Kupel finden konnte. Zum größten Teil war Kleidung sehr unauffällig, weit geschnitten und weiß. Man zeigte nur wenig Haut, außer es gab etwas zu feiern. Die Kleidung bildete das komplette Gegenteil zu den dunklen und kalten Nächten außerhalb unserer sicheren Gemeinschaft. Rein und unschuldig. Beruhigend.Ich machte mich auf den Weg in Richtung der Septentrionum-Capitholum, ein großes Gebäude im Mittelpunkt der nördlichen Kuppel. Sie sah aus wie eine riesige, weiße Halbkugel, gespickt von rundlichen Fenstern, die genügend Licht in das innere der massiven Halle fallen ließen. Ein Ebenbild dieses Ortes gab es im Süden, die Meridium-Capitholum. Ich sollte mich beeilen, um noch rechtzeitig anzukommen. Ich lag definitiv zu lange in meinem Bett. Die Monde hatten mich gefesselt.
Es gab vier große, mit alten Runen verzierte Tore, die sich jeweils gegenüberlagen und Massen an Personen der Nordkuppel in das Gebäude hineinströmen ließen. Das war auch nötig, denn das Capitholum wurde für Versammlungen genutzt, die für das gesamte Volk zugänglich waren und dieses beherbergen mussten. Ich schritt durch das Westtor und bahnte mir meinen Weg zu einem Platz nahe der Mitte, sodass ich die Volkssprecherin, Adriane Prinzipia, nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Sie stand bereits vor dem massiven Podium des Capitholum. Eine großgewachsene Frau mittleren Alters. Wunderschön. Das Leuchten ihrer himmelblauen Augen reichte bis zu mir. Ihre bereits grauen Haare waren elegant nach oben gesteckt und mit einer der seltenen, weißen Rosen verziert. Sie lächelte von ihrer Position auf die Menge herab und fing an zu sprechen.
>> Meine lieben Mitbürger, ich freue mich, euch an diesem heutigen Tag wohlauf begrüßen zu dürfen. Dies ist bereits das dreihundertzwanzigste Jahr, dass wir uns zu diesem Anlass hier versammeln. Es ist mir eine Ehre, zu euch sprechen zu dürfen. Wir sind hier um uns alle an begangene Fehler zu erinnern, zu trauern und nun unseren Erfolg zu feiern. Ihr alle wisst, dass wir heute vor dreihundertzwanzig Jahren angegriffen wurden. Damals kam es uns nicht einmal in den Sinn, die Kuppeln besser zu schützen. Aufgegossene Betonwände umringten den unteren Teil der Kuppel. Wir alle dachten, wir seien sicher und der Beton, das Fundament, das uns alle schützt, standhaft. Leider mussten wir durch Schmerz und viel Leid das Gegenteil erfahren.<< Die Sprecherin durchzog ihre Stimme mit Trauer. >> Heute vor dreihundertzwanzig Jahren gelang es einer Gruppe von Bestien, unsere Mauern zu durchbrechen. Ein größeres haushohes Ungeheuer mit scheußlichen Stoßzähnen und einer Kraft, die uns einhundertsechzig Leben kostete, verwüstete Vieles innerhalb der Kuppeln. Unser Volk wurde um ein Drittel geschmälert. Das alles waren Leben, deren Seelen wir nicht mehr retten konnten. Nur mit großen Mühen gelang es uns, diese Untiere zu besiegen und sie in die Knie zu zwingen. Wir hatten großes Glück, dass ihnen nicht noch weitere folgten, so konnten wir die Kuppel reparieren und unser zuhause nun endgültig absichern. Wir bauten unsere Solarenergie mit letzten Ressourcen aus, umringten unsere Mauern mit Drähten, die unser Zuhause elektrisch absichern, auf das so etwas schreckliches nie wieder geschehen wird. Gardisten patroullieren täglich am Rand der Kuppel, stets wachsam, um bestmöglich auf uns aufpassen zu können. Selbst jetzt, an diesem Tag, sind einige von ihnen nicht anwesend, sind nicht hier bei uns, um unseren Schutz zu gewähren.<< Die Menge jubelte und ich fing an zu applaudieren. Adriane hob ihre Stimme an. >> Dank dieser Maßnahmen konnte sich unser Volk vom Schrecken erholen. Wir sind seid dieser Zeit stark gewachsen. Wir sind gesund. Wir sind glücklich. Wir leben nun endlich in Perfektion. Wir haben uns heute hier versammelt,um unseren Sieg zu feiern. Wir mussten zwar Opfer bringen, um uns optimal schützen zu können, aber ohne dieses Leid wären wir nie zu diesem heutigen Tag gekommen. Wir danken allen, die ihre Seele der Nacht gegeben haben. Wir danken für den unangefochteten Schutz, den ihr uns ermöglicht habt. Ich verkünde euch, so feiert nun in Sicherheit und Frieden. Habt Dank. << Die Sprecherin verließ das Podest und Musik fing an zu spielen. Eine fröhliche Melodie aus Flöten- und Harfentönen. Ich fing an, mit der Musik zu schwingen, da hakte sich lächelnd ein jungen Mann, der links von mir stand, bei mir ein, und wir fingen an, uns mit der restlichen Masse zu bewegen und zu tanzen. Ich war glücklich, wie wir durch die Masse flogen, und verlor dabei jegliches Zeitgefühl.
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Jungle
Bilim KurguIn einer Welt völlig fremd der Unseren gibt es nur zwei Gebiete, die Pole, in welchen ein sicheres Leben gewährt werden kann. Zwischen diesen befindet sich ein riesiges, unbewohnbares Gebiet, heimgesucht von gefährlichen Monstern, welches jedes halb...