Mein Atem ging schell aber gleichmäßig, während ich über die Dächer von Paris rannte. Es war großartig! Mit übermenschlicher Geschwindigkeit von Dach zu Dach springen, auf dem Triumphbogen spazieren gehen und danach die Aussicht vom höchsten Punkt des Eiffelturms genießen - und das alles noch vor sieben Uhr in der früh. In der letzten Woche hatte ich sogar ein paar mal Ladybug gesehen, sie und Cat Noir trafen sich gelegentlich zufälligerweise. Ich wusste nun eine ganze Menge über die beiden: Cat Noir war bis über beide Ohren in Ladybug verliebt, die ihn aber jedes Mal augenverdrehend zurückwies. Dafür schlich sie sich gelegentlich zu Adriens Haus, um nach ihrem Schwarm zu sehen. Aber heute war ich nicht als Dragon unterwegs gewesen, um Ladybug zu beobachten. Nein, Tian-Lóng hatte mich zu einem Mehrfamilienhaus geschickt, in dem »der Hüter« lebte. Ich war kein bisschen überrascht gewesen, als Meister Fu die Tür geöffnet hatte. Er hatte mich über die Geschehnisse in China ausgefragt, wie genau es mir gelungen war, Tian-Lóng zu erlösen. Ich hatte ihm alles erzählt, sogar, dass ich Marinettes Geheimnis herausgefunden hatte. Im Gegenzug für meine Ehrlichkeit hatte er angeboten, mich auf Ladybugs und Cat Noirs Wissensstand zu bringen. Außerdem hatte er mich gewarnt, dass meine Fähigkeiten zwar sehr stark, aber unausgereift sein könnten. Tian-Lóng hätte zu lange als Monster gelebt, um seine Kräfte richtig einschätzen zu können. Ich konnte seine Sorgen nicht nachvollziehen. Wenn ich Dragon war, sorgte ich mich grundsätzlich nicht, und bisher hatten meine Kräfte perfekt funktioniert. Ich war schnell, stark, einfach alles, was ich mir als Nataniël je gewünscht hatte. »Menschling, hast du vor, bis nach Spanien zu rennen?«, meldete sich mein Kwami telepathisch zu Wort. »Du bist gerade an deinem Haus vorbeigerannt!« Abrupt bremste ich ab. »Ups. Danke!« Das Haus, in dem die Wohnung meiner Eltern war, stand in einem belebten Viertel voller anderer Häuser. Das Problem war, dass die anderen Häuser alle einstöckig waren, und um zu meinem Fenster zu gelangen, musste ich irgendwie in den dritten Stock gelangen. Beim ersten Mal hatte ich mich einfach zurückverwandelt und war durch die Tür gegangen, aber ich musste eine Lösung für dieses Problem finden. Tian-Lóng hatte mir schließlich erklärt, wozu die runden, schwarzen Symbole in meine Handschuhe eingebrannt waren. Ich richtete die Handflächen nach oben, mit nichts weiter als einem Gedanken ließ ich sie aufglühen und beschwor so meine Waffe herauf: Eine Peitsche. Das schwarze Seil war elastisch und konnte sich wie Ladybugs Jo-Jo um die Schornsteine wickeln. Mit einer schnellen Bewegung meines Handgelenks wurde das Seil eingezogen und zog mich durch die Luft aufs Dach. Ich sprang durch mein Fenster und verwandelte mich zurück, nur Nanosekunden bevor meine Mutter anklopfte. »Nataniël? Bist du fertig? Die Schule geht gleich los!« Als wäre nichts gewesen öffnete ich die Tür. »Fast fertig.« »Du Glückspilz.«, hörte ich Nina rufen. »Als ich ins Bad wollte, war der Wasserhahn kaputt, dabei war ich direkt nach dir. Das ist unfair!« Meine Mutter streichelte ihr über die roten Haare, die bei uns jeder in der Familie hatte. »Nicht der Wasserhahn, mein Schatz, die Rohre sind kaputt. Bei den Bauarbeiten ein paar Straßen weiter wurden die Wasserleitungen beschädigt, und bis das repariert ist, hat die ganze Nachbarschaft kein Wasser mehr.« Nina verzog sich grummelnd in ihr Zimmer. Wahrscheinlich klagte sie ihr Leid ihren Kuscheltieren, das tat sie schon immer. In Windeseile zog ich mir meine Schuhe an und griff nach meiner Tasche. Im Spiegel sah ich nun aus wie immer, und doch hatte sich für mich alles geändert. Ich war nicht mehr nur Nataniël. Unter meiner Haut schlummerte noch immer Dragon.Marinette
Lächelnd applaudierte ich, als Lila die Querflöte senkte. »Wie du um die Uhrzeit schon so etwas zu Stande bringen kannst.« Sie hob stolz grinsend das Kinn. »Ich bin nun mal einfach brillant!« Alya lachte kurz auf. »Und so bescheiden!« Sie löste sich vom Türrahmen und schloss zu uns auf. »Ich muss euch ganz dringend was erzählen.« Sie wartete noch, bis Lila ihr Instrument verstaut hatte, dann fuhr sie fort: »Erinnert ihr euch noch, wie Meister Fu auf der Klassenfahrt behauptet hat, jemand hätte Tian-Lóng besiegt? Max hat die ganze Zeit gesagt, er wollte sich nur ein bisschen wichtig machen. Aber gestern hat ein Passant zufällig eine seltsame Gestalt gefilmt, die sich mit einer Art Seil über die Dächer geschwungen hat. Er hat es auf meine Info-Seite gestellt und ich hab ein paar Theorien darüber veröffentlicht, die ihr sicher gelesen habt!« Sie funkelte uns an und ich lächelte schuldbewusst. »Jedenfalls ist dieser Kerl im Drachenoutfit entweder ein begeisterter Fan meiner Reportage über unsere Klassenfahrt, oder das ist derjenige, der den Drachen besiegt hat.« Lila schien tatsächlich Interesse an dieser Theorie zu haben, obwohl ihr Superhelden - insbesondere Ladybug - sonst zuwider waren. »Da läuft wirklich ein Drachen-Superheld draußen rum? Abgefahren...« »Ich enttäusche euch nur ungern, aber ich glaube, das ist nur ein Fan. Oder schlimmstenfalls ein Akuma! Denn, wie hätte jemand in China Tian-Lóng besiegen und ein paar Tage später in Paris herumrennen können? Dann müsste er ja-« »...in unserer Klasse sein! Marinette, du bist ein Genie!« Lila und Alya begannen, wild herum zu diskutieren. Zum Glück gongte es, bevor die beiden nach draußen gehen und nach diesem Drachentypen suchen konnten. Ich schüttelte den Kopf, während ich nach oben zum Klassenraum lief. Es konnte ihn gar nicht geben. Ich hatte Tian-Lóngs Kraft am eigenen Leib zu spüren bekommen; so etwas konnte man nicht besiegen. Und wenn, dann hätte ich ihn sehen müssen. Ich war nur ein paar Augenblicke lang bewusstlos gewesen, Cat und ich zusammen hätten Stunden und unsere vollen Kräfte gebraucht, um dieses Vieh besiegen zu können. Wie hätte eine einzelne Person in so kurzer Zeit einen Drachen besiegen und verschwinden können? Unmöglich. Adrien kam ins Klassenzimmer und riss mich aus meinen Gedanken. »Hey, Leute!« »Hi, Adrien.«, sagte ich konzentriert, um nicht wieder ins stottern zu kommen. Madame Bustier trat ein und die Klasse verstummte. An ihrer Seite lief ein schlanker junger Mann, dessen Brille viel zu groß für sein Gesicht schien. Er erinnerte mich irgendwie an Max. »Guten Morgen, Kinder.«, begrüßte uns Madame Bustier. »Wie ihr seht, haben wir heute einen Gast.« »Nennt mich Philipe. Ich bin ja kaum älter als ihr, da wäre es albern, mich mit Monsieur anzusprechen.« »Ja, du siehst definitiv albern aus!«, kam es aus der ersten Reihe. Chloé und Sabrina - natürlich! - brachen in glucksendes Gelächter aus, aber Philipe blieb entspannt. »Die mitteilsame Dame in der ersten Reihe bietet sich ja förmlich an, mich bei der Präsentation meines Themas zu unterstützen. Bitte, komm doch nach vorne!« Selbstgefällig erhob sich Chloé und stolzierte nach vorn. Philipe zeigte uns die Uhr an seinem Handgelenk. »Das, meine Freunde, ist die Zukunft. Klein, leicht, hochintelligent, viel mehr, als ihr sehen könnt. Mademoiselle Bourgeois wird euch gleich demonstrieren, wie fortgeschritten diese Technologie ist!« Mit ein bisschen Tippen und Wischen ließ er eine winzige Satellitenschüssel aus der Uhr fahren und scannte Chloé mit einer Kamera am Bildschirm ab. Etwas unbehaglich sah sie nun schon aus. Vor allem, als plötzlich eine zweite Chloé neben ihr stand. Ein Hologramm! »Abgefahren!«, kam es von Nino und Alya gleichzeitig, beeindruckte Ausrufe von der Klasse unterstrichen die Wirkung. »Das- Das ist absurd! Die sieht mir doch gar nicht ähnlich! Ich sehe ganz anders aus!« Holo-Chloé drehte sich um neunzig Grad, so dass sie ihr Original ansehen konnte. »Ja, du siehst definitiv albern aus!«, wiederholte sie Chloés Bemerkung von gerade eben und brach in dasselbe glucksende Gelächter aus. Wir lachten mit. Empört dackelte Chloé zurück zu ihrem Platz und ihr Abbild löste sich auf. »Ihr seht, mit einem kleinen bisschen Technik sind euch keine Grenzen gesetzt.« Madame Bustier trat vor und kündigte an, dass wir jetzt in den Computerraum gehen würden und uns aufstellen sollten. Alya und ich standen direkt hinter Adrien und Nino, doch plötzlich zwinkerte sie mir zu und zog ihren Freund zu sich, gab mir einen Schubs und - Zack! - stand ich neben Adrien. Er lächelte mich an. Oh mein Gott! Natürlich baute sich just in diesem Moment Chloé vor uns auf. »Adrie-Chérie, da bist du ja! Mach mal Platz Marinette!«, befahl sie herrisch und schubste mich zurück zu Alya. »So, jetzt können wir reden!«, säuselte sie Adrien zu und hakte sich bei ihm ein. »Was hältst du von diesem Philipe? Ich finde ihn ja scheußlich, er ist so arrogant! Und gibt ja so mit seiner blöden Plastikuhr an, pah! Weißt du, warum reden wir nicht später mal über ein eigenes Projekt? Handys während dem Unterricht, klingt doch super! Ich komme später mal zu dir, dann besprechen wir alles!« »Warum wehrst du dich denn nicht, Marinette? Sie darf nicht immer mit allem durchkommend!«, meinte Alya energisch, aber ich wandte den Blick ab. »Adrien wehrt sich doch auch nicht.« »Ach komm schon, glücklich sieht er ja jedenfalls nicht aus!« Endlich hatten wir den PC-Raum erreicht und verteilten uns an die Tische. Und zwar in der normalen Sitzordnung. Hmpf.
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Miraculous - eine eigene 2. Staffel
FanfictionUnsicher betritt Marinette die Wohnung, direkt vor ihr sitzt ein vom Alter gebäugter Mann. Mit wissenden Augen sieht er sie an. »Ah, hallo, Ladybug.« Die Tür schwingt zu und... ENDE?! Nein! Bitte nicht! Nicht jetzt! Wie gemein ist das denn?! So zumi...