Folge 2 - Siren

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Prolog

Adrien

Ich träumte mal wieder. Mit offenen Augen. Jeden Morgen, bevor mein Wecker klingelte und Paris noch in dämmeriges Halbdunkel getaucht war, stand ich am Fenster und träumte vor mich hin. Natürlich von ihr: Ladybug. Ich kramte jede Erinnerung an sie hervor, ging jede einzelne Begegnung mit ihr durch, doch nie kam ich ihrem Geheimnis näher: wer steckte hinter dieser Maske? Aber vielleicht erinnerte ich mich auch einfach nur gern an sie. Das gab mir Kraft, den Tag zu überstehen, einen Tag voll von Chloés nerviger Anhänglichkeit und Nathalies kühlen Hinweisen auf meine Termine. Wahrscheinlich war ich der einzige Mensch auf der Welt, der sich auf Akuma-Attacken freute. »Gäääähn... Kleiner? Was machst du denn? Ich habe Hunger!« Plagg schwirrte herbei. »Erzähl mir was Neues...«, murrte ich und nahm ein Stück Camembert aus dem Vorrat. Während Plagg zu schmatzen begann, wandte ich mich wieder der Stadt hinter dem Fenster zu. In mir wuchs der Wunsch, diesem leeren Haus zu entkommen, dort draußen zu sein und über die Dächer zu springen. »Plagg, bist du fertig? Wir machen einen kleinen Ausflug.« Er gähnte missbilligend, vom Käse war längst nichts mehr übrig. »So früh schon? Weißt du, dir fehlt dieses gesunde Maß an Faulheit.« Ich verdrehte die Augen. »Plagg, Verwandle mich!« Kaum war aus Adrien, dem ständig bevormundeten Jungen, Cat Noir, der freie und selbstsichere Superheld geworden, schwang ich mich aus dem Fenster und katapultierte mich mit meinem Stab von Dach zu Dach. Es fühlte sich unglaublich befreiend an, einfach so zum Spaß Cat Noir zu sein. Ich wünschte, ich könnte immer so sein. Ich hielt inne. Da war doch... Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Nicht weit von mir saß Ladybug, entspannt ließ sie die Füße von einem Dach baumeln und ließ gedankenverloren ihr Jo-Jo hoch und runter sausen. Ich sprang zu ihr herüber und setzte mich neben sie. »My Lady.« Überrascht sah sie auf. »Cat Noir? Was machst du denn hier?« Ich zuckte mit den Schultern. »Mir war langweilig, schätze ich. Und du?« Sie lächelte müde. »Ich konnte nicht einschlafen. Manchmal bin ich lieber Ladybug als mein anderes ich.« Ich stützte mein Kinn auf die Hände. »Kenne ich. Es ist leichter, sich hier oben hinter einer Maske zu verstecken, als in einem leeren Zimmer Löcher in die Luft zu starren.« Sie nickte. »Das trifft es irgendwie. Aber ich konnte nicht deswegen nicht schlafen.« »Was ist es denn dann?« Sie rieb sich besorgt die Stirn. »Nach der Sache mit Cat Cupid habe ich mich nochmal mit Evie unterhalten, bevor sie abgereist ist. Sie hat mir erzählt, dass Hawk Moth... Na ja, irgendwie verbissen geklungen hat. Ich habe Angst, dass er stärker wird, und wir nicht rechtzeitig kommen, um ihn aufzuhalten.« Ich antwortete nichts. Meine letzte Unterhaltung mit Evie ging mir durch den Kopf.
»Ich habe sehen können, wie viel sie dir bedeutet.«, flüsterte sie mir grinsend ins Ohr. »Und ich dachte mir, als Wiedergutmachung für den ganzen Ärger erzähle ich dir, wie sie für dich fühlt.« Sie machte eine dramatische Pause. »Sie ist total in dich verknallt! Über beide Ohren.«
Ich war mir da nicht so sicher. Aber es war ein wunderbarer Gedanke. »Sitzt du auch manchmal hier oben, wo du weißt, dass dich niemand sehen kann, und fühlst dich einfach sicher?«, fuhr sie fort. »Weil eben niemand weiß, wer du bist, ist es irgendwie so... Einfach. Niemand kann dich für deine Fehler verantwortlich machen, weil dich niemand kennt... Und all diejenigen, die tagsüber auf dich herabsehen, bewundern dich, wenn du ihnen mit einer Maske begegnest.« Ich nickte. »Und niemand schreibt einem vor, was man zu tun hat. Das ist glaube ich das Schönste an der Sache. Abgesehen von dir natürlich, My Lady!« Sie schüttelte grinsend den Kopf. Ich atmete seufzend aus und stand auf. »Es wird langsam Zeit für mich zu gehen.« Galant reichte ich ihr eine Hand und sie ließ sich von mir aufhelfen. »Na dann, Kätzchen. Es war schön, sich mit dir zu unterhalten.« »Finde ich auch.« Mit einem Handkuss verabschiedete ich mich und sie verdrehte die Augen. »Bis dann!« Ihr Jo-Jo wickelte sich um einen Schornstein und zog sie weg. Ich sah ihr nach, dann machte auch ich mich auf den Heimweg. Gekonnt schwang ich mich durchs Fenster und verwandelte mich zurück. »Das waren vielleicht Zehn Minuten!«, maulte Plagg. »War das die Mühe echt wert?« Ich ging zur Tür, beflügelt von dem Gedanken an eine gepunktete Heldin mit einem magischem Jo-Jo. »Ja.«, antwortete ich meinem Kwami. »Das war es.«

Miraculous - eine eigene 2. StaffelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt